„Es gibt kein grünes Olympia“

■ Ein Gepräch mit Jochen Brauer (MdB Grüne) und Staatssekretär Hans-Jürgen Kuhn (AL) über „Olympia in Berlin“, sportpolitische Abstinenz und die Bilanz eines Jahres rot-grüner Realpolitik in Berlin / Ist der Sport ein „monolithischer Block“ (Brauer) oder die linke Sicht „arrogant“ (Kuhn)?

taz: Im vergangenen Jahr hat der AL-Staatssekretär Kuhn 500.000 DM für eine Poloweltmeisterschaft lockermachen müssen. Kommentar: „Die hätte ich lieber für eine Schwulenolympiade ausgegeben.“ Jetzt ist er zum wirklichen Olympiamanager mutiert.

„Cola“ Kuhn: Das bin ich nicht, und bei der Frage „Olympia nach Berlin“ gibt es ja verschiedene Kriterien, die zu einem Dafür oder Dagegen führen können. Mit der sportpolitische Ebene muß ich nicht meinen Frieden schließen. Ich kann sagen, die Spiele halte ich für inhuman, für nicht förderungswürdig.

Was spricht denn dann dafür?

Kuhn: Vielleicht sind Olympische Spiele in einem Ballungsraum wie Berlin, Ost und West, stadtverträglich möglich. Wenn die drei oder vier Milliarden DM, die dadurch in die Region kommen würden, so ausgegeben werden, daß das übereinstimmt mit unseren allgemeinen Zielen der Stadtentwicklung - warum nicht?

Es werden sich in die Planung noch Leute mit ganz anderen kommerziellen - Interessen einklinken. Bleibt da noch Raum für alternative Politik?

Jochen Brauer: Unmöglich. Unser Ansatz ist doch: ökologisch, feministisch, pazifistisch. Es gibt keine grünes Olympia.

Kuhn: Richtig, aber vielleicht gibt es ein Chance in dieser historischen Situation, aus dem Zerfall des Ost-West -Gegensatzes, der ja auch auf dem Sportplatz seinen Ausdruck gefunden hat, einen humaneren Hochleistungssport zu bekommen. Auch wenn er nie so sein wird, wie wir uns das wünschen. Weg vom Kampf der Gesellschaftssysteme, dafür bietet doch Berlin den idealen Ort.

Wäre das nicht im Gegenteil für das vereinigte Deutschland eine prima Leistungsschau?

Brauer: Eben. Was für eine Vorstellung: In zehn Jahren ist die staatliche Einheit völkerrechtlich abgesichert und das 2.000jährige sogenannte Vierte Reich kann eingeläutet werden. Von einem Olympia sind die nationalen Beweggründe, Hymnen, Medaillenspiegel, Fackelläufe, geweihter Boden im Stadion, gar nicht zu trennen. Wenn du diese Symbole aus Olympia rauslöst, dann ist die nichts mehr.

Kuhn: Das glaube ich nicht.

Brauer: Du kannst dieses Spektakel nicht umdeuten. Außer dem: Die Washington-Moskau-Schiene wird abgelöst, in Europa ist die BRD schon geographisch im Mittelpunkt, Berlin hat gute Möglichkeiten, zu einem Zentrum zu werden, da sollte man nicht die Chance einer nationalen Feier bieten.

Wenn Olympia Teufelszeug ist, was soll er denn machen?

Brauer: Alles, damit es nicht herkommt. Abgesehen von Hochleistungssport, Doping usw. ist es politisch unheimlich gefährlich. Und soll in diesem Olympiastadion von 1936, an der Reichssportfeldstraße, die Eröffnungsfeier stattfinden?

Kuhn: Meinetwegen kann die Eröffnungsfeier woanders stattfinden...

Brauer: Moment mal, in der Machbarkeitsstudie steht drin, das Stadion wird ausgebaut auf 82.000 Plätze. Also sind hier auch die Großveranstaltungen.

