Modrow will Bonner Hilfe nicht auf Knien erbitten

DDR-Regierungschef zieht erwartungsgemäß kritische Bilanz seines Bonn-Besuchs / Bonner Äußerungen zur Zahlungsunfähigkeit der DDR als verantwortungslos gerügt / Währungsreform vor dem 18.März ausgeschlossen / Forderung nach sozialen Garantieerklärungen  ■  Aus Ost-Berlin Matthias Geis

Enttäuschung und kritische Anmerkungen an die Adresse der Bundesregierung betimmten gestern am Runden Tisch Ministerpräsident Modrows Resumee zum Bonn-Besuch. Er werde „nicht auf Knien“ um den Solidarbeitrag der Bundesrepublik nachsuchen, der bereits beim Dresden-Besuch Kohls im Dezember letzten Jahres in Aussicht gestellt worden sei.

So werde eine rasche Verbesserung der Lebensbedingungen in der DDR weiter erschwert. Auch habe sich die Bundesregierung nicht für die „gezielte Meinungsmache“ entschuldigt, mit der die BürgerInnen der DDR weiter verunsichert würden. Modrow sagte in diesem Zusammenhang, er habe die Äußerungen zur bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der DDR in Bonn als verantwortungslos gerügt. Auch weiterhin gäbe es Medien und „manche politische Kräfte in der BRD“, die auch jetzt nicht zu Besonnenheit und Beruhigung beitrügen.

Eine Währungsunion vor dem 18. März schloß der Ministerpräsident aus. Die Regierung sei nicht befugt, die Währungshoheit einfach preiszugeben. Deshalb werde er der Volkskammer auf ihrer heutigen Sitzung die Währungsunion nicht empfehlen. Es gelte jetzt, notwendige Arbeitsschritte in Richtung auf eine Wirtschaftsgemeinschaft einzuleiten, über die erst ein künftiges Parlament befinden könne. Modrow warnte vor überstürztem Vorgehen. Schwierige Rechtsfragen seien noch ungelöst. In diesem Zusammenhang sprach Modrow vom unantastbaren Recht der Bauern auf das Land, das sie im Zuge der Bodenreform nach dem Krieg erhalten hätten. In letzter Zeit hatten enteignete Grundbesitzer aus dem Westen ihre Ansprüche angemeldet.

Im Falle einer staatlichen Einigung forderte er soziale Garantieerklärungen, die sowohl Sparguthaben als auch die Lebensbedingungen von Rentnern und kinderreichen Familien sicherstellen müßten. In dieser Frage sei er in Bonn durchaus verstanden worden.

Modrow verwahrte sich ferner gegen die Auffassun von Verteidigungsminister Stoltenberg, der von einer Schutzgarantie der Nato für ganz Deutschland ausgehe. Das sei keine vertrauensbildende, vielmehr eine unannehmbare Position, die auch für die Vier Mächte kaum akzeptabel sei. Als wichtigstes Ergebnis des Bonn-Besuchs nannte Modrow die Weichenstellung beider Regierungen für die „baldige Vereinigung“.

Minister Wolfgang Ullmann von der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt bezog sich in diesem Zusammenhang auf Äußerungen Kohls und Waigels, derzufolge ein Anschluß der DDR, wie er nach Paragraph 23 des Grundgesetzes möglich sei, nicht in Frage komme. Ullmann betonte, der Einigungsprozeß müsse sich am Paragraph 146 des Grundgesetzes orientieren, der eine neue gesamtdeutsche Verfassung im Falle der Vereinigung vorsehe.

In der Diskussion über seinen Bericht gestand Modrow seine Ratlosigkeit über die anhaltende Fluchtwelle ein. Seit Öffnung der Grenzen seien die Gründe für eine Übersiedlung entfallen. Auch Bonn trage in dieser Frage Mitverantwortung. Er forderte die Bundesregierung auf, gemeinsam nach den Ursachen zu suchen.

Der Minister für örtliche Staatsorgane, Moreth, warnte vor einem weiteren Verfall der staatlichen Autorität und der öffentlichen Ordnung. Dadurch sei auch die Abhaltung der Volkskammerwahlen gefährdet. Die Arbeit der örtlichen Staatsorgane sei nur noch mit Hilfe der Bürgerkomittes aufrechtzuerhalten. Die Polizei sei verunsichert. Die Rechtssicherheit könne vielerorts nicht mehr gewährleistet werden. Mit dem Fall der Mauer ist nach Angaben des Ministers die Kriminalitätsrate sprunghaft angestiegen.