DER endgültige WETTBEWERBSBEITRAG

■ Ein postmodernes Historiendrama um Kultur und Kommerz in einem Akt

Uraufführung am 16. Februar 1990. Ort: Humboldtuniversität in Noch-DDR. Mitspieler: Dietmar Keller (Post-Weizsäcker), Anke Martiny (Kulturkritikerin), Conny Konzack, (Postalternativveranstalter), Lothar Biege (Menschenkenner, jetzt im Westen singend), Pollack (Zentraler Ausstellungsdirektor), Verena Runge (soziologisch versierte Moderatorin), frustrierte bis unzufriedene historische Arbeiter- und Studentenschaft.

Pollack: Kommerzialisierung - das ist ein weiter Begriff. Daß es eine kulturelle Grundversorgung geben muß, darüber herrscht Einigkeit. Doch wo hört sie auf?

Biege: Auch in der DDR mußte ich mit meinen Platten Kompromisse machen, um aus dem Fenster gucken zu können. Aber im Westen ist es noch schwerer.

Martiny: Ich verstehe die Angst derer, die das, was sie für DDR-spezifische Kunst halten, unter'n bösen Schlitten geraten sehen. Aber ich höre immer die Behauptung, daß es eine DDR-spezifische Kunst gibt, daß es Werte gibt, die man behalten möchte. Da möchte ich mal zurückfragen, was das denn für welche sind.

Runge: Ich weiß, daß das ein riesiges Thema ist. Ich habe es auch erst heute erhalten.

Keller: Ich habe das Glück, daß ich gegen die Wirtschaft mit den Künstlern kämpfen kann. Das Thema ist natürlich Wahnsinn. Eines ist sicher, daß die gegenwärtige Subventionspolitik in der Kultur nicht zu halten ist. Wir müssen Mittel und Wege finden, daß auch in Zukunft jeder unabhängig von seinem Alter und seinen sozialen Möglichkeiten an der Kultur teilnehmen kann. Daß das bisher möglich war, hat nicht unwesentlich die Spezifik unserer Kultur ausgemacht.

Martiny: Dieser Anspruch besteht in unserem Land genauso, daß unabhängig vom Einkommensniveau Kunst konsumiert werden kann.

Ältere Arbeiterin (aufgeregt): Der Ausverkauf ist doch schon längst eine Tatsache! Ich habe heute für Don Giovanni in der Staatsoper Karten kaufen wollen, und ich habe keine gekriegt! Für Inhaber des Opernrings gibt es keine Karten mehr, hat man gesagt! Das Gruppenanrecht für die Betriebe fällt weg. Seit Januar ist das schon so. Wir verkaufen alles, was wir ha...

Runge: Herr Keller, Sie wollen sicher darauf antworten?

Keller (resigniert): Was soll ich darauf antworten. Das ist die beginnende Kommerzialisierung unseres Kunstlebens.

Runge: Gibt es denn keine Anrechte im Westen?

Martiny (eifrig): Es gibt Abonnements, aber die sind sehr begrenzt und manchmal sogar vererbt. Im freien Verkauf sind gewöhnlich nur sehr wenig Karten, es ist aber nicht so, daß bestimmte Leute bevorzugt werden. Natürlich muß man die Spitzen zusätzlich finanzieren. Wenn Luciano Pavarotti in der Oper singt, dann ist das ein großes Defizit. Wenn er aber in der Waldbühne mit 25.000 Plätzen auftritt, dann trägt sich das selbst. Das heißt, Grundversorgung kann auch heißen, daß man ein paar Mal durch den allgemeinen Topf die Stars auffängt, anderswo kommt das wieder herein.

Pollack: Man kann nicht so tun, als ob man in diesem Land bei Null anfängt. Die Frage ist doch, was ist trotz dieser Krise erreicht worden. Unter anderen Verhältnissen entsteht auch eine andere Kunst mit anderen Funktionen.

Martiny: Was ist anders?

