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Frauenbewegung im Sitzungsmarathon

Ein „Unabhängiger Frauenverband“ wurde am Wochenende offiziell gegründet / Im Hauruckverfahren wurden Statut und Programm verabschiedet und das Wahlbündnis mit den Grünen beschlossen / Inhaltliche Diskussionen kamen unter dem Zeitdruck zu kurz  ■  Aus Ost-Berlin Ulrike Helwerth

Historische Momente sind in der DDR inzwischen so inflationär geworden, daß sie kaum mehr gewürdigt werden. Doch die rund 500 Frauen, die sich am Samstag in den Hallen des ehemaligen ZKs der ehemaligen SED in Ost-Berlin zum Gründungskongreß ihres Unabhängigen Frauenverbandes zusammenfanden, waren sich des besonderen Augenblicks sehr wohl bewußt.

In jenem Saal, in dem einst alte graue Männer die weiblichen Delegationen der Partei und der Massenorganisationen zum 8. März empfingen, um die „Errungenschaften der Frauen im Sozialismus“ hochleben zu lassen, fielen zum ersten Mal Begriffe wie Patriarchat, sexuelle Gewalt und Feminismus. Und wer hätte sich je träumen lassen, daß, Alice Schwarzer dort unter riesigen, gerafften roten und schwarz-rot-goldenen Fahnen einst die DDR-Schwestern begrüßen und sie vor den Gefahren des „Imperialismus der BRD“ warnen würde?

Doch angesichts der enormen Tagesordnung verflog die anfängliche Begeisterung schnell. Unter dem Druck der Volkskammerwahlen am 18. März mußte ein wahnsinniges Pensum absolviert werden, um den Unabhängigen Frauenverband zu einer ordentlichen, wahlfähigen Vereinigung zu entwickeln.

Ein Statut und ein Programm mußten verabschiedet, über ein Wahlbündnis mit den Grünen und ein entsprechendes Wahlprogramm diskutiert, neue Sprecherinnen gewählt und Kandidatinnen für die Volkskammer nominiert werden. Ein Sitzungsmarathon, bei dem inhaltliche Diskussion und freie Aussprache zwangsläufig immer wieder abgeschnitten wurden durch Geschäftsordnungsanträge und zähe Abstimmungsrituale. Resignierter Kommentar einer Diskussionsleiterin: „Wir wären gern demokratisch, aber der Zeitdruck läßt keine größeren Aussprachen zu.“

Von der Revolutionseuphorie zur Realpolitik

So hatten sich die Frauen, die vor zweieinhalb Monaten mit großer Euphorie ihren Verband ins Leben gerufen hatten, Basisdemokratie sicherlich nicht vorgestellt. Schließlich hatte sich dieses breite, landesweite Bündnis aus Parteifrauen, aktiven Christinnen und autonomen Feministinnen zusammengefunden, um neue, frauengerechtere Formen des Politikmachens zu entwickeln. Aber: „Die Ereignisse überschlagen sich, und wir rennen ihnen nur noch hinterher“, beklagte Ina Merkel, bisher eine der Verbandssprecherinnen. Damals, am 3. Dezember, seien sie mit „hohen Ansprüchen an die demokratische Erneuerung“ angetreten, heute könnten sie nur noch das Schlimmste verhindern, damit Frauen im neuen „Einig Vaterland“ nicht ganz hinten runterfielen.

Die Frauen in der DDR seien immer noch eine schweigende Mehrheit, die über die Perspektiven dieses Landes nicht befragt worden seien und von denen die meisten die deutsche Einheit „nicht so und nicht so schnell“ wollten. Daher fordere der Unabhängige Frauenverband, so Ina Merkel, einen Volksentscheid über die Vereinigung und eine Verfassungsdiskussion, „damit wir nicht einfach die der BRD übergestülpt bekommen“. Denn der Geburtsfehler der „neuen deutschen Republik“ sei: „Neue Herren statt Selbstbestimmung“. Die Frauen in der DDR hätten jedoch politische und soziale Rechte, die zu bewahren sich lohne. Daher wollen die Frauen heute am Runden Tisch ein Gleichstellungsministerium fordern. Tatjana Böhm, Ministerin des Verbandes ohne Geschäftsbereich soll dieses Amt ab sofort und bis zu den Volkskammerwahlen übernehmen. Außerdem soll ein neuer Versuch gestartet werden, im Wahlgesetz die paritätische Besetzung der Wahllisten durchzusetzen.

