Glasnost, aber nicht beim Verfassungsschutz

Bundesverwaltungsgericht verhandelte über Auskunftsrecht gegenüber Verfassungsschutz / Musterprozeß soll klären, wie geheim der Geheimdienst sein darf / Auskunftsuchende prozessiert seit zehn Jahren um Herausgabe ihrer Akten / Entscheidung erst in zwei Wochen  ■  Aus Berlin Vera Gaserow

Ein Geheimdienst ist geheim, das sagt schon der Name. Würde er bekanntgeben, was er alles über einzelne Personen weiß, wäre seine Arbeit entwertet, die Existenzberechtigung futsch - so liest sich die Logik des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu einem Grundsatzstreit, der seit nunmehr zehn Jahren die Verwaltungsgerichte beschäftigt und gestern in letzter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin verhandelt wurde.

Kernfrage dieses Musterprozesses: Müssen Verfassungsschutz und Polizei BürgerInnen Auskunft darüber geben, was über sie gesammelt, gespeichert oder registriert wird? Oder dürfen sie sich unter Berufung auf das geheime Wesen ihrer Arbeit und die mögliche Gefährdung von V-Leuten und Denunzianten generell gegen alle Auskunftsbegehren „verschanzen“?

Seit nunmehr zehn Jahren prozessiert die Journalistin und taz-Korrespondentin Gaby Weber in zwei getrennten Verfahren gegen Verfassungsschutz und Polizei um dieses Recht auf Auskunft. Daß sie tatsächlich in das Fadenkreuz der geheimen Schnüffler und Datensammler geraten war, konnte sie sich aus verschiedenen Anhaltspunkten zusammenreimen. 1982 etwa erhielt sie die nachträgliche Mitteilung, daß ihr gesamter Post- und Telefonverkehr monatelang überwacht worden war. 1984 kündigte ihr der Sender Freies Berlin (SFB) die weitere Zusammenarbeit auf und berief sich dabei auf Erkenntnisse, die nur aus geheimen Quellen stammen konnten. Das Begehren der Journalistin, nicht ihrem Arbeitgeber die geheimen Informationen zu stecken, sondern ihr persönlich Auskunft zu erteilen, wurde sowohl vom Bundesamt für Verfassungsschutz als auch vom Berliner Polizeipräsidenten beharrlich zurückgewiesen.

In den USA gibt es ein „Freedom of Information Act“, nach dem die Behörden innerhalb von zehn Tagen über ein Auskunftsbegehren betroffener Bürger entscheiden müssen. „Entsprechende Gerichtsentscheidungen müssen als Eilverfahren allen anderen Prozessen vorgezogen werden“, führte gestern der Rechtsvertreter der Journalistin, Professor Eggert Schwan, vor dem Bundesverwaltungsgericht aus. Im Fall Gaby Weber hätten Behörden und Gerichte „den Skandal“ fertiggebracht, das Verfahren zehn Jahre hinzuziehen. Ein Jahr und vier Monate hatte es gedauert, bis das Verwaltungsgericht Köln zu einer Entscheidung kam, und ein weiteres gutes Jahr war verstrichen, bis das Oberverwaltungsgericht Münster der generellen Auskunftsverweigerung des Verfassungsschutzes als ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig eine klare Absage erteilte. Das Kölner Bundesamt ging dagegen in die Revision, und sechs Jahre passierte erst mal gar nichts, bis es gestern zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kam.

„Das ist keine Rechtssprechung mehr, sondern eine Rechtsverweigerung“, schimpfte Professor Schwan gestern über diesen langwierigen Instanzenweg. Es gehe längst nicht mehr nur um die persönlichen Akten seiner Mandantin und ihre berufliche Rehabilitierung. Zur Debatte stehe die abstrakte Rechtsfrage um die Rechte eines Bürgers in einer „streitbaren Demokratie“. Die generelle Auskunftsverweigerung des Verfassungsschutzes sei „Ausdruck des Ungeistes eines Totalitarismus des 20.Jahrhunderts“. Sie verstoße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht und setze die Bürger „ohnmächtig dem Leviathan“ aus.

Es sei geradezu abenteuerlich zu sehen, wie jenseits der Mauer die Geheimdienste aufgelöst würden, während sich Verfassungsschutz und Polizei in der Bundesrepublik hinter dicken Informationsmauern verschanzten und schon im Vorfeld konkreter Sicherheitsbedenken oder Straftaten Datenberge sammelten, meinte Schwan. Reichlich pikiert lauschten die Vertreter des Innenministeriums und des Berliner Senats gestern diesen grundsätzlichen Ausführungen.

Das Bundesverwaltungsgericht wird erst in etwa zwei Wochen seine Entscheidung bekanntgeben.