Pollack: Daß zum Beispiel unsere Künstler gelernt haben, sensibler auf gesellschaftliche Verhältnisse einzuwirken und sensibler zu versuchen, sie zu verändern. Die bildende Kunst nach 45 hat bewußt Bezug auf die Traditionen der realistischen deutschen Malerei genommen, in der BRD ist da ein anderer Weg gegangen worden. Die Künstler, die in den letzten dreißig, vierzig Jahren in dieser Tradition gearbeitet haben, können das nicht einfach löschen. Oder die politischen Umstände, die deutsche Texte in unserer Rockmusik befördert haben, davon ging ja eine beispielhafte Wirkung aus: Das ging so weit, daß auch Künstler in der BRD deutsch sangen.

Biege: Damit kann man aber die Methode nicht rechtfertigen. Es sind dabei ja auch ziemlich merkwürdige Werke entstanden.

Keller: Zur Frage der Spezifik. Bei dieser Frage läuft es mir kalt den Rücken runter. Darin ist doch enthalten: Es ist alles umsonst gewesen. Und als Unterton: Ziert euch nicht so, so viel habt ihr doch nicht zu bieten. Wir sollten mehr Toleranz und gegenseitige Würde üben.

Runge: Vielleicht sollten wir uns einmal die Frage stellen: Was wäre gewesen, wenn alles anders gewesen wäre. Wir müssen doch erst auflisten, was war, um zu sehen, was hätte sein können. Schlüsselpunkt müßte sein die Entwicklung, die nicht stattgefunden hat.

Martiny: Es ist bisher in der Bundesrepublik nicht so bekannt gewesen, was hier real flächendeckend an bildender Kunst vorhanden war. In den Ausstellungen im Westen wurde immer nur eine bestimmte Gruppe ausgestellt. Ich habe da wenig Authentisches gefunden, viele Anleihen an westliche Künstler, aber keine spürbare eigene Handschrift.

Keller: Einspruch!

Martiny: Gerade heute habe ich mich mit einer DDR-Filmerin unterhalten - der Film war schlecht - sie konnte nicht nachempfinden, warum das Publikum gebuht hat, und sagte, sie hätte doch an solch einem wunderbaren italienischen Schauplatz gedreht. Nur, in Italien sieht es an jeder Ecke so aus, sie war eben noch nie da. Ich will damit sagen, daß die Beschränkungen auch Konstitutionsbedingungen der Kunst sind. Und ich würde mir wünschen, daß das, was sich bisher nicht entfalten konnte, sich doch jetzt bitte entfalten kann.

Junge Arbeiterin (gescheit): Das ganze hat mit Abhängigkeit und Kreativität zu tun. Zuerst zur Abhängigkeit. Drüben wär ich seit Jahren arbeitslos. Hier kann ich nicht so einfach auf die Straße gesetzt werden. Und zur Kreativität: Ich hab jetzt viele Bilder im Westen gesehen. Und ich muß sagen, die Bilder drüben langweilen mich gegen die Bilder, die ich hier sehen kann. Mit so einem schwarzen Klecks, ja das hab ich oft gesehen. Aber gesellschaftliche Widersprüche im Bild, so richtig zerrissen, das hab ich drüben nicht gesehen, nicht ein einziges solches Bild hab ich gesehen... Und zu den Liedern drüben, da muß ich sagen, grade was die Lieder von Holger Biege betrifft, ich hör mir die gerne an, aber die sind doch thematisch sehr eingeschränkt, immer nur von Liebe, ich hab nichts gegen Liebe, aber bei uns konnte man auch von was anderem singen. Ich mag Karat und die Puhdies und...

Runge: Die Frage ist verstanden.

Student: Ich glaube, das Problem ist diese Übergangssituation. Der Fahrplan fehlt. In den letzten Jahren sind sowohl die Massenmedien wie die kulturelle Infrastruktur vernachlässigt worden. Es hat sich ein staatlicher Kulturtyp herausgebildet. Aber mir gefällt auch nicht die Tendenz, den Westen immer zum Nabel der Welt zu machen.

