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Worry, be happy

■ Michael Moores Dokumentar-Komödie „Roger and me“ im Forum

Als Kind glaubte ich, nur drei Leute arbeiteten für General Motors: Pat Boone, Anita Bryant (zwei Show-Stars, die in TV -Werbespots für GM auftraten) und mein Vater“, erzählt Regisseur Moore im Film über sich selbst. Folgt ein Familienfoto: „Praktisch arbeitete meine ganze Familie für GM“.

Wir sind in Flint, Michigan. Moores Vater arbeitete am Fließband in der Zündkerzenfabrik, sein Onkel nahm sogar am berühmten Sitzstreik von 1937 teil, aus dem die Gewerkschaft hervorging. Aber Michael wollte nicht ans Fließband, wurde Journalist, gründete die „Michigan Voice“ und ging später nach San Francisco zu „Mother Jones“. Das Blatt entließ ihn bald, weil er einen Artikel gegen die Sandinistas nicht drucken wollte.

Im Film erzählt er die San-Francisco-Geschichte so: Der Regisseur sitzt im Cafe, die Kellnerin zählt ihm die Kaffee -Sorten auf, vom Mocca bis zum Einspänner, und Moore kommentiert: „In einer Stadt, die kein Milchpulver kennt, habe ich nichts verloren“. Zurück in Flint, erlebt er die Massenentlassungen von 35.000 Arbeitern bei GM. Der Konzern schließt elf Fabriken, um in Mexiko elf neue zu bauen, wegen der billigeren Arbeitskräfte. Ein Freund von Michael Moore, der fünfmal hintereinander entlassen wurde, kommt in die Psychiatrie - er kann die Beach Boys und ihr „Wouldn't it be nice“ nicht mehr ertragen. Eine entlassenen Frau sagt: „Ich habe genug von den Geldsäcken, ich könnte jetzt ausfallend werden, aber ich bin ja eine Lady.“

Der GM-Lobbyist Tom Kay behauptet: „Man wird kein Unmensch, bloß weil man Generaldirektor ist“. Der Generaldirektor von GM heißt Roger Smith, er sitzt in Detroit. Moore will ihn nach Flint holen und ihm die Arbeitslosen zeigen. Er will wissen, wer recht hat, Tom Kay oder die Frau.

So wurde Moore Filmemacher, „Roger and me“ ist sein erster Film. Für das Budget verkaufte er seinen Besitz, veranstaltete Bingo-Abende und führte einen erfolgreichen Arbeitsprozeß gegen „Mother Jones“. Dann bat er die Filmemacher von „The Atomic Cafe“, ihm zu zeigen, wie man eine Kamera benutzt, und fuhr nach Detroit.

Moore geht ins Hauptgebäude, seine Filmcrew folgt ihm, betritt den Fahrstuhl und drückt auf den Knopf vom 14. Stock, dort hat Roger sein Büro. Aber der Fahrstuhl bewegt sich nicht. Pförtner und Security-Leute fordern ihn auf, das Gebäude zu verlassen, der GM-Pressemann will Moores Visitenkarte sehen (aber Moore hat keine) und bittet um schriftliche Anmeldung.

Ein Jahr lang bemühte sich Moore um einen Termin bei Roger Smith, er suchte ihn im Golf- und im Yachtclub, schmuggelte sich als Aktionär in eine Aktionärsversammlung ein, aber vergeblich. Mr. Smith ist nicht zu sprechen. „Roger and me“ enthält all die Szenen, die in Fernsehfeatures und Dokumentarfilmen normalerweise weggelassen werden.

Immerhin, die reichen alten Damen auf dem Golfplatz geben ihm Auskunft. Die Arbeitslosen seien doch faul, wer arbeiten wolle, der fände auch Arbeit. Moore läßt es sich gesagt sein. Er treibt eine Frau auf, die Kaninchen verkauft, als Haustiere und als Schlachtvieh. Ein anderer hat den Fusselroller erfunden; eine dritte macht Farbanalysen für Hausfrauen, die wissen wollen, welche Farbe ihnen am besten steht. Er interviewt die Blutspender, und gibt im Abspann Telefonnummer und Öffnungszeiten der Blutspendestation an.