Kuhn: Das IOC schreibt gar nicht vor, daß die Eröffnungsfeier in einem Stadion stattfinden muß. Wir haben schon diskutiert, in andere öffentliche Räume auszuweichen: Straße Unter den Linden, „17.Juni“, Potsdamer Platz...

Das Fernsehen wird dir was husten.

Kuhn: ...als bewußte Abgrenzung von diesem Stadion, mit dessen Geschichte man sich auseinandersetzt. Und wer sagt denn, daß die Inszenierung der Leichtathletik in der dortigen Symbolik...

Brauer: Da kannst du nichts umdeuten. Es gibt Dinge in der Geschichte, die sind sakrosankt.

Kuhn: Machen wir uns doch nichts vor. Der Beschluß, diese Olympischen Spiele nicht zu wollen, ändert doch nichts daran, daß es sie geben wird, hier oder anderswo. Das öffentliche Interesse an diesem Ereignis entspricht ja nicht nur einer künstlich erzeugten Medienwirksamkeit. Daß hier für drei Wochen Menschen aus vielen Ländern zusammenkommen, spricht offenbar Gefühle von Millionen von Leuten an. Die sind doch nicht alle vom Fernsehen verführt.

Brauer: Die Leistungsbereitschaft ihrer Sportler, das Aufopfern für das Land, der ganze Patriotismus...

Kuhn: ...es muß was anderes sein.

Brauer: Was interessiert, ist nur: Gibt es Gold, Silber oder Bronze?

Kuhn: Und wie gehst du damit um?

Brauer: Du brauchst es als Grüner nicht zu unterstützen.

Kuhn: Es gibt einfach noch andere Faktoren. Die volkswirtschaftliche Bilanz ist beträchtlich, und zwar ziemlich genau kalkulierbar. Du brauchst - unabhänig von den Spielen - öffentliche Verkehrsverbindungen, Wohnungsbau, Sportstätten. Gigantischer Protz ist vom IOC nicht vorgeschrieben, Berlin könnte da für etwas anderes stehen.

Brauer: Die Großstadien, die wir als Grüne gar nicht wollen, müssen verkehrtechnisch verbunden werden, auch mit dem Olympischen Dorf. Womöglich wird auch noch ein Großflughafen damit begründet.

Es gibt ein wirtschaftliches Interesse von IOC, Fersehen, Sponsoren. Gegen diese Macht will die 10-Prozent-Partei anstinken?

Brauer: Lieb gemeint, aber bei der Show wirst du, Cola, nicht mal Hilfsbeleuchter.

Kuhn: Wenn du dich so früh verabschiedest, kannst du keine Politik machen. Wir halten S-Bahn, U-Bahn und Bus doch für die wichtigsten Verkehrsträger. Warum dann nicht modernisieren? Gut, wir brauchen 30 Hektar für 5.500 Wohnungen im Olympischen Dorf. Bloß, wir bauen in dieser Legis- laturperiode 35.000 Wohnungen, wenn's klappt.

Brauer: Also: Berlin braucht diese Spiele?

Kuhn: So weit gehe ich nicht. Nur, wir diskutieren doch hier nicht die Bewerbung. Ob die AL Olympia will oder nicht, ist so wichtig wie ein Sack Reis in China. Die Entscheidung fällt woanders.

Gebongt, die Planung auch.

Kuhn: Nimm das Vor- und Beiprogramm. Warum soll sich da nicht eine Stadt präsentieren, die sich zur Toleranz und Vielfalt bekennt und den ganzen Plunder wegläßt?

Brauer: Adolf hat Olymia auch zur Völkerverständigung gemacht.

Die Sportanlagen werden konzentriert: am Olympiastadion und Schöneberger Dreieck. Mit dem grünen „Sportplatz um die Ecke“ hat das nichts zu tun.

Kuhn: Das ist der kritische Punkt, wie man da Investitionen noch lenken kann. Aber: Die Planung wird von der Stadt gemacht und nicht direkt vom IOC. Ihr sagt pauschal: Die Stadt hat schon verloren.

