Umerziehung versus Neugründung

■ Reformfähigkeit und Reformbereitschaft der DDR-Gewerkschaft FDGB sind im DGB umstritten

Berlin (taz) - Anfang März will nun auch der DGB ein DDR -Büro einrichten - „wahrscheinlich in Ost-Berlin“, sagt Ilse Brusis vom DGB-Bundesvorstand. Unter Hinweis auf die bereits bestehenden Büros der ÖTV (in Ost-Berlin) und der IG Chemie (in Leipzig) hatte die 'Bild'-Zeitung Ilse Brusis gestern gefragt: „Verschläft der DGB die neue Zeit?“ Brusis: „Wir sind hellwach. Nur: Die Gewerkschafter in der DDR müssen die neuen Strukturen selber schaffen.“

Hinter der Bürofrage steckt nicht nur die nach der Präsenz des DGB. Dahinter verbirgt sich auch die gar nicht neue Frage nach der Reformfähigkeit eines Apparats - in diesem Fall des FDGB. Der bis zur Wende allmächtige DDR -Gewerkschaftsbund hatte nach Einschätzung vieler BeobachterInnen auf seinem Kongreß Ende Januar die Chance einer Erneuerung vertan. In einem Kongreßbericht für den DGB -Bundesvorstand heißt es dazu wörtlich: „Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist auf dem Kongreß nicht erfolgt. Der noch existierende Apparat hatte verständlicherweise - daran kein Interesse, und die Delegierten haben dies auch kaum eingeklagt.“ Hieraus wird in dem Bericht ein Widerspruch abgeleitet zu „dem postulierten Neuanfang unter dem Zeichen Unabhängigkeit und Selbständigkeit“.

Der faktische Machterhalt des alten FDGB-Apparats scheint hüben wie drüben reformerische Kräfte zu erschrecken. Die ÖTV behält sich deshalb vor, in der DDR eine neue Schwestergewerkschaft zu gründen statt auf ihr bestehendes Pendant zu setzen, die MSK - die bestehende Gewerkschaft der Staatsangestellten, in der auch die Stasi-Leute organisiert waren. Die IG Metall (West) feuert die DDR-KollegInnen an, an den im DDR-Arbeitsgesetzbuch fixierten Rechten möglichst festzuhalten und diese nicht gegen ein minderwertiges Betriebsverfassungsgesetz einzutauschen - und ist gleichzeitig in Sachen Betriebspartnerschaften in der DDR praktisch und höchst emsig tätig geworden.

Der ideologische Hardliner unter den DGB-Gewerkschaften, die IG Medien, ist durch die Wende in die Bredouille geraten. Als einzige Vertreter einer DGB-Gewerkschaft war ihr Vorsitzender persönlich zur 40-Jahr-DDR-Jubelfeier am 7.Oktober nach Ost-Berlin gereist. Vor drei Wochen tauchten IG Medien- und (DDR-)Druck- und Papier-Vertreter gemeinsam in der Ostberliner SED-Druckerei auf und baten um Solidarität beim bevorstehenden BRD-Tarifkampf. Daß ein solches Hilfeersuchen in früheren Jahren nicht ergangen war, als das alte Regime in Ost-Berlin noch fest im Sattel saß und BRD-Zeitungen während hiesiger Druckerstreiks gegen harte Devisen in staatseigenen Betrieben drucken ließ - das erklärten die Kollegen bei diesem Besuch nicht.

Die alten ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb des DGB scheinen die neu-alten mit dem FDGB zu werden. Der Bonner SPD-Abgeordnete Dreßler mißtraut offensichtlich der Durchsetzungsfähigkeit der Reformkräfte im FDGB und fordert, in der DDR einen neuen DGB zu gründen. Davon hält Ilse Brusis nichts. Sie setzt auf das Selbstbestimmungsrecht. Und auf die taz-Frage, ob dies auch gelte, falls die „Umerziehung der FDGB-Funktionäre“ nicht gelingt, antwortet sie mit Ja. Darüber müsse man dann eben diskutieren. In einem Punkt gibt Brusis sich ganz entschieden: Ein Gewerkschaftsgesetz, wie es der FDGB - notfalls mit einem Generalstreik - noch vor den Wahlen durchsetzen will, hält sie unter BRD-Bedingungen für völlig unangebracht. Auch da liegt der Konfliktstoff also schon bereit.

Anna Jonas