Windräder: Energie liegt in der Luft

Allmählich kommt die lange vernachlässigte umweltschonende Windenergie in Mode / Selbst große Stromkonzerne mischen bei der Einrichtung von Windparks mit Strom aus Wind wird immer billiger / Bei Einrechnung „externer Kosten“ wird die Wirtschaftlichkeitsgrenze erreicht / Bonn zögert bei „Markteinführungshilfen“  ■  Von Thomas Soyer

Ein „windiges Thema“ ist attraktiv geworden. In der Nähe des niedersächsischen Wilhelmshaven im neuen „Jade-Windpark“ drehen sich die Rotorblätter einer der europaweit größten Anlagen zur Umwandlung von Windenergie. 25 Millionen Mark wurden dort investiert, mit Zuschüssen der Europäischen Gemeinschaft (EG), des Landes Niedersachsen sowie des Bundesforschungsministeriums. Das Resultat: Der hier gewonnene elektrische Strom genügt, um den durchschnittlichen Jahresbedarf von 2.400 Haushalten an der Küste zu decken. „Eine Energie für die Zukunft“, freut sich der beteiligte Konzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) über diese regenerative Energie: Sie ist umweltverträglich und schier unerschöpflich.

Seit 1975 weltweit begonnen wurde, ganze Windanlagen zu errichten, hörten die Kritiker nicht auf, diese Projekte zu belächeln. Die Nutzung des Windes habe allenfalls für die dezentrale Stromerzeugung in Entwicklungsländern einen Sinn. Außerdem sei der Strom nur zeitweise verfügbar, weshalb Windenergie keineswegs zur Deckung der Stromgrundlast herangezogen werde könne, sondern im Verbund mit anderen Erzeugungsarten - etwa mit Blockheizwerken - verwendet werden müsse (und tatsächlich muß). Die Sache, so das Pauschalurteil, lohne sich einfach nicht, nur „Spinner“ holten sich ein sperriges Windrad in den Garten.

Diesen Kritikern hat die Realität längst den Wind aus den Segeln genommen. In den Jahren 1987 bis 1989 habe sich die Stromerzeugung aus Wind verachtfacht, ermittelte kürzlich sogar die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW). Danach lieferten 1988 bereits 81 Windkraftanlagen der Stromkonzerne insgesamt knapp sechs Millionen Kilowattstunden ins Netz der öffentlichen Versorgung.

Wie viele private Windräder zusätzlich rotieren, läßt sich aus den Angaben nur erahnen: Aus dem privaten Überschuß übernahm das Netz 1988 weitere 2,4 Millionen Kilowattstunden. Statistisch nicht erfaßt sind dabei all jene Haushalte, die Windanlagen lediglich für den „Eigenbedarf“ betreiben, ohne Strom weiterzuverkaufen.

In Heukenkamp bei Wilhelmshaven, an der unteren Jade gelegen, installierten die Techniker nun drei MBB-Anlagen vom Typ „Monopteros 50“. Zusammen mit der Großwindanlage „Aeolus II“, die noch im Aufbau ist und von 1991 an weitere 3.000 Kilowatt ( 3 Megawatt) Leistung erbringen soll, entsteht hier der derzeit größte Experimental-Windpark der Bundesrepublik. Dessen Windstrom soll ins öffentliche Netz der Elektrizitätswerke Wilhelmshaven eingespeist werden, die ebenfalls am Projekt beteiligt sind.

Die Daten der großtechnischen Windräder sind imposant: Der Rotor eines „Monopteros 50“, mit einer Blattlänge von 28 Metern, ist auf einem Turm in 60 Metern Höhe montiert. „Monopteros 50“ läuft durch seine Einflüglertechnik besonders lastarm und sturmsicher und liefert - im vollautomatischen Betrieb - eine elektrische Leistung von 640 Kilowatt. Die Lebensdauer wird mit 20 Jahren angesetzt.

Stromkosten aus Wind:

Tendenz abnehmend

Ein Problem der Windenergie scheint noch immer der Erzeugungspreis zu sein. Die von den Stromkonzernen getragene VDEW hat dazu 1989 einen Vergleich zwischen den sogenannten „regenerativen“ Energien - Sonne, Wasser, Wind einerseits und der besonders billigen Grundlast -Stromerzeugung aus Braunkohle oder Atomenergie andererseits angestellt. Ergebnis: Die maximalen Kosten im Grundlastbetrieb herkömmlicher Elektrizitätswerke belaufen sich auf „nur etwa zwölf Pfennig je Kilowattstunde“ - wenn ein Kraftwerksneubau zugrunde gelegt wird.

Da kann Strom aus Windenergie (noch) nicht mithalten. Laut VDEW liegen die Kosten „in windgünstigen Regionen für Anlagen der Größenklasse 20 bis 60 Kilowatt im Bereich von 30 bis 50 Pfennig je Kilowattstunde; bei mittelgroßen Windkonvertern um 250 Kilowatt könnten sie auf etwa 25 Pfennig je Kilowattstunde sinken; Anlagen im Megawatt -Bereich werden erst entwickelt“. Die Fachleute bei MBB bestätigen diese Angaben. Auch die deutsch-schwedische Gemeinschaftsanlage „Aeolus II“ mit drei Megawatt Leistung werde zunächst die Kilowattstunde Strom für 30 bis 50 Pfennige erzeugen. Dabei müsse jedoch in Rechnung gestellt werden, daß die Anlage zunächst vor allem Demonstrationszwecken diene und deswegen umfangreiche und teure Meß- und Forschungszutaten aufweise. Ziel dieser experimentellen Bemühungen sei es, künftig auch derartige Großwindanlagen durch Serienreife kostengünstiger zu machen. MBB erwartet dann einen Preis von etwa 20 Pfennigen je Kilowattstunde.