Die Berliner Presse findet dich endlich toll. Nur will sie jetzt auch zwanzig olympische „Generalproben“, sprich: Welt und Europameisterschaften.

Kuhn: Wäre es denn schlimm, wenn die Schwimm-WM 1994 in Berlin stattfinden würde? Es gibt viele, die solche Show -Veranstaltungen auch sehen wollen. Die Frage ist doch, welches großstädtische Lebensgefühl man zulassen will.

Brauer: Wir wollen, daß die Leute Sport treiben und nicht einen Zirkus unterstützen.

Kuhn: Das widerspricht sich nicht.

Brauer: Keine müde Mark für so etwas würde ich ausgeben.

Kuhn: Wir finanzieren auch Gastspiele der Philharmoniker...

Brauer: ...das alte Totschlagargument. Hochleistungssport heißt: immer über seine eigenen Grenzen hinausgehen, unter Inkaufnahme aller Folgen. So etwas nicht zu unterstützen war bisher grüne Position. Anscheinend gilt das nicht mehr.

Kuhn: Die Primaballerina, der Rockstar, die Sopranistin gehen auch an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Es ist grüne Arroganz, die Leute vor so etwas schützen zu wollen.

Brauer: Ich seh‘ mir so was auch mal an, nur, ob ich mich dafür stark mache, das ist doch die Frage.

Wo wäre denn der Punkt, an dem der ALer Kuhn sagen würde: Mit mir nicht mehr!

Kuhn: Der Begriff „ökologischer Stadtumbau“ aus der Senatspolitik und die Möglichkeit, wie die Bewohner das nutzen können, was für Olympia gebaut wird, ergibt schon Kriterien. Zudem: Auch wenn du nicht mehr an der Regierung bist, kannst du die Akzeptanzfrage so stellen, daß das Risiko für potentielle Veranstalter so hoch wird, daß sie sich wieder zurückziehen. Berchtesgaden ist eine geplatzte Bewerbung, weil mobilisiert wurde.

Seit Barcelona vor vier Jahren den Zuschlag bekommen hat für 1992 sieht die Bilanz so aus: gestiegene Wohnungs- und Büromieten um 300 Prozent, Nahverkehrsmittel 80 Prozent, Taxi 150 Prozent teurer. Arbeitsmarkt: null Effekt.

Kuhn: Wir haben ja Zeit. 1993 wird international entschieden, 92 muß das NOK sich festlegen. So lange haben wir die Planungskompetenz. Bis dann weiß man auch eher, ob Spiele eines vereinigten Deutschlands zum Schreckgepenst der Völker werden.

Brauer: Also ich werde von Bonn aus eine kleine Kampagne gegen Olympia starten.

Und während der Olympischen Spiele, was macht ihr da?

Brauer: Dasselbe wie immer, ich werde nicht hingehen. Ich war in Calgary und Seoul und habe festgestellt: Das ist nicht das Treffen der Jugend der Welt.

Kuhn: Wenn ich Karten bekomme, will ich mal schaun, was draus geworden ist.

Der Streit um Olympia ist ja neu, ansonsten haben Grüne mit Sport nicht viel am Hut. Als 1983 die erste Fraktion der Grünen in den Bundestag einzog hat Otto Schily die Parole ausgegeben: Wir müssen es uns leisten, den Sport rechts liegen zu lassen.

Brauer: Da hast du recht. Der Sport spielt keine besonders hervorgehobene Rolle.

Gibt es denn im Wahlprogramm für 1990 überhaupt Aussagen zur Sportpolitik?

Brauer: Nicht direkt, aber was für Baden Württemberg (Siehe Kasten: Sportprogramm) ausgearbeitet wurde, gilt auch für den Bund.

Kuhn: Daß die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Sport keine eigene Arbeit leistet für den Wahlkampf ist eben auch Ausdruck davon, daß daran überhaupt keiner Interesse hätte in der Partei. Obwohl immer noch mehr Leute samstags zum Fußball gehen als das ganze Jahr über auf Friedensdemos, glaubt man sich den Luxus der Ignoranz leisten zu können. Und sobald man in diesem Bereich Entscheidungen treffen muß, zeigt sich der große Mangel.

