DAS HEILIGE IM NAHVERKEHR

■ Auf der Suche nach dem realidealistischen Künstler in der DDR

Suche Fabriketage für Musikstudio, 100 Quadratmeter, mit Zentralheizung, zentral gelegen, Belohnung in Westmark“ Ein Anschlag in Büttenweiß auf den sozialistischen Realismus. Ich selbst hab‘ den Zettel nie gesehen, aber sagenhaft von verschiedenster Seite kolportiert bekommen. Wie naiv der Westler doch ist... Scheint das Manna im Osten zu erhoffen, nachdem es im Westen versiegt wegen steigender Grundstückspreise, explodierender Gewerbemieten und fehlendem Kündigungsschutz außerhalb von Jahresverträgen. Und im Osten sorgt man sich derweil nicht nur um die Fortexistenz eines Subventionsnetzes, das Ausdruck einer Künstler-Haltung aus Überzeugung war, sondern um die Kultur insgesamt, um den „Ausverkauf der kulturellen Werte“, eine Angst, die in der DDR noch gläubig ausgesprochen werden kann wie alle idealen Sätze, die hier sofort zu Staub zerfielen.

Der Berufsverband Bildender Künstler West-Berlins hat dagegen andere Sorgen. Angesichts dessen, daß 1.000 Ateliers in (Ganz) Berlin fehlen, treibt ihn folgendes um: „Kulturmetropole, ja sogar Kulturregion sind Begriffe, die das Berlin der Zukunft umschreiben. Aber wie sollen wir diese Schlagworte mit Inhalt füllen, wenn sich junge Kunst nicht etablieren kann?“. Spotte keiner mehr über die Auftragskunst der deutschdemokratischen Beamten! Der Metropolenkünstler kämpft verzweifelt um sein ihm zustehendes Recht am Ausmalen, der Hauptstadtkünstler dagegen kommt heim ins föderative Reich des Bösen mit dem Angebot, die sozialen Errungenschaften des Sozialismus als Brautgeschenk hinüberzuretten und vielleicht nebenbei einem neuen Hyper-Kulturstaat das Leben zu schenken, was die eigenen Implantationsschmerzen lindern könnte. So vermischen sich in den Krisentreffen hüben und drüben Profanes und Heiliges: Von der Sorge um die Konvertierbarkeit der Verbände, nämlich daß Hotelbetten für Gäste aus dem westlichen Ausland im Interconti den Verband der Bildenden Künstler mittlerweile das Dreifache kosten, was die Möglichkeiten eines Austauschprogramms für Künstler der DDR reduziert, bis hin zur Beschwörung einer „humanistischen Weltsubstanz: Völkerverständigung, Frieden, soziale Gleichberechtigung“ (siehe nebenstehendes Interview). Macht dieses Ungleichgewicht von Menschheitsidealen und einer gut gepäppelten Krämerseele den Hauptstadt-Künstler aus? Eines ist sicher: den dezentralen Ost-Künstler gibt es nur als Ausnahme von der Regel. Alle Wege laufen über den Magistrat.

Im Innern des Wals

Um die alten Verwaltungsgebäude schlendern gelangweilt Polizisten. In der schummrig-nostalgischen Pförtnerloge sitzen ein freundlicher Herr oder ein junges Mädchen. Im ersten Stock muß man an einem klobigen Arbeiter vorbei, der mit solch verzweifelter Entschlossenheit auf ein kariertes Papier herniederstarrt, daß er von der Wand zu fallen droht. Ein Stück weiter entschädigen Landschulheimfotos und Schwesterntrachten. Im knapp zehn Quadratmeter großen Zimmer hundertzwei, Abteilung Arbeits- und Lebensbedingungen für Künstler, sitzt seit zehn Jahren Frau Kasch. „Ich habe gehört, daß es so etwas bei Ihnen nicht gibt, was mir Sorgen macht. In Kenntnis der Materie weiß ich, wie sensibel Künstler sind, wie hilflos gegenüber der Bürokratie.“ Zu Frau Kasch, die in den letzten Jahren der „stärktstbesuchte Verwaltungsmensch“ war, kam nicht nur, wer gefördert werden wollte, sondern auch, wer eine Gasheizung brauchte und mit den Antragsformularen nicht zurechtkam. Aber auch sonst kämpfte Frau Kasch mit persönlichem Einsatz für die Interessen der Künstler, unter Umständen auch gegen die Magistratsbehörden, um den Rechtsanspruch auf Unterstützung einzuklagen. „Gerade junge Künstler kamen mit sehr massiven Forderungen, indem sie sagten: Staat, du hast mich studieren lassen, jetzt bin ich fertig, jetzt schaff mir auch die Möglichkeit zu arbeiten.“