Die Tendenz gibt den Optimisten schon heute Recht, denn noch vor drei Jahren war Windstrom am kostengünstigsten mit 100-Kilowatt-Anlagen zu erzeugen (etwa 25 Pfennig je Kilowattstunde), heute hat sich das Optimum auf 250-Kilowatt -Windkonverter hinaufgeschoben.

Expertenstreit über

„externe Kosten“

Nun sind die Erzeugerpreise allerdings nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar, denn bisher geht die Kalkulation der herkömmlichen Elektrizitätswerke gerade bis zum Schornstein respektive Kühlturm. Anders ausgedrückt: Die Beeinträchtigung der Umwelt durch Emissionen verursacht weitere Kosten, die nicht durch Strompreise gedeckt werden, sondern für die die Gesellschaft insgesamt bezahlt.

Sie sind spätestens seit einer Studie, die der Volkswirt Olav Hohmeyer 1988 im Auftrag der EG-Kommission für Wirtschaft, Forschung und Entwicklung erstellte, als „externe“ oder „soziale Kosten“ der Stromerzeugung bekannt. Hohmeyer untersuchte Umweltkosten, Rohstoffverknappung, staatliche Subventionen und makroökonomische Effekte (etwa die veränderte Wertschöpfung). Dabei schnitten Sonnen- und Windenergie so verblüffend gut gegenüber Steinkohle und Atomenergie ab, daß die VDEW sich bereits im Oktober 1989 aufgefordert fühlte, mit einer Gegenstudie des Stuttgarter Energiewirtschaftlers Alfred Voß an die Öffentlichkeit zu gehen. Kernaussage: Hohmeyers Arbeit weise „gravierende Mängel“ auf, unter anderem den, daß in den vergangenen Jahren durchaus „externe Kosten“ internalisiert worden seien, zum Beispiel durch den Bau von Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen.

Die Kalkulation Hohmeyers reicht jedoch weiter. Sie bezieht auch „vermiedene soziale Kosten der konventionellen Elektrizitätserzeugung“ mit ein. Unter dem Strich ergebe sich dadurch für Windenergie ein „Nettonutzen“ von durchschnittlich 8,9 Pfennigen je Kilowattstunde. Dies heißt in der korrekten Interpretation der Zahlen nichts anderes, als daß Windenergie es sich gegenüber herkömmlicher Energie leisten kann, um 8,9 Pfennig „teurer“ produziert zu werden, ohne tatsächlich für die Gesellschaft teurer zu sein.

Umweltpolitischen Gegenwind gibt es daher für diese regenerative Energiegewinnung kaum. Grund zur Euphorie besteht jedoch ebensowenig, denn in der Bundesrepublik lohnen sich Windparks bisher nur an der windreichen Küste oder in den Mittelgebirgen. Vertreter der Energiewirtschaft äußern sich weiterhin skeptisch zu möglichen „Marktanteilen“ von Windenergie. Klaus Barthelt, Siemens-Vorstandsmitglied und Präsident des deutschen Komitees der Weltenergiekonferenz, prophezeite im Vorfeld der jüngsten Weltenergiekonferenz in Montreal noch im vergangenen September der Wind-, Wasser- und Sonnenenergie zusammen langfristig allenfalls einen Anteil von zehn Prozent an der Primärenergieerzeugung.

Stromkonzerne rechnen

Windpotential herunter

Auch die VDEW dreht das Windenergiepotential herunter. „Die Windenergie könnte, optimistisch geschätzt, langfristig etwa ein Prozent des heutigen Strombedarfs decken: vier Milliarden Kilowattstunden jährlich.“ Dafür seien, vor allem an der Küste, „8.000 Anlagen mit 250 Kilowatt Leistung“ nötig.

Aus der Luft gegriffen scheint es dennoch inzwischen nicht mehr, wenn die Optimisten der Branche 2.000 Megawatt Kapazität für möglich halten. Teile der Industrie sowie zahlreiche Privatleute zeigen sich längst interessiert. Als das Bundesforschungsministerium im Juni 1989 ein Förderprogramm mit dem Titel „100 Megawatt Wind“ auflegte, liefen sofort 380 Anträge ein. Mittlerweile liegen in Bonn sogar 575 Anträge auf den Schreibtischen, die Zuschüsse für 804 Windanlagen bringen könnten. 131 Anträge (entsprechend 169 Windkraftanlagen) davon wurden bis zum 10. Januar schon bewilligt.

Weil „100 Megawatt Wind“ so „stürmisch angelaufen“ sei, überlegt Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber nun, ob er das Programm auf 200 Megawatt aufstocken soll. Das würde den Bund nochmals etwa 100 Millionen Mark kosten. In einer ersten Besprechung mit den Bundesländern Anfang Dezember hieß es von allen Seiten, diese Aufstockung sei „begrüßenswert“. Allerdings wurde zugleich ein schon lange schwelender Streit fortgesetzt. Während Riesenhuber und einige Bundesländer darauf drängen der Windenergie zusätzlich mit einer gezielten „Markteinführungsstrategie“ auf die Beine zu helfen, sperrt sich das Bonner Wirtschaftsministerium gegen neue Subventionen für die erneuerbaren Energien. Konkret geht es um die alte Forderung von Grünen und Umweltschützern, den Windstart mit Hilfe von Investitionszulagen und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zu beschleunigen. In diesen Tagen bemühen sich die zuständigen Bonner Ministerien um eine einheitliche Linie. Forschungsminister Riesenhuber trifft sich mit den Spitzen des Wirtschafts- und Finanzressorts zur „Ressortabstimmung“. Mindestens das „200-Megawatt-Wind„ -Programm sollte Mitte 1990 anlaufen können.