Das Geheimnis der stabilen Hüfte

■ Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften: Florian Schwarthoff sprintet aufrecht in die Hürden-Weltklasse

Sindelfingen (taz) - Bis zur vierten Hürde mußte Florian Schwarthoff verbissen kämpfen. Sein Berliner Rivale Dietmar Koszewski ließ sich nicht abschütteln. Synchron nahmen sie die Hindernisse. Erst auf den letzten Metern fiel die Entscheidung zugunsten von Florian Schwarthoff. 7,55 Sekunden zeigte die Uhr im Sindelfinger Glaspalast: neuer bundesdeutscher Rekord über 60 Meter Hürden.

Florian Schwarthoff, charakterlich eher reserviert veranlagt, zeigte überschwengliche Freude und genoß eine Ehrenrunde im Pulk der Fotografen, gefeiert von den zweitausend Zuschauern. Als die Hallensprecherin dann die korrigierte offizielle Zeit von 7,52 Sekunden bekanntgab, war das Glück für den Heppenheimer perfekt: Die Eintrittskarte zur absoluten Weltklasse im Hürdensprint ist gelöst.

Die Weltbestzeit von Greg Forster (7,36) ist nähergerückt. „Ich bin hochmotiviert nach Sindelfingen gekommen. Ich wußte, daß meine Form momentan so gut ist, daß ich meine 7,54 Sekunden von Karlsruhe verbessern konnte“, meinte „Floh“, wie er von seinen Freunden genannt wird, hinterher selbstbewußt. „Dietmar hat mich mit seinen 7,64 Sekunden unheimlich angespornt, meine Reserven auszuschöpfen“, schilderte der gebürtige Dortmunder die Ausgangslage für den Rekordlauf. Gemeint ist Dietmar Koszewski, der damit für einige Tage den Rekord hielt.

Ein „Floh“ ist der zwei Meter große Schlacks, der bis 19 Jahre auch Volleyball spielte, nun wahrlich nicht. Fachleute, jedenfalls die, die sich dafür hielten, rieten ihm aufgrund seiner Größe ab, den Hürdenlauf ernsthaft zu betreiben. Ursprünglich war er Weitspringer und mit 7,69 Metern sogar einmal bester Jugendlicher. Der Architekturstudent im dritten Semester sah den Sport mit 17 Jahren „mehr als Hobby“ an, trainierte zuweilen nur einmal pro Woche, war aber aufgrund seines Talents trotzdem überaus erfolgreich: 1987 wurde er Zweiter bei der Junioren-EM und deutscher Meister im Hürdensprint.

Den Ehrgeiz von Florian Schwarthoff stachelte dann der Trainer und Weitsprungguru Hans-Jörg Halzamer an. Im Juni 1988 wechselte er nach Heppenheim an die Bergstraße. Holzamer, ein Gymnasiallehrer, der neben seinem 12-Stunden -Schuljob seiner großen Leidenschaft zeitlich fast unbegrenzt zur Verfügung steht, hat Schwarthoff behutsam aufgebaut. „Mit mehr Sprinttraining wären natürlich Hau-ruck -Erfolge möglich gewesen“, erklärt Holzamer. Doch dann hätte die Hürdentechnik nicht Schritt gehalten, so daß ein behutsamer Aufbau allemal besser gewesen sei.

Holzamer feilt ständig an Details dieser so einfach aussehenden, aber im Bewegungsablauf so komplizierten Technik. „Sie muß exakt auf die Größe von Floh zugeschnitten sein. In letzter Zeit haben wir die Hüfte stabilisiert, damit er noch aufrechter über die Hürden kommt“, beschreibt Holzamer eine wesentliche Verbesserung.

Florian Schwarthoff ist mit 21 Jahren jung genug, um auch international ganz nach vorne zu kommen. 1989 reichte es bei der Universiade zur Bronzemadaille und zum nationalen Rekord von 13,37 Sekunden über 110 Meter Hürden. Das bedeutete Platz zehn in der Weltrangliste und immerhin der beste weiße Athlet.

Bei der EM Ende August in Split braucht er nur die Briten mit Europarekordler Colin Jackson (13,11) an der Spitze zu fürchten. Vielleicht aber auch den ein Jahr älteren Dietmar Koszewski, der ihn bei der letztjährigen Freiluftmeisterschaft eine schmerzliche Niederlage beibrachte und mit seinen 7,60 Sekunden in Sindelfingen andeutete, daß er seine Bestzeit draußen (13,57) sicherlich auch verbessern wird. Eine bundesdeutsche Phalanx, auch auf der kurzen Hürdenstrecke, scheint sich abzuzeichnen.

Karl-Wilhelm Götte Frauen: Hochsprung: Heike Henkel 2,00 m (Hallenrekord), 3.000 m: Sabine Kunkel 9:17,84 min, 60-m-Hürden: Caren Jung 8,03 sek, 3.000-m-Bahnengehen: Andrea Brückmann (Lahn/Dietz) 12:55,97 min

Männer: Kugelstoßen: Karsten Stolz (Wattenscheid) 19,91 m, 60-m-Hürden: Florian Schwarthoff (Heppenheim) 7,52 sek (Hallenrekord), 5.000-m-Bahngehen: Robert Ihly (Schutterwald) 19:17,50 min (Hallenrekord), Stabhochsprung: Bernhard Zintl (München) 5,50 m, Dreisprung: Wolfgang Zinser (Wattenscheid) 16,42 m.