Was das Tanzen erschwert

■ Pina Bauschs Filmdebut „Die Klage der Kaiserin“ im Forum

Ein schwarz kostümiertes Balletthäschen stolpert einen Hang hinauf, übermüdet, sinnlos im Kreis herum. Die Erde ist aufgeweicht, fast versinkt die Frau mit ihren hochhackigen Schuhen zwischen den Lehmklumpen. Ihr Kostüm ist verrutscht, man kann die kleinen Brustwarzen sehen. Die Musik spielt einen sizilianischen Trauermarsch, das Blech scheppert.

Ein Mann geht über eine Wiese, er trägt einen Schrank auf dem Rücken. Der Schrank ist viel zu groß und zu schwer für ihn. Er bricht fast zusammen, dennoch federt sein Schritt. Der Mann setzt den Schrank ab und will ihn wieder auf die Schultern nehmen, mit Hilfe von Stricken. Er geht in die Hocke, kippt vornüber, probiert es noch einmal. Und immer noch das scheppernde Blech.

Das mag ich an Pina Bausch: Ihr Ballett ist nicht schwerelos. Diesmal wird zudem nicht auf der Bühne, sondern im Freien getanzt. Dort gibt es noch mehr Hindernisse Erde, Lehm, Regen, Schnee, Sand - die jede Bewegung mühsam machen. Die Frauen tragen Kleinkinder, oder Schafe, oder Ziegen, sie rennen schreiend durch den Schnee, torkeln betrunken durch Schafherden oder stehen mit Gummistiefeln und Akkordeon auf einem Acker. Ein Mann ist über und über mit Lehm beschmiert, ein anderer trägt Frauenkleider, ein dritter kämmt sich mit der Gabel.

Zwei Paar Beine tanzen Tango und kommen sich dabei ständig in die Quere, und zwei Männer, ein großer Weißer und ein kleiner Schwarzer, probieren Boogie. Der eine tanzt auf einem Bein, das andere hat er um den Partner geschlungen. Die Kamera bleibt statisch, bewegt sich kaum. „Ich will mal gucken, ganz einfach und artig“, sagt Pina Bausch.

Leider hat sie doch mehr getan als einfach nur zu gucken, und leider ist Die Klage der Kaiserin mehr als eine Loseblatt-Sammlung von Bewegungsstudien. Eine Frau zitiert Grimms Märchen und Heine und Verszeilen, die klingen, wie aus Tausendundeiner Nacht. Eine andere mit ägyptischem Kopfputz erklärt in einer Schwarz-Weiß-Szene einem Mann, wie die Ägypter Pyramiden bauten und verwandelt sich in eine Sphinx. Eine Geisha reißt Seidenpapier in längliche Fetzen. Pina Bausch spielt im Märchenwald und in Wuppertal, mit Kitsch und Exotik, mit Licht und Schatten und Schleiern im Gegenlicht. Und beim Tango gibt's rote Schuhe in Großaufnahme: prätentiöses Kunsthandwerk.

Immerhin nimmt sie sich selber nicht unbedingt ernst. Wenn eine betrunkene Balletteuse in der Schwebebahn arabische Verse zitiert: „Mich wundert nur, daß einer liebt und sich am Leben hält“, dann hat das seine Komik. Aber sie tut es zweimal, schon wird es langweilig. Und wiederholt sich ein drittesmal: so ist es eben Kunst.

Die Musik des Films ist eine Zumutung. Nicht nur der sizilianische Trauermarsch ist übersteuert, sondern jede Musik, die afrikanische, asiatische, südamerikanische: 108 Minuten lang Scheppern. Ob Pina Bausch uns auch noch lehren will, was das Hören erschwert - ich will es nicht hoffen. Vielleicht war nur die Projektion im Delphi schuld.

Christiane Peitz

Pina Bausch: Die Klage der Kaiserin, Frankreich/BRD 1989, 108 Minuten