Unser aller Zukunft: Die Kinder-betr.: ErzieherInnenstreik in Berlin-West

Betr.: ErzieherInnenstreik in Berlin-West

Sehr geehrter Herr Momper, es war sehr schön, Sie und Ihre KollegInnen täglich mit dem Brandenburger Tor im Rücken bewundern zu dürfen, doch nun reicht's. (...) Was halten Sie davon, wenn Sie sich mal wieder Ihren Aufgaben als Regierender Bürgermeister von Berlin-West widmen und sich unseren innenpolitischen Problemen zuwenden. Denn auch durch die Annahme der Tarifvertragsforderung der ErzieherInnen können Sie Stimmen für die nächste Wahl gewinnen. (...)

Ich finde es schon seit vielen Jahren traurig, daß für unsere Kinder - unser aller Zukunft, auch Ihrer Herr Momper

-jeder Pfennig zehnmal umgedreht wird, und bin der Meinung, daß eine Regierung, die eine derart bürgerInnenfeindliche Politik betreibt, ihren Berechtigungsnachweis verloren hat.

(...) Schön wäre, wenn Sie auch Ihre zuständigen KollegInnen dazu bewegen könnten und auf diesem Wege ein akzeptabler Tarifvertrag geschlossen werden kann. Ich schreibe hier im Namen meiner dreijährigen Tochter, die derzeit mit neun weiteren Kindern von einer Erzieherin betreut wird. (...)

Martina Arndt, Elternvertreterin in der Kita am Schäfersee, Reinickendorf

(...) Wer keine Kinder hat, kann sich nicht vorstellen, welche Probleme für uns Eltern durch den Kita-Streik entstehen.

Mütter lassen sich krank schreiben, müssen unbezahlten Urlaub nehmen oder die Kinder Hunderte von Kilometern weit zu den Großeltern bringen. Manche Mütter müssen die Kinder mit in die Betriebe nehmen, andere sie jeden Tag woanders abgeben: montags bei der Nachbarin, dienstags bei der Tante, mittwochs zur Oma usw. (Und was tun die Väter, Nachbarn, Onkels und Opas? Das gleiche wie die Herren Politiker? Die Probleme ignorieren? d.sin)

Obwohl unsere Verzweiflung wächst, stehen wir weiter hinter den Forderungen der ErzieherInnen! Uns beeindruckt, wie entschlossen und diszipliniert sie für eine gute Betreuungsarbeit streiken. Sie sollen und müssen jetzt durchhalten, und wir werden das auch.

Denn es hat sich nichts getan in unseren Kitas seit 15 Jahren. Ganz im Gegenteil: Der Personalschlüssel wurde verschlechtert. Wir kennen die Probleme, die ständig entstehen, wenn zum Beispiel jemand krank ist. Wir waren es, die sich beschwert haben, wenn Gruppen aufgeteilt werden mußten. Wir wissen, daß es so nicht weitergehen kann.

Uns verbittert, daß sich die Senatsseite so stur zeigt. Sicher ist es nicht einfach, die Forderungen der ErzieherInnen nach einem Zusatztarifvertrag für bessere Arbeitsbedingungen politisch umzusetzen, doch es ist nicht unmöglich. (...) Aus Verantwortungsgefühl gegenüber unseren Kindern sollte sich Herr Pätzold jetzt auf einem sozialen Gebiet profilieren und den ErzieherInnen entgegenkommen.

Simone Discher, Frank (unleserlich), Birgit Fleischmann -Rasch, Wolfgang Rusche

Sehr geehrter Herr Momper, ich bin enttäuscht - oder nein, das stimmt überhaupt! Im Gegenteil, ich habe recht! Es ist so, wie ich schon immer wußte, aber, weil es so traurig und trostlos und auch beängstigend ist, hatte ich es mit viel Selbstbetrug und der Flucht in die Ignoranz geschafft zu glauben, daß Sie, Herr Momper, ein Mensch sind mit Verantwortungsbewußtsein.

Kurze Zeit glaubte ich doch tatsächlich, daß es Ihnen ein Anliegen ist, daß es Ihr Ziel ist, daß Sie es als Ihre vordringlichste und wichtige Aufgabe sehen, für Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit in Berlin zu sorgen. Dafür zu kämpfen, daß diese Mangelware nach Berlin kommt. Ich wußte, diese Aufgabe haben sich schon viele gestellt, früher oder später sind sie fast alle daran gescheitert.

(...) Nun ja, ich gebe zu, ich habe zuviel von Ihnen verlangt. Nur, daß Sie so eilends zum karrieregeilen, profilierungssüchtigen und skrupellosen Null-Acht-Fünfzehn -Politiker abtauchen, das enttäuscht mich, wenn ich es recht bedenke, doch. Schade, wieder ein Typ mehr in der Zeitung, der zum beschleunigten Weiterblättern reizt.

(...) Ich bin 36 Jahre alt, Witwe, meine fünfjährige Tochter ist Halbwaise. Sie hat seit einigen Wochen noch ein zusätzliches Problem: Die Kita streikt. Inzwischen wissen wir, daß Ihnen das egal ist. Sie haben „wichtigere“ Dinge zu tun. (...)

Anneliese Scheib

(...) Es herrscht immer noch die Auffassung, daß die Arbeit mit kleinen Kindern keiner Gedanken bedarf und keine großen Auswirkungen hat. Die öffentliche Anerkennung des ErzieherInnenberufs steht in keinem Verhältnis zu der Bedeutung, die unserer Meinung nach dieser verantwortungsvollen Tätigkeit zukommen müßte.

Kinder sind täglich innerhalb und außerhalb der Kita den unterschiedlichsten Eindrücken, Erschütterungen und Konflikten ausgesetzt. Im Kontakt zu anderen Kindern und zur Erzieherin/zum Erzieher suchen sie diese überwältigenden, kränkenden und schmerzlichen Erlebnisse einzubringen. Auf diese Weise entlasten sie sich und versuchen so, mit ihren Problemen und Krisen irgendwie fertig zu werden.

Sind die ErzieherInnen in der Lage, auf solche verbalen und nichtverbalen Selbstmitteilungen verständnisvoll und unterstützend einzugehen, können die Kinder lernen, ihre Probleme angemessener zu bewältigen. Auf diese Weise werden sie offener und freier für neue Erfahrungen und Aktivitäten. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, kann das schädliche Auswirkungen auf die Kinder haben. Unerläßlich ist es deshalb, daß die ErzieherIn die Situation und die Befindlichkeit jedes einzelnen Kindes erfaßt und angemessen darauf reagiert.

Aus diesem Grund ist es unbedingt erforderlich, eine bestimmte Gruppengröße festzulegen und konstante Bezugspersonen zu gewährleisten. Beides ist leider unter den jetzigen Bedingungen in den Kindertagesstätten nicht annähernd erreicht.

Aus diesen Gründen unterstützen wir die Forderungen nach festgeschriebenen Gruppengrößen, Zuwachs an Personal und Zeit für Fort- und Weiterbildung.

Anette Franz, Ursula Schneider, Inge Tuchscherer, Elisabeth Murzynik-Marquardt, Ilse Steller, Christine Löwenstein, Gudrun Heese-Wolber, Peter Ellesat, Diplom-PsychologInnen, Diplom-PädagogInnen, Supervisorin, Kinder- und Jugendlichentherapeutin