Turbo-Lada und keuchender Caruso

■ Bayer Leverkusen - Kondom Homburg 3:1 / Großartiges Debüt von Andreas Thom, Homburgs Cardoso in Atemnot

Leverkusen (taz) - Er kam als letzter aus der Kabine. Die Augen scheu und suchend, ließ sich Andreas Thom auf dem Weg zum Rasen weit zurückfallen. Ein Klaps von Torhüter Vollborn auf den Hosenboden holte den DDR-Debütanten ein. Augenblicke später der erste Ballkontakt im neuen Jahr, Anstoß Thom. Eine Viertelstunde später war der „Turbo-Lada“ in die geschmierte Maschinerie der Bayer AG, Abteilung Lizenzfußball, kollektiv integriert.

Andreas Thom lief mit Jubelarmen Richtung Eckfahne und mitten in die Hände von Andrzej Buncol. Und alle, alle rannten hinterher. Ein wahrhaft historischer Moment, dieser torberauschte Männerchor. Ein Traumstart ganz aus Leder: die flache Buncol-Flanke über die Grasnarbe, kurze Drehung und mit links aus vier Metern den Spielball in die Maschen. Die Fotografen konnten früh einpacken und das Thom-Tor entwickeln. Ein Schnappschuß für die Fußballhistorie, das erste Tor im freien Westen.

Doch dieser bescheidene Bursche, vor zwei Monaten mit dem Lada von Dynamo Berlin an den Rhein gereist, scheint auf dem Rasen ein Nimmersatt. Auch beim 2:0 leistete „Andy, Andy“, wie ihn die 12.000 schon vor dem Anpfiff vereinnahmt hatten, die Vorarbeit. Bewacher Finke rempelte, der Homburger Trikotwerbung („London“) entsprechend, hauchzart, Thom kam ins Trudeln. Den Elfmeter setzte Kree mit seiner satten Druchschnittsgeschwindigkeit von Tempo 140 ins Netz.

Tor durch Thom, Vorarbeit Thom, Vorentscheidung Thom. „Erste Halbzeit sehr gut, zweite gut“, lobte Trainer Jürgen Gelsdorf nach dem ersten Auftritt des 50fachen DDR -Nationalspielers in der Bundesliga, und sein Homburger Kollege Sepp Stabel meinte: „Er kann Furore machen.“ Dabei schien der gute Coach ganz vergessen zu haben, daß seine Homburger soeben von dem ersten Furioso heimgesucht worden waren.

Sehr im Unterschied zu „Pelusa“, bürgerlich Rudolfo Cardoso gerufen. Der Argentinier mag ein Caruso am Ball sein. Aber anders als Andreas Thom versank er verstimmt bei seinem ersten Erscheinen in der Liga. Da blieb nur noch, keuchend und prustend, die Sehnsucht nach dem Abpfiff. Fußball hierzulande wird eben gearbeitet. Einer wie Thom kann das im Akkord. Taktmeister Thom nämlich war auch beim dritten Tor beteiligt. Er kämpfte diesmal eine Ecke heraus. Marek Lesniak traf zum 3:0. Bayer hatte die Altlasten aus dem alten Jahr abgetragen, die einzige Saisonniederlage (in Homburg) glattgebügelt, die Tabelle bereinigt. Thom sei Dank. Wie ein ökologisch reiner Entsorger zerstreute er die Restmenge an fußballerischer Retorte aus Plastik.

Gleichwohl kritisierte „Gelle“ Gelsdorf einige Aussetzer seiner Symphoniker: „Ich will den Homburgern bestimmt nicht wehtun. Aber unser größter Gegner, das waren unsere Nerven.“ Prompt fackelte Homburgs Stürmer Dittmer eine Rauchfahne aus dreißig Metern gegen die beste Abwehr der Bundesliga ab. Mit Gewinn; denn nach dem 3:1 rutschte Homburg um ein Tor besser als Gladbach auf den vorletzten Rang.

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, befand Stabel vor dem Komplett-Auftakt am kommenden Wochenende. Dann grantelte er sehr zu Recht über den vorentscheidenden Elfmeter: „Der ging nicht auf unsere Kappe.“

Auch Andreas Thom mochte da nicht unbedingt widersprechen. „Elfmeter ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“, sagte er auf der Pressekonferenz. Nicht etwa, daß der Ex-Dynamo seine Kapitel aus dem Klischeekästchen gut gelernt hätte. Thom vor der Masse, das war wie die ganz natürliche Befremdnis im Angesicht der Oberfläche. Jagdszenen wie im Wilden Westen hatten sich zuvor abgespielt. Gezerrt und gezurrt haben sie ihn, für einen halben Satz, ein einziges Wort. Schweißgebadet hatte Thom einfach die Nase voll: „Nee, ich geh‘ jetzt duschen.“ Das warme Bad war wichtiger als der mediale Überguß.

Schließlich nach der Dusche aber doch das Bad für die Menge. Pressekonferenz mit Andreas Thom vor vollen Stühlen. „Eine dumme Frage“, rief jemand, „bist du zufrieden?“ Da strahlte er für einen Moment. Das war ein Augenblick von Glücklichsein. Andreas Thom sagte nur ja und lachte. Wie zum In-den-Arm-nehmen, endlich und wirklich einer zum Anfassen.

Vielleicht war er aber auch ein bißchen glücklich darüber, daß er dann gehen durfte. Eine Treppe höher zum Exklusivtermin mit RTL. Das neunzigste Interview in fünf Wochen. Und dann endlich ab nach Hause. Freundin Christina konnte die Premiere nämlich nicht mit ansehen. Ein Babysitter für Töchterchen Janine ward nicht gefunden.

Ernst Thoman

LEVERKUSEN: Vollborn - Hörster - Alois Reinhardt, Kree Fischer, Jorginho, Schreier (29. Seckler), Buncol, Knut Reinhardt Thom, Lesniak (75. Demandt)

HOMBURG: Gundelach - Theiss - Herrmann, Finke - Wohlert (86. Baranowski), Ellguth, Cardoso, Hoffmann (51. Hetmanski), Homp - Dittmer, Maciel