So gesehen, lebte der deutschdemokratische Kulturschaffende tatsächlich wie im Paradies, zumindest theoretisch. Wer im Verband Bildender Künstler aufgenommen wurde - allerdings war dies die Voraussetzung für ein legales Berufskünstlertum -, hatte Anspruch auf subventionierten Arbeits- und Wohnraum, konnte zinslose Darlehen oder Förderverträge für Material und Ausbau von Ateliers beantragen und Aufträge über den Staat einklagen. Eine Wohnung konnte Frau Kasch zwar nicht aus der Schublade ziehen, aber sie beherrscht offenbar das Spiel, kulturfremde Verwaltungen über Geigenbauer, die Ruhe und Maler, die Nordlicht brauchen, aufzuklären, setzte sich auch privat mit den Künstlern auseinander, die herkömmliche Arbeitszeit langte nie. „Ich habe mich im Laufe der Jahre mit eigener disziplinierter Arbeit an die ganze Stadt rangemacht, habe mir eine Übersicht erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Bereich, mit den Gewerberaumlenkern und den einzelnen KWVen (Kommunale Wohnungs-Verwaltungen).“

Diese Übersicht über den Notstand - zweihundert Anliegen werden zur Zeit bearbeitet, Klagen über Arbeitsräume, die „zu klein, zu dunkel, zu feucht“ sind - hat nicht einmal der Verband Bildender Künstler. Der Künstler durfte ganz Künstler sein, den Haushalt besorgte Frau Kasch. Jetzt befürchtet sie, daß bei der Verjüngungskur und Umstrukturierung der Verbände diese Selbstverständlichkeit leichthin über Bord geworfen wird: „Die Künstler, mit denen ich in den Verbänden zusammengearbeitet habe, werden von ihren Kollegen als Administraturen, als Leute vom grünen Tisch begriffen, aber das war unbezahlte gesellschaftliche Arbeit.“ Nicht so sehr die Sorge um ihre eigene Existenz treibt die Künstlerseelsorgerin um - der Verwaltungsapparat müsse sich im Gegenteil jetzt aus vielen Dingen herauskatapultieren - sondern Enttäuschung und Verunsicherung darüber, daß nach jahrelanger Arbeit in und außerhalb der Partei nun die mühevolle Kleinarbeit von Marktdarwinisten droht überrannt zu werden. In der letzten Zeit sind nur wenige Künstler in die winzige Abteilung gekommen, weil sie wissen, daß in der komplizierten Lage nichts vom Magistrat zu fordern ist. „Früher wollten alle mehr, größere, schönere Ateliers“, wenn jetzt jemand kommt, will er, was er 30 Jahre lang bewohnt hat, gegen ein kleineres Atelier umtauschen, aus Angst, es sich in Zukunft nicht mehr leisten zu können.

Frau Kasch glaubt nicht an die Fortexistenz ihrer Abteilung in der „jetzige Struktur“. Vorrangig wird es in Zukunft um Vermittlung von Wohnraum für Neuengagements der Theater gehen. Aber sie bemüht sich, ihre Kenntnisse in Form von Unterlagen zu hinterlassen, momentan ist sie im Jahr 1986 angelangt, „ein mittelschwerer Aktenordner von relativ geringem Umfang, was in ein bis zwei Jahren abarbeitbar ist.“ Aber auch wenn es sie nicht mehr geben sollte, möchte sie nicht, „daß in diesem Schreibtisch etwas liegt, was unbearbeitet ist. Ich möchte guten Gewissens sagen: Wir haben nichts vergessen. Wir haben jedes einzelne Problem auch an die dafür zuständige Stelle weitergegeben.“