Wenig Diskussionen

Der Einführung von Ina Merkel folgten Berichte aus den Bezirken über Fortschritte und Schwierigkeiten bei der alltäglichen Basisarbeit. Eine Delegierte aus Greifswald sprach sich vehement gegen die Schließung des dortigen völlig maroden Atomkraftwerks aus. „Wir sind keine Selbstmörder“, aber schließlich gehe es um die Arbeitsplätze „unserer Männer“ und die Energieversorgung der ganzen Region. Ihre Bitte: „Fallt uns nicht in den Rücken“. Dafür gab's schwachen Beifall und so gut wie keine Proteste.

Nur ein einziger Antrag war unter den Frauen umstritten: Der Frauenverband solle bei Ministerpräsident Modrow den 8. März als arbeitsfreien Tag für Frauen einfordern, um so „den Kampftag der Frauen“ angemessen zu würdigen. Darüber wurde eine regelrechte Kampfabstimmung geführt, der Antrag abgeschmettert. Offensichtlich wollten die meisten Delegierten gegenüber ihren männlichen Kollegen keine Extrawurst, schon gar nicht in wirtschaftlich so desolaten Zeiten. Sie hatten auch Angst, sich bei diesem „unernsten Antrag zu blamieren“. Also wird am 8. März erst nach Feierabend gekämpft.

Frauen aus Provinz verhindern Zentralismus

Verbandsstatut und -programm gingen mit kleineren Änderungen und ohne Grundsatzdiskussionen über die Bühne. Die Frauen aus der Provinz legten allerdings Wert darauf, daß ihnen das Statut größtmögliche Autonomie von der Verbandszentrale Berlin einräumt. 40 Jahre „demokratischer Zentralismus“ war ihnen Lehre genug. Die wesentlichen Ziele im Programm lauten: Recht auf Arbeit, Quotierung in allen gesellschaftlichen Bereichen, bedarfsdeckende, staatlich finanzierte Kinderbetreuung, volle Gleichstellung aller Lebensformen und -gemeinschaften, soziale Absicherung Alleinerziehender, Recht auf Abtreibung, Strafbarkeit von Vergewaltigung auch in der Ehe, Verbot von Pornografie.

Lebhafter wurde es noch einmal, als das Thema Wahl auf die Tagesordnung rückte. Das Wahlbündnis mit den Grünen war nämlich schon so gut wie beschlossene Sache bevor der Kongreß darüber befunden hatte. Dafür setzte es Schelte von der Basis. Die Frauen gaben sich schließlich aber auch damit zufrieden, daß die gemeinsame Wahlliste zu zwei Dritteln mit grünen KandidatInnen und nur zu einem Drittel mit Frauen des Verbandes besetzt werden soll (siehe Interview). Was Halina Benkowski von der Westberliner FrauenfrAktion - eine der zahlreichen Beobachterinnen von drüben - zu dem entsetzten Aufschrei veranlaßte: „Wißt ihr überhaupt, was ihr da zustimmt. Da könnt ihr ja gleich das Bündnis aufkündigen und in die außerparlamentarische Opposition gehen.“ Prompt folgte die strenge Rüge vom Podium: „Ich möchte die Kollegin aus dem Westen bitten, sich nicht einzumischen.“ Heftiger Beifall.

Kandidatinnen wurden an diesem Abend nicht mehr gekürt. Denn das Wahlgesetz ist noch immer nicht verabschiedet, und solange bleibt unklar, ob die Parteien und Bündnisse mit einer Landesliste oder mehreren Bezirkslisten antreten werden.

Klar dagegen ist, daß die Aktivistinnen des Verbandes bereits jetzt am Rande ihrer Kräfte angelangt sind, und sich kaum eine um einen Posten als Berufspolitikerin reißt. Besonders die Berlinerinnen stöhnten unter dem Ansturm der Medien, die ihnen mit Bitten um Interviews und Fototerminen das Leben zur Hölle machen würden.

„Für eine fröhliche Revolution der Frauen mit politischer Konsequenz!“ heißt es am Schluß des verabschiedeten Programms. Am Schluß der zwölfstündigen Sitzung war von Fröhlichkeit oder gar von Revolution nichts mehr zu spüren. Nur müde Gesichter weit und breit.

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