Studentin: Ich empfinde das als einen Kniefall vor dem Westen. Was haben wir zu verlieren, 10- oder 20-Punkte -Programme. Wenn ich das so sehe, bin ich nicht mehr das Volk.

Konzack: Ich bin traurig, wie dieser Staat verfällt, weil es ein anständiger Staat ist. Ich bin ungern in der Funktion, daß ich sagen soll, wie Kunst und Kommerz funktionieren.

Ältere Arbeiterin: Jetzt kann ich es ja sagen. Wir haben deshalb keine Karten mehr bekommen, weil unser Verwaltungsdirektor den Vertrag mit der Oper gekündigt hat. Für die Karten von Holger Biege mußte ich schon 10 Prozent über dem Kaufpreis hinlegen. Wer weiß, wie lange es die Kultur in den Betrieben noch geben wird?! Wer soll denn in die Theater gehen, wenn nicht das Volk?!

Runge: Warum sollen die Arbeiter nicht ins Theater gehen, nur weil der Betrieb nichts mehr macht. Wo bleibt das Mäzenatentum?

Martiny: Wo steht denn geschrieben, daß es das alles nicht mehr geben wird? Ich habe neulich die Bayer-Werke besichtigt, die haben auch Sportvereine für die Werksangehörigen. Allerdings ist das auch ein großes Werk, das sich so was leisten kann.

Keller: Wir können doch nicht an der Tatsache vorbei: Siebentausend Menschen haben unser Land verlassen, in den letzten Tagen gab es 145 Demonstrationen, 138 Streiks und 98 Bombendrohungen. Kultur ist ein Zuschußgebiet, das ist so tief in den Köpfen, daß es in dieser Situation gestrichen werden wird. Dabei weiß jeder Manager, daß Kunst ein Produktionsfaktor ist und die Kreativität fördert. Wir müssen die Wirtschaft zwingen umzudenken. Hier müssen Sie alle genauso dafür kämpfen.

Jüngere Arbeiterin: Daß so viele ausgereist sind, das liegt nämlich daran, daß es seit den Siebzigern keine Beteiligung in den Betrieben mehr gab und daß...

Publikum (laut schreiend): Wir wollen keine Belehrungen! Setzen Sie sich hin! Setzen Sie sich! (setzt sich still)

Student: Ich empfinde Ihr Auftreten, Frau Martiny, als gönnerhaft und möchte Ihnen die Frage stellen: Was kann aus Ihrer Sicht die BRD als eigenständigen Beitrag in die Kulturlandschaft einbringen?

Martiny (schlagfertig): Die Frage ist sehr gut. Das frage ich mich manchmal auch. Zum Beispiel beim Theatertreffen, da kamen die spannendsten Inszenierungen aus Berlin und Schwerin. Bei uns ist vieles hohl, vieles Blabla, inszenierte Nichtigkeiten. Selbst der Tschechowsche Kirschgarten, der so wunderbar war, hat mich doch ratlos gelassen, wofür er steht, welche gesellschaftliche Relevanz er besitzt. Und ich muß sagen, am liebsten habe ich die Bücher aus der DDR gelesen. Ich finde die Diskussion so larmoyant und mutlos. Ihre Kultur hat auch sehr viele positive Dinge, zum Beispiel die Sozialleistungen, das werden Sie noch merken!

Biege (beschwörend): Also ich kann nicht sagen, daß meine Kreativität im Westen nachgelassen hätte. Es wird viel zuviel über Angst geredet. Wir sollten aufbauend nach vorne schauen! Es haben sich in diesem Land wunderbare Sachen entwickelt, aber irgendwann ist es Inzucht. Sie sind anders geformt im Westen, die Menschen, aber sie sind auch menschlich, sind auch Menschen!

Ende.

Leidlich mitstenografiert:

Dorothee Hackenberg