Der staatlich angestellte Künstler

Der Künstler - ein gepenstisch umsorgtes Wesen, vormundschaftlich und liebevoll verwaltet. „Man studiert eben Kunst wie Elektrik, also kann man auch einen Arbeitsplatz erwarten“, bemerkt Jo Doese, Bildhauer und Maler, und wie alle Mitglied im Verband Bildender Künstler. Die Aufnahmemodalitäten in den Verband förderten die Profimentalität und begrenzten die Künstlerschaft, wobei bei der Zulassungsprüfung an die Autodidakten nicht geringere Anforderungen als an die fast automatisch übernommenen Studenten gestellt werden. Seit Mitte der achtziger Jahre wurden aber auch subkulturelle Aktivitäten, Ausstellungen in Wohnungen etc. geduldet. „Du warst gefesselt und geknebelt, aber konntest dich in der kleinen Kiste gut verteilen.“

Daß auch die Subkultur jetzt eine Arbeitserlaubnis bekommen wird, prophezeit Stefan Weiß, Designer und natürlich Verbandsmitglied. Nicht daß er ihr angehören würde, er entwickelt nur gerade zusammen mit der Kulturinitiative '89 ein Konzept für das zwei Hektar große Gelände der Schultheißbrauerei an der Schönhauser Allee, ein geschlossenes festungsartiges Industriedenkmal von 1880, gebaut von Franz Schwechten, dem Architekten des Anhalter Bahnhofs und der Gedächtniskirche. In dem zukünfigen ersehnten Kulturkarree, einem „Kulturzentrum von europäischer Ausstrahlung“, das zur Zeit allerdings von einem Möbellager besetzt wird, sollten Theater, Cafe, Kino, Galerine, Werkstätten, Kunstbibliothek und Biergarten Platz finden. Sogar an einer Schultheiß-Miniaturbrauerei zuliebe des zukünftigen? Sponsors Schultheiß wäre gedacht - nur sind die Nutzungs- und Eigentumsrechte noch gar nicht geklärt.

Ausgerechnet ein solcher Kulturzentrumsaktivist, der im Westen der Off-Kultur mit Haut und Haaren verschrieben wäre, schwört auf das Berufskünstlertum. Man könne doch auch nicht als Laie operieren. Kunst kommt also doch von Können? „Wenn ich daran denke, daß in Zukunft jeder auf dem freien Markt der Kunst arbeiten kann - da wird eine Unmenge von Scharlatanerie hochkommen, vor der mir heute schon graut...“ Sein Freund, der Jurist Michael Roggenbrodt, Mitarbeiter in der Kulturinitiative '89, glaubt, daß man sich in Zukunft verabschieden muß von der Regelung, daß „einer, wenn er einmal vom Staat gefördert wurde und Erfolg hatte, ein Staatskünstler oder wenn er Malerei studiert hat, a priori Maler ist. Das wird sich in der Praxis herausstellen.“

Aber auch der staatlich gezeugte Künster ist nicht automatisch ein geförderter. Während die Musiker früh mit Ateliers versogt werden, muß man sich im Bauwesen hocharbeiten. „Die Bildhauer wuseln rum in Erdgeschoßen mit schlechtem Licht. Die Ateliers, die gebaut worden sind, sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Wer hier Absolvent der Hochschule ist steht, genauso vor dem Nichts wie in West -Berlin. Frau Kasch verwaltet den Mangel, und zwar sehr gerecht, aber es ist eben Mangel.

Stefan Weiß hat sich seine Fabriketage vor zehn Jahren gegen den Widerstand der KWV selbst angeeignet und sein erstes selbstverdientes Geld in ein Dach für die Ruine gesteckt. Armee, fünf Jahre Studium, drei Jahre Kandidat für die Aufnahme im Verband, da war er auch schon dreißig. Vier Jahre hat er an einem Nahverkehrsinformationssystem gearbeitet. Immerhin war das ein Auftrag und vom „stalinistischen System hat er sich nicht unterdrückt gefühlt“.

