Berlin - neue alte Hauptstadt der Deutschen

■ Die Vereinigungsszenarien bringen Berlins Städteplaner auf Trab und Bonns Bürokraten um ihre Ruhe

Im Grunde war es Helmut Kohl, der die deutsche Einheit in ja sogar unter - einem Museum begraben wollte; noch im Dezember wollte der Bundeskanzler partout nicht davon lassen, das Deutsche Historische Museum am Berliner Spreebogen zu bauen, schräg gegenüber vom Reichstagsgebäude. Seit Kriegsende gilt den Planern und Politikern aber gerade diese Ecke als die Reservefläche für einen künftigen gesamtdeutschen Regierungssitz, zumindest aber für ein Parlamentsviertel. Und das gilt jetzt erst recht. Immer schon hatten die Bundestagspräsidenten „ihre Hand“ auf diese Flächen gehalten: Als etwa der ehemalige CDU/FDP-Senat Pläne hegte, für das Berliner Kammergericht einen Parkplatz nördlich des Reichstagsgebäudes zu bebauen, kam aus Bonn ein klares „Nein“. Dieser Platz sei nach wie vor für einen Reichstagsanbau freizuhalten, für ein „Arbeitsgebäude“, das eines Tages den Bonner „Langen Eugen“ zu beerben hätte.

Geht es um die Frage, wo in Berlin ein Regierungsviertel entstehen könnte, stand der Spreebogen allerdings nie ohne Konkurrenz da. Auch der Flughafen Tempelhof - seit dem Bau des Airports Tegel ohnehin fast nur noch US -Militärstützpunkt - wurde als Reservefläche gehandelt. Heute können sich die Planer des Senats vorstellen, daß einige Ministerien hier ihre Bürohäuser hochziehen könnten. Die U-Bahn, die vor der Tür am „Platz der Luftbrücke“ hält, fährt schließlich geradewegs durch bis zum Ost-Berliner Umsteigebahnhof Friedrichstraße.

Für die grüne Umweltsenatorin Michaele Schreyer allerdings klingen solche Planspiele immer noch so, „als sollte West -Berlin allein Hauptstadt werden“ - nicht Gesamt-Berlin. Seit Montag läßt Schreyer „Szenarien“ einer möglichen „Hauptstadt Berlin“ entwickeln; und Ostberliner Planer sollen mit dabei sein, wenn die Frage beantwortet wird, „wieviel“ Hauptstadt in Berlin überhaupt „tragfähig“ ist. Nur „sukzessive“ würden die Ministerialstäbe und -behörden ja vom Rhein an die Spree ziehen, beruhigt Schreyer ihre alternative Basis, die von den offenen Grenzen und den Olympia-Plänen des Senats schon verschreckt genug ist.

Im Gegensatz zu West-Berlin ist Ost-Berlin ja bereits „Hauptstadt“. Hier haben die Senatspläner nicht nur viele Flächen entdeckt, „die brachliegen“ - etwa die riesenhaften Aufmarschflächen, die sich das Regime betonieren ließ -, sondern auch Verwaltungsgebäude en masse. Nicht auszuschließen also, daß Helmut Kohl oder sein gesamtdeutscher Nachfolger eines Tages am Marx-Engels-Forum seine Regierungsgeschäfte betreiben muß. Ob der Bundestag dann im „Palast der Republik“ tagen wird, erscheint allerdings fraglich. Der in den 70er Jahren erbaute „Palazzo Protzo“ ist offenbar asbestverseucht.

Weil die wasserköpfigen Zentralbehörden des Ost-Staates ohnehin radikal entschlackt werden müssen, rechnen manche Senatsplaner trotzdem mit einem solchen Überfluß an Büroräumen, „daß man darin ganz Europa regieren könnte“.

Für Senatsdirigent Wuthe, oberster Stadtplaner in der von Schreyer geführten Stadtentwicklungsbehörde, erfüllt ein Regierungsviertel ohnehin nur einen „winzigen Teil der Funktionen“, die eine Hauptstadt nun mal übernehmen muß. Viel mehr Arbeit machen den Planern die Konzerne aus aller Welt, die zu gerne ihre Präsenz in Berlin verstärken möchten. Am schnellsten war Daimler-Benz: Am Dienstag machte der Stuttgarter Konzern seine Pläne publik, das Hauptquartier für seinen neugegründeten vierten Unternehmensbereich für Dienstleistungen in Berlin zu errichten. Schon 1992 soll Baubeginn sein - am Potsdamer Platz, in der historischen Mitte der Stadt. Solange hier die Mauer die Stadt zerschnitt und das alte Stadtzentrum zur „Randlage“ abqualifizierte, ließen Bauherren diese Ecke links liegen. Heute dagegen werden sowohl die Senatoren in West-Berlin als auch die Behördenspitzen in Ost-Berlin regelrecht „belagert“ von Investoren. „Viele fahren schon mit der Videokamera rum“, erzählt man in der Ostberliner Bezirksplankommission, „und dann zeigen sie uns, wo Baulücken sind.“ In West-Berlin, wo man vom Interesse der Großkonzerne bisher nicht gerade verwöhnt wurde, rechnet man nach dem Vorstoß von Daimler-Benz nun fest mit dem Zuzug weiterer „headquarters“: In den nächsten Tagen, so die Prognose eines Senatsplaners, „wird mancher seine Hemmnisse abstreifen.“

Hans-Martin Tillack