Vorlauf: Rolle rückwärts

■ Frühe Fernsehjahre - Als die Bilder flimmern lernten

(Frühe Fernsehjahre - Als die Bilder flimmern lernten, ARD, ab 22.2. jeweils donnerstags, 15.30 Uhr) „Wer nicht hören will, muß fernsehen“, hat Wolfgang Neuss einmal gesagt; nein, falsch, er hat gleich eine ganze Fernsehsendung so benannt. Das war 1959, vielleicht die schönste Fernsehzeit, als die Redakteure im Sender noch nicht merkten, wie das Medium von den Kollegen Komikern hochgenommen wurde. Aber auch das ist typisch Fernsehen: daß schlaue Fernsehfüchse die Kritik ins Programm hieven und damit auch die unsicheren Kantonisten, die schwankenden Seher binden, indem sie deren kritisches Bewußtsein mit Selbstgeißelungen besänftigen.

Was den Skeptikern blieb, war die ungetrübte Freude über jene Realsatire, die das Fernsehen ungewollt frei Haus liefert: die Kapriolen der Tagesschauversprecher, die ungewollte Komik fülliger Talkmaster, die Fettnäpfchen -Tapser der Luegs und Appels. Aber selbst diese letzte Oase ungehemmter und - per Fernbedienung - eigenhändig zusammengestellter Fernsehunterhaltungsanarchie hat endlich vorgefertigte Gestalt angenommen - in der Sendung Frühe Fernsehjahre. Das Fernsehen schmunzelt über sich - gleich einem Witzemacher, der über seine Pointen am lautesten lacht.

Archive sind zum Plündern da, und das Team der Serie Frühe Fernsehjahre hat die eigenen Pfründen - nach erfolgreichen acht Schnipseljagden vor zwei Jahren - noch einmal kräftig nach appetitlichen Häppchen durchkämmt und acht neue Unterhaltungsrationen zusammengeschnitten. Da soll einem wohl ums Herz werden. Die Alten dürfen in Erinnerungen schwelgen: Ja, so war das damals! Und die Jungen sollen staunen: Was? So war das damals? Moderator Werner Theis holt sie alle noch einmal hervor, die erste Fernsehansagerin und den ersten Wetterfrosch, die Kessler-Zwillinge und den Kulenkampf als verführten griechischen Hirtenknaben, den Teleknigge und den Ratgeber über Risiken beim Fernsehen. Das ist amüsant und albern, vor allem entlarvend, mit welch flachem Programm sich das visuelle Allzweckmöbel in unseren Alltag geschlichen hat. Heute lachen wir darüber. Wahrscheinlich werden wir erst in vierzig Jahren bemerken, daß das Fernsehprogramm der neunziger ebenso geistreich war wie das der fünziger Jahre. Wer nicht sehen kann, muß fernsehen.

Christof Boy