Über die Stränge, die strings

■ „Step Across the Border“ von Nicolas Humbert und Werner Penzel

Der Jazzfilm im Delphi um Mitternacht: eine Berlinale -Tradition, die nur bewahrt werden konnte, solange es neue Filme gibt. Nostalgisch erinnern wir uns an den schwermütigen Spielfilm über das alter ego Dexter Gordons, gespielt von Dexter Gordon (leben in Paris, sterben in New York); an diese irgendwie teuflisch gute Assemblage über den Piano-Bären Theolonius Monk, der im ganzen Film vielleicht eine Minute auftauchte (und das funktionierte); an die leichtfüßige Ode Bruce Webers an seinen Chet Baker, die den verschrobenen Trompeter unfreiwillig als ganz armselige Figur vorführte.

So sollten wir dieses Jahr getröstet werden: Mit J'ai ete au bal/Went to the Dance über die Musik des „tiefen Südens“ Amerikas, Cajun und Zydeco, am ersten Festivaltag. Am nächsten Tag Step Across the Border, am dritten Konitz, und am vierten Das blinde Ohr der Oper, aus und vorbei mit den Epen über improvisierte Musik.

J'ai ete au bal war eine wohl recht vollständige chronologische Dokumentation über die Musik des swamp, der Sümpfe von Louisiana. Über seine Bravheit rettete ihn diese irgendwie krude Musik. Allerdings wurde versäumt, die Texte zu kommentieren, die fast immer Lieder von Männern an Mädchen von 13 oder 16 Jahren waren (das Alter wurde nicht verhehlt), Motto: Und deine Mutter stört. Ab der Hälfte des Films bei jedem Song-Anfang brüllendes Gelächter.

Der echte Killer war Konitz - Portrait of the Artist as Saxophonist von Robert Daudelin, Kanadier, Leiter der Cinematheque Qubecoise. Konitz ist ein guter Bläser und ein weicher Mensch, ein bescheidener Bourgeois, der besser zu hören ist als anzusehen.

Daudelin zeigt Konitz abwechselnd mit Schülern (wie sind sie langweilig und häßlich!) und im Duo mit dem Pianisten Harold Danko. In der Konzertsituation wechselt der monochrome Hintergrund: erst gelb, dann grün, dann rot. Vor dem Violett bin ich dann geflüchtet. Eine Warnung an alle Buchhalter des Films: Lasset Euch nicht versuchen, versucht es nicht!

Aber jetzt: Step Across the Border ist wohl der beste Musikfilm, den ich jemals gesehen habe. Zunächst war ich skeptisch. Erstens ist einer der beiden Filmemacher, der Schweizer Nicolas Humbert, mit mir fast gleichalt. Diese Sache mit der Angst und der Eitelkeit. Zum andern kann man gegen diesen Film objektiv etwas vorbringen: er gibt fast keine „harte Fakten“ über den Musiker, den er vorstellt: Fred Frith. Zum Beispiel nicht, daß er 1949 in England geboren ist, mit fünf Jahren „seine Ausbildung an der Violine“ begann, in der Pubertät „alle möglichen Gitarren -Stile“ ausprobierte - von den „Shadows über Villa-Lobos bis zu Blues und Flamenco“ oder daß er seit 1974 „ein Doppelleben“ führt: „zum einen als improvisierender Musiker, zum andern als Komponist und Songwriter“ (Infoblatt 4 des „internationalen forums des jungen films“, Berlin 1990).

Der Film zeigt Frith, wie er emotionale Motive - etwa „killing time“ - mit dem Mund trompetet und mit den Händen klopft; wie er in ein trompetendes Lachen ausbricht, jenes Lachen der Gehemmten, ganz im Hals.

Ansonsten folgt der Film den merkwürdigsten Fäden und Assoziationen. Das (brilliante) Trommelsolo eines vielleicht zwölfjährigen Schwarzen in einer U-Bahn-Station wird abgelöst vom Schlagen auf Pflastersteine, die irgendwo gerade verlegt werden: und das ist schon der offensichtlichste Schnitt.

Der Kameramann, ein Poet der Branche, heißt Oskar Salgado. Und wenn Step Across the Border hoffentlich bald in die gut gehenden Off-Kinos kommt, ist diese Zeitung ganz bestimmt dabei.

Ulf Erdmann Ziegler

Step Across the Border, von Nicolas Humbert und Werner Penzel. Kamera: Oskar Salgado. Musik von und mit: Fred Frith, Iva Bitov, Fred Maher, John Zorn und anderen. Soundtrack auf CD und LP. Verleih: arsenal/Tübingen.