Supervogel am Boden

Wie sicher ist das sicherste Flugzeug der Welt?  ■ K O M M E N T A R E

Mit dem Airbus A-320 ist im südindischen Bangalore mehr als nur ein Flugzeug abgestürzt. Es ist zugleich die Bauchlandung einer Sicherheitsphilosophie. Der A-320 gilt als das modernste und sicherste Flugzeug der Welt, bei dem Pilotenfehler angeblich „nicht mehr möglich“ sind. Der fehlerhafte Mensch wurde in diesem „Flugzeug des nächsten Jahrhunderts“ weitgehend durch Elektronikhirne ersetzt.

Es lohnt sich, noch mal einen Blick auf die Berichte der Medien nach der Vorstellung des neuen Supervogels vor zweieinhalb Jahren zu werfen. Glaubte man diesen Jubelgesängen, dann konnte sich künftig die Arbeit des Piloten darauf beschränken, die Maschine auf die Startbahn zu lenken, die Flugnummer einzutippen und alles andere samt Landung den Bordcomputern zu überlassen. Tenor: Für die Besatzung bleibe nichts übrig, als mit den Stewardessen zu schmusen. Nach der Airbus-Konzeption sollte der Computer die Crew regelrecht überwachen und riskante Flugmanöver automatisch korrigieren sowie Gefahrensituationen frühzeitig erkennen. Vor allem Unterschreitungen der Mindesthöhe und -geschwindigkeit wurden als unmöglich dargestellt. Bei Demonstrationsflügen machten die Piloten denn auch absichtlich alles falsch, um dem staunenden Publikum zu demonstrieren, wie klug und schnell die Elektronik den Befehl verweigert und die Maschine wieder in die richtige Lage bringt. Der erste Schock kam, als ein findiger Pilot bei einer Flugvorführung die Mindesthöhenkorrekturautomatik einfach abstellte und mitten im elsässischen Wald bruchlandete. Was man damals noch der Besatzung in die Schuhe schieben konnte, fällt jetzt immer schwerer. Für den Unfall in Indien gibt es nämlich keine Erklärung. Der Pilot kann ja nichts mehr falsch machen, und die Technik auch nicht. Wer also hat schuld?

Auffällig ist nun der Protest der französischen Flieger -Gewerkschaft, aus dem deutlich hervorgeht, daß den Piloten dieses Flugzeug nicht geheuer ist. Sie fürchten vor allem eines: das Ausgeliefertsein an die Elektronik. Und tatsächlich verfügt der A-320 über keine mechanische Steuerung mehr. Die Höhen- und Querruder sind nicht mehr durch Zugstangen und Drähte, sondern allein durch Stromimpulse des Computers lenkbar. Durch einen Trick gaukelt man den Piloten vor, daß sie noch die uneingeschränkte Herrschaft über das Flugzeug besitzen. Man hat den Side-Stick, der den Computer bedient, mit künstlichem „Ruderdruck“ ausgestattet, um so das fliegerische Gefühl zu schaffen. Doch das Bewußtsein, die Kiste nicht mehr selbst zu fliegen, und das damit verbundene gesunde Mißtrauen der Technik gegenüber ist nicht zu überlisten. Um diesen Widerspruch zu lösen, müßte man den Menschen ganz aus dem Cockpit werfen. Nur: Wer setzt sich dann noch in ein Flugzeug?

Manfred Kriener