Die DSU hat den Anschluß schon vollzogen

Auch auf dem Parteitag der Deutschen Sozialen Union fehlte die West-Prominenz nicht / Studentische Gegendemonstration niedergebrüllt  ■  Aus Leipzig Brigitte Fehrle

„Eins zu eins noch 1990“ forderte mit naivem Optimismus ein Mann auf seinem selbstgemalten Transparent bei der Wahlkampfkundgebung der Deutschen Sozialen Union (DSU) nach ihrem Parteitag am Sonntag nachmittag in Leipzig. Der Mann hat die „harte DM“ als Ziel seiner Wünsche im Auge. Daß er eins zu eins auch die Schattenseiten der bundesrepublikanischen Gesellschaft geliefert bekommen wird, will er nicht wissen. Es wird ihm leicht gemacht, die Augen zu schließen.

Die konservativen Gäste aus der Bundesrepublik, Bundesinnenminister Schäuble (CDU) und Finanzminister Waigel (CSU), malen ihnen eine rosige Zukunft vor. „Niemand braucht Angst zu haben“, verkündet Theo Waigel, obwohl die Delegierten in der Leipziger Oper keine Bedenken vor sozialen Problemen nach einer Währungs- und Wirtschaftsunion äußern. Und fügt dreist hinzu:„In der sozialen Marktwirtschaft werden Sie alle wohlhabend sein.“

Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel kann jetzt ernten, was er in mühevollen Arbeitswochen gesät hat. Daß sich elf konservative Splitterparteien der DDR Ende Januar in der „Goldenen Krone“ zur DSU zusammengeschlossen haben, ist wesentlich sein Werk. Inzwischen zählt der konservative Zusammenschluß nach eigenen Angaben 35.000 Mitglieder. CDU und CSU haben die junge Partei offiziell zur „Schwesterpartei“ gekürt. Jetzt fließt die Wahlkampfhilfe, und die DSU dankt es. Mit „Freiheit statt Sozialismus“ hat sie das angestaubte CDU-Wahlmotto übernommen. Und daß das Grundsatzprogramm von den Mutterparteien abgeschrieben wurde, „ist wohl selbstverständlich“. Das meint jedenfalls der am Wochenende frisch gekürte Spitzenkandidat Hansjoachim Walther. Der Leipziger Mathematikprofessor präsentiert den Delegierten drei Säulen seiner Politik: Deutsche Einheit so schnell wie möglich, Soziale Marktwirtschaft, Rekonstruktion der Länder der DDR. Die Frage nach dem Profil der DSU stellte er sich selbst, um sie dann einfach zu beantworten. „Wir wollten die Einheit schon immer, die Linken erst in den letzten Wochen.“

Vielleicht ist es ihm selbst nicht aufgefallen, vielleicht ist es mangelnde Routine im parteipolitischen Geschäft: Bei all der heftigen Polemik gegen die „Linken“ war es auffällig, daß ihm bei der Aufzählung der Schandtaten des SED-Regimes gegenüber Einzelnen nur Linke einfielen. Walther zitierte den ausgebürgerten Wolf Biermann, Freya Klier und Bärbel Bohley, die „unter Einsatz ihres persönlichen Lebens in ihre Heimat zurückgekommen ist“, und selbst den ehemaligen SED Funktionär Walther Janka, der jahrelang zu Unrecht im Gefängnis gesessen habe. Man vermißte die „eigenen“ Helden der Widerstandsgeschichte.

Wie alle Redner bekam der Spitzenkandidat stürmischen Beifall. Bei so viel Übereinstimmung schien es nicht weiter schlimm, daß bei der Frage, wer das zur Abstimmung stehende Grundsatzprogramm noch nicht kenne, mehr als zwei Drittel der Delegierten die Hand hoben. Es wurde trotzdem einstimmig verabschiedet.

Warum auch nicht. Man will sowieso „so schnell wie möglich“ die Deutsche Einheit. Wenn es nach dem Vorsitzenden der Partei, dem Leipziger Pfarrer Ebeling geht, sollte der Paragraph 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik angewandt werden. Theoretisch könnte dann, sofort nach der Wahl zur Volkskammer, die DDR zur BRD „übertreten“. Für Ebeling ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die DDR das Grundgesetz, die „freiheitlichste Verfassung, die es je auf deutschem Boden gegeben hat“, und das, „was sich in 40 Jahren im anderen Teil unseres Vaterlandes bestens bewährt hat“, übernimmt.

Der 56jährige Pfarrer der Leipziger Thomasgemeinde hat sich und sein Land längst an die konservativen West-Parteien übergeben. Nur einmal schimmert da noch etwas anderes durch, eine schwache Erinnerung an Oppositionszeiten in der DDR, als Widerstand noch nicht ins Schema der West-Parteien gepreßt war. Es gehe, sagte Ebeling in seiner Rede, nicht so sehr darum, ob die DSU oder die SPD gewählt werde, sondern darum, daß in der DDR überhaupt eine demokratische Wahl stattfinden könne. „Ihr werdet verstehen, was ich meine“, sagte er an seine DDR-Freunde gewandt, wohl wissend, daß dieser Satz bei den Parteimäzenen aus dem Westen nicht gut ankommt.

Warum der Wahlkampf in der DDR gegen die SPD geführt werden muß, erklärte den Leipzigern Innenminister Schäuble. Die sei nämlich im Westen immer gegen die soziale Marktwirtschaft gewesen. Gegen den Widerstand der Sozialdemokraten hätten CDU und CSU den Wohlstand für alle durchsetzen müssen. Außerdem, und da haben die Konservativen leichtes Spiel, wäre die DDR nach dem Willen der SPD längst zum Ausland geworden.

Daß derartige Äußerungen und parteipolitische Interessenpolitik bei den Leipzigern wenig demokratisches Verhalten hervorruft und die Emotionen schürt, nehmen die umjubelten Konservativen in Kauf. Am späten Sonntag nachmittag brüllten die 10.000 Kundgebungsteilnehmer eine Handvoll Studenten nieder, die gegen die westliche Einmischung demonstrierten. „Rote raus“ und „Linke Chaoten und rote Nieten sollte man verbieten“, hieß es gegen die „Wandlitzkinder“. Und während sich auf dem Balkon der Oper Pfarrer Ebeling auf die Deutsche Einheit freute, stieß ein DSU-Anhänger einen Protestdemonstraten unten die Treppe der Oper hinunter. Die Deutsche Soziale Union hat den Wahlkampf eröffnet.