Aber das reicht nicht zum Lebensunterhalt für 35.000 Arbeitslose. Moore begleitet den Hilfs-Sheriff bei den Zwangsräumungen, manchmal sind es 24 an einem Tag. Sogar an Heiligabend: Roger Smith hält gerade seine rührende Weihnachtsansprache vor der Belegschaft in Detroit, während Hilfssheriff Fred Ross den Leuten, die er gerade auf die Straße setzt, rät, den Weihnachtsbaum hinzulegen. Der Wind könnte ihn sonst umblasen. Das ist bitterer Ernst und irrwitzig komisch zugleich. „Worry, be happy“, sei seine Devise, sagt der Regisseur.

Mittlerweile hat Flint 50.000 Ratten mehr als Einwohner und nebenbei die höchste Kriminalitätsrate: Die Zeitschrift „Money Magazine“ erklärt Flint zur schrecklichsten Stadt Amerikas. Die Bewohner sind empört, „Money Magazine“ wird öffentlich verbrannt, PR-Leute wollen der Stadt ein neues Image verleihen; vielleicht ist Tourismus die Lösung. Ein 13 -Millionen-Dollar-Luxushotel wird gebaut - mit der einzigen Rolltreppe der Stadt -, ein Vergnügunszentrum - für Busladungen voller Rentner - und Autoworld - der größte Hallenpark Amerikas, für 100 Millionen Dollar: die getreue Nachbildung Flints vor den Fabrikschließungen.

Die Stadt veranstaltet Shows mit Bob Eubanks und Pat Boone, Ronald Reagan geht mit den Arbeitslosen Pizza essen, und auf der Parade jubelt Miss Michigan den gelangweilten Passanten zu. Als das neue Gefängnis eingeweiht wird - das alte ist zu klein -, veranstaltet die Stadt sogar eine Jail Party: eine Nacht im Knast für 100 Dollar pro Person, mit Fingerabdrücken und Gefängniskleidung, mit Schließer und Musik-Band, die Gäste sind begeistert.

Aber das Tourismus-Programm scheitert. Autoworld wird ein halbes Jahr nach Eröffnung geschlossen, das Hotel steht leer. Moore hat an dieser Stelle bei der Chronologie geschummelt. Die Fantasieprojekte der Stadtverwaltungen waren zum Teil schon lange vor den Werkschließungen geplant worden, das Pizza-Essen mit Reagan war ebenfalls wesentlich früher. Moore verteidigt sich mit dem Hinweis, daß kein Detail erfunden sei, daß alle Dokumentarfilme Ereignisse arrangieren und daß er ja keine wissenschaftliche Arbeit habe schreiben wollen.

Im Dezember-Heft von „Film Comment“ hatte Harlan Jacobson die falsche Chronologie in einem Interview mit Moore kritisiert. Moore sagte dazu vorgestern im Delphi, die Linken hätten was gegen den Erfolg von „Roger and me“. Was er nicht erwähnte, war die Tatsache daß Herausgeber Harlan Jacobson kurz nach Erscheinen des Interviews entlassen wurde, nicht nur wegen der Moore-Kritik, aber sie spielte eine Rolle: „Film Comment“ ist die Zeitschrift der Film Society, die das New Yorker Film Festival sponsort. Roger and me war der Renner des Festivals. Fast schon wieder ein Stoff für Michael Moore.

Chronologie hin oder her, Michael Moore beweist mit Roger and me, daß ein Dokumentarfilm nicht langweilig, daß Sozialkritik nicht kitschig sein muß und daß auch eine schwarze Satire über den real existierenden Kapitalismus kommerziell erfolgreich sein kann. Im Januar rangierte Roger and me unter den beliebtesten Filmen der USA an zweiter Stelle.

Am Ende singt Pat Boone: „I'm proud to be an american“. Und der Nachspann teilt mit: „Dieser Film kann in Flint nicht gezeigt werden. Alle Kinos haben geschlossen“.

Christiane Peitz

Michael Moore, Roger und ich, USA, 85 Minuten

19.2. Akademie der Künste 19.30 Uhr

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