Es gibt ja mittlerweile praktische politische Erfahrungen. Sind die in die Programmatik eingeflossen?

Brauer: Bonn ist wenig praktische Politik. Bonn ist lediglich zuständig für Gelder des Hochleistungssports, sonst nichts.

Kuhn: Was ihr da beredet, ist weit weg von alltäglichen Problemen wie etwa dem, ob irgendwo ein Schwimmbad gebaut wird. Die großen ideologischen Auseinandersetzungen können dann auch entsprechend abstrakt geführt werden: um den Hochleistungssport.

Macht es dann überhaupt Sinn, in Bonn präsent zu sein?

Brauer: Wir haben schon überlegt zu beantragen, der Sportausschuß solle aufgelöst werden. Letztlich geht es nur darum: für den Sport soviel wie möglich Geld vom Innenministerium loszueisen. Reine Lobbyarbeit.

Die Präsenz der Grünen hat da nichts verändert?

Brauer: An der Struktur nichts, aber wir haben sicher neue Themen reingebracht: Apartheid, Doping, Fanproblematik, Kindersport.

Interessiert das die Fraktion?

Brauer: Ganz marginal.

Aber zu Leistungssportlern habt ihr keinen Kontakt, obwohl dort ein enormes Informationsdefizit besteht. Und: Kritik aus diesen Reihen würde eine andere Resonanz erzielen. Schau dir die Reaktionen auf das Becker-Interview an.

Bauer: Der Sport ist eine geschlossene Gesellschaft, ein monolithischer Block wie das Militär.

So absolut? Es gibt kritische Leute in den Verbänden, der Sportjugend, der Sportwissenschaft, die gerade bemängeln, daß sie von den Grünen nur als Teil des Systems wahrgenommen werden.

Brauer: Wer sich kritisch äußert, wird doch kaltgestellt.

Kuhn: Die Abgeschlossenheit liegt auch an den Berührungsängsten der Grünen. Wer Kontakt hat zu Trainern, Betreuern und Hochleistungssportlern, kennt das Interesse dort, auch unsere Positionen authentisch zu erfahren.

Brauer: Wir kritisieren, und das wird nicht gern gesehen.

Kuhn: Die mangelnde Einflußmöglichkeit hat noch zwei andere Gründe. Erstens kann der Sport immer noch behaupten, unpolitisch zu sein. Die Dinge dort sind keine Überlebensfragen wie Atomkraft und Friedenssicherung. Es gibt da keine Bewegung, die etwas von uns einfordert. Sport wird eher unter Unterhaltung gebucht. Zweitens ist der Sport ein Bereich, der über einen hohen Konsens in der Gesellschaft verfügt. Das Vereinswesen hat eine lange Tradition. Das ist kein attraktives Politikfeld, gerade in der Opposition.

Sportpolitik tangiert doch viele Felder, die für die Grünen wichtig sind: Soziales, Umwelt, Frauen.

Kuhn: In der Umweltfrage wird's interessant, da gelingt es am ehsten, andere, grüne Positionen klarzumachen; an Beispielen wie dem Wattenmeer, den Alpen, also wenn konkret gestritten wird und Restriktionen beim Sport zu Einschränkungen führen.

Die Grünen sind attraktiv gewesen für kompetente Menschen aus den seltsamsten Bereichen: Atomphysiker, Generäle, Pfarrer. Nur aus dem etablierten Sport kam niemand.

Brauer: Auch die SPD hat da wenig Beine drin, eher die CDU. Und wer will sich schon in den Apparat hineinbegeben und Funktionär werden, um etwas zu ändern? Noch mal: Das System ist geschlossen. Angefangen bei den Journalisten, die von der Kuh leben, die sie nicht schlachten werden, bis zur Sportartikel- industrie.