Das Auftragswesen

Seitenwechsel. Gerald Matzner, der zusammen mit anderen Künstlern in einer Hinterhoffabrik in der Gerichtsstraße im Wedding sein Atelier hat, bekam vor Jahresende eine dreihundertprozentige Mieterhöhung ins Haus. Die Gesobau, senatsgeförderte Wohnungsbaugesellschaft, begründete die Mietsteigerung mit erhöhten Aufwandsentschädigungen und buchte flugs die Wuchermiete gleich ab. Auf Druck des Berufsverbands Bildender Künstler und des Bezirks kam eine Mieterversammlung mit der Gesobau zustande, bei der die Gesellschaft nicht nur auf eine geringe Mietsteigerung zurücksteckte, sondern plötzlich gar das Mäzenatentum entdeckte: Geso-Vorstand Brüning versprach einen Mieterlaß über den Abkauf von Kunstwerken und wurde gleich darauf im 'Nordberliner‘ als Gönner gefeiert.

Fast eine Lösung a la DDR, wo der Staat mithilfe der Betriebe Abnahme und Auskommen der Künstler sicherte. Nur ist die Baufreudigkeit von Kindertagesstätten und anderen öffentlichen Einrichtungen, deren Front zu verschönern wäre, systemübergreifend geschwunden - im Westen, weil der Torso in spektakulären Zeiten gegenüber ebensolchen Projekten ins Hintertreffen geraten ist, und im Osten, weil die parteistaatlichen Auftraggeber zum Teil gar nicht mehr existieren. „Früher konnte man“, so Michael Roggenbrodt, „als Verbandsmitglied sich über Auftragsmangel beim Staat beschweren. Dann wurden auf zum Teil dubiose Weise irgendwelche Betriebe und Genossenschaften gefunden, die irgendeinen Auftrag auslösten.“ Der interessierte zwar den Künstler meist nicht besonders, sicherte aber seinen Lebensunterhalt und war zugleich Beschäftigungstherapie. Was den Beteiligten mitunter gar nicht auffiel, da LPG -Vorsitzender und Künstler die Auftragsbauernmalerei ohne Leidenschaft absolvierten.

Freie Initiative jenseits der Vorzeigeobjekte war dagegen nicht gefragt. Anfang 89 hatte Stefan Weiß noch beim 1. Sekretär der SED und wahren Lenker der Stadt, Günter Schabowski, seine Kulurkarree-Pläne vorgestellt und wurde ohne Gespräch nach dreiwöchiger Prüfung abserviert. Jetzt gibt es erst recht kein Geld, zumal Kultur gegen Ökonomie und Ökologie ausgespielt wird, statt in einem ökologischen Umbau als Arbeits- und Alltagskultur mitgedacht zu werden.

Von den Parteien und Initiativen, von den kulturpolitischen Minimaläußerungen des Runden Tischs und auch von den großen Worten des „Schutzverbunds Künstler der DDR“ fühlen sich die Künstler enttäuscht. „Die DDR soll ein Kulturstaat werden. Na was issen des? Ich kann mir darunter wenig vorstellen, bevor nicht praktische Politik gemacht wird.“ Stefan Weiß, der den Beruf des Künstlers im Prinzip für eine Form der spätbürgerlichen Entwicklung hält und das durchdemokratisierte Universalkünstlertum anstrebt (was nicht ausschließt, daß er es momentan für sinnvoll hält, sich als Künstler zu bezeichnen), schreckt die westliche Verkunstung von allem und jedem, wo die Küche, das Leben, das eigene Dasein zur Inszenierung wird. „Ein Bügeleisen mit Bananengriff ist für mich Vergeudung von Ressourcen. Man sollte mal überlegen, ob man im Sinne des ökologische Umbaus nicht die Verrechnunseinheit Kalorien einführt, das heißt, die Verbrennung, die Energie zur Produktion eines Produkts in Kalorien berechnen.“ Was wenig Kalorien braucht, ist dann eben Qualität.

Wie kann man dann den Kalorienwert eines Bildes im Verhältnis zu seiner gesellschaftlichen Relevanz errechnen? Bisher gab es auch Künstler, so verrät Frau Kasch, die, staatlich gefördert und von welcher gesellschaftlichen Relevanz auch immer, sich weigerten, auch nur ein einziges Bild zu verkaufen, weil sie sich von keinem trennen konnten. Selig, wer sich solche überflüssigen Künstler halten kann. Die Perestroika wird wüten.

Dorothee Hackenberg