Für dich ist Sport offenbar nur, was im Fernsehen kommt, daher auch ein einziges Horrorszenario: Doping, gequälte Kinder, Nationalhymnen. Ist das der Alltag von zwanzig Millionen Mitgliedern des Deutschen Sportbundes?

Brauer: Nein, unsere alte Litanei ist doch gerade: Spielstraßen, Sportplätze an der Ecke. Dafür will ich Geld ausgeben, nicht für die 600 Hochleistungsleute. Das hat soviel miteinander zu tun wie ein Hollandfahrrad mit einem tiefer gelegten BMW.

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Gerade deshalb hat man vom alternativen Staatssekretär in Berlin erwartet, daß er die bisherigen 10 Senatsstellen für Spitzensportler streicht, die ja den Jobs bei der Bundeswehr entsprechen.

Kuhn: Ganz einfach: Die SPD hat diese Stellen in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben. Wir hätten sie gerne gestrichen.

Das Getöse von Landessportbund (LSB) und Presse war groß: Mit Rot-Grün drohe dem Sport in Berlin der Garaus.

Kuhn: Sicher wußten die erst einmal nicht so recht, was wir aus dem Sportressort genau machen. Aber die Grundkonflikte bestehen weiter, und immer wenn unsere Verwaltung dem Sport etwas nimmt, ist das Geschrei groß.

Wir haben uns beim LSB dein Sündenregister eingeholt: drei Motorbootrennen entfallen, auch Autorennen, Fuchsjagden für Reiter, und die Ausfallbürgschaften für Amateurveranstaltungen sind von 2,2 auf 1,8 Millionen gekürzt. Viel ist das nicht.

Kuhn: Eine kleine Partei in der Koalition kriegt keine 100prozentige Linie, in der sie sich wiederfindet. Immerhin: Wir starten ein Fanprojekt im Fußball, das es bundesweit mit dieser Ausstattung nicht gibt, und streichen dagegen dem Profifußball die Zuschüsse. Nur, wenn ich die steigenden Defizite des ISTAF (Leichtathletik-Meeting; d.Red.) nicht tragen will, schreien alle, und die SPD fängt an zu flattern.

Mit Sport hast du starke Resonanz in der Öffentlichkeit.

Kuhn: Das hat in der AL viele überrascht, daß solche Maßnahmen mehr Beachtung finden als die von Anne Klein im Jugendressort oder Michaele Schreyer mit Umweltpolitik. Die Zeitungen machen Kleinigkeiten zum Stadtgespräch.

Hat das in der AL Folgen gehabt?

Kuhn: Sicher. In unserer Sportarbeitsgruppe arbeiten mehr Leute mit, die Fraktion ist aufmerksamer und freut sich über den öffentlichen Ärger, nur leider mehr im Sinne von Häme: Wenn der LSB sich beschwert, muß ich etwas richtig gemacht haben. Aber die Ablehnung der AL gegen den organisierten Sport ist nicht reflektiert, damit kann ich wenig anfangen.

Zum Beispiel?

Kuhn: Wenn die Umwelverwaltung die Berliner Havelchaussee vollständig sperren und Steganlagen am Ufer zu 100 Prozent abbauen will ist das nicht grundsätzlich gut. Man muß sich vorher überlegen, was es für jemanden bedeutet, der da ein kleines Segelboot liegen hat und die Berliner Gewässer als Naherholungsgebiet nutzt. Wir können nicht 20.000 Menschen, die nicht in großen Yachtklubs sind, mit einem Federstrich sagen: Exitus.

Ist das den AL-Mitgliedern zu vermitteln?

Kuhn: Schwierig. 16 Millionen Mark Fördermittel sind ja auch nicht von einem Jahr zum anderen umzuschichten. Und manchmal prügeln beide auf dich ein: Der LSB findet die 130 Hektar im Flächennutzungsplan in Berlin zu wenig, und die Umweltgruppen von AL und SPD planen die Sportflächen auf 60 Hektar runter. Daß in einer wachsenden Stadt Bewegungsräume bereitgestellt werden müssen - nicht mal unbedingt für Sportplätze oder genormte Anlagen -, findet wenig Verständnis. Dabei ist neben den Fördermitteln die Stadtplanung der einzige Bereich, in den der Staat eingreifen kann. Sonst ist der Sport selbständig.

Brauer: Mir ist die Sache mit den Motorsportveranstaltungen unverständlich. Die öffentliche Meinung ist dagegen und hat ein Verbot von den Grünen geradezu erwartet. Da hätten wir auch bundesweit an Profil gewonnen.

Kuhn: Deine Grundannahme stimmt nicht, es gibt für ein generelles Verbot keine Mehrheit. Die Auseinandersetzung war so schon konfliktreich, aber vielleicht geht das ein andermal.

Brauer: Die Auseinandersetzungen mit denen brauchen wir Grünen auch, um unsere Positionen klarmachen zu können. Und wenn das Avus-Rennen ein Symbol ist, bitte. Symbole haben in der Politik ein große Bedeutung. Es geht ja um die Denkstrukturen: Raserei, Hofieren des Autos.

Der Senat ist auch angetreten mit dem Versprechen, freien Gruppen Zugang zu Sportanlagen zu ermöglichen.

Brauer: Was richtig ist. Der Sport hat zwei Dogmen: Sport macht nur im Verein Spaß, und nur mit dem Verein können Umweltschäden minimiert werden. Die, die allein im Wald rumrennen, seien die Frevler. Das ist aber falsch.

Kuhn: Nein, da ist was dran. Mit den organisierten Surfern haben wir weniger Schwierigkeiten als mit denen, die in einer lauen Sommernacht das Brett schnappen und beim Schilf ins Wasser gehn und lossegeln. Weil wir uns mit Vereinen besser auseinandersetzen können als mit den einfallenden Heuschrecken, die sich wieder zurückziehen.

Brauer: Der Unterschied ist nur, daß sich der Verein den Eingriff in die Natur durch den Bau der Sportanlage längst hat rechtlich absichern lassen.

Haben denn nun Vereine durch freie Gruppen Einschränkungen erfahren?

Kuhn: Die Sportanlagen in Berlin werden von den Bezirken verwaltet, wir haben da gar keinen Zugriff. Wir haben nur das kommunale Sportangebot gesichert, dem der alte Senat 40 Stellen streichen wollte. Das Freizeit- und Erholungsprogramm wird von Vereinen als Konkurrenz empfunden, weil man da ohne Bindung einfach mitmachen kann.

Wurden da von euch nicht falsche Erwartungen geweckt?

Kuhn: Nein, das war vorher klar. Deswegen können wir trotzdem den Wunsch haben, daß andere Gruppen Zugang zu Sportanlagen haben. Wie groß da der Bedarf ist, weiß ich nicht. Im Freien ist das einfacher, auch bei neuen Wohngebieten. Schwierig wird's bei Hallen, weil Reinigung, Schlüssel, Versicherung, alles geregelt werden muß.

Auch im Schulsport sollte sich ja einiges ändern.

Kuhn: Wir wollen da in Richtung koedukativen Unterricht, was ja ab der Mittelstufe nicht erlaubt ist. Ziel ist es, die Schulen selbst entscheiden zu lassen, ob sie Mädchen und Jungs gemeinsam unterrichten wollen. Das würde die Struktur des traditionellen Sportunterrichts in Frage stellen, weil ich in gemischten Gruppen anders unterrichten muß.

Welches ist denn die Hauptlehre des Staatssekretärs Kuhn nach gut einem Jahr im Amt?

Kuhn: Daß es tausend Dinge gibt die einen behindern in dem, was man umsetzen möchte. Und daß die Alternativen nicht viel mehr zu bieten haben als das klassische Sportverständnis, angereichert durch Tanz, Pantomime und Jonglieren.

Bei dem Gespräch waren für die taz dabei: Matthias Mellinghaus, Ruder-Olympiasieger 1988 in Seoul, sowie die Redakteure Andreas Hoetzel und Herr Thömme