Grüner Antisemitismus?-betr.: "Grüne stampfen Gewaltbroschüre ein", taz vom 7.2.90, LeserInnenbriefe taz vom 14.2.90 und 19.2.90

betr.: „Grüne stampfen Gewaltbroschüre ein“, taz vom 7.2.90, Leserinnenbriefe von Renate Wußing, taz 14.2.90, und Christel Steinke, taz vom 19.2.90

Auf dem letzten evangelischen Kirchentag äußerten sich feministische Theologinnen bestürzt darüber, wieviel Antijudaismus sie einfach von ihren männlichen Kollegen übernommen hatten. Da ist es zwar bedauerlich, wenn einer/einem teilweise die Argumente weggenommen werden im Kampf für eine gute Sache, nämlich für die Aufdeckung des „bestgehüteten Geheimnisses: sexueller Kindesmißbrauch“. Dennoch sollten auch Feministinnen fähig sein, zu erkennen, daß sie in ihrem Antijudaismus den Vorurteilen von christlichen Theologen auf den Leim gegangen sind. Auf dem Kirchentag bemerkten die Theologinnen, daß die Forschung über die Rolle der Frau im Judentum ganz von vorne beginnen muß. (...)

Nur wenige haben bisher erkannt, daß das Judentum eine Religion des Dialogs ist: Es wird Rabbi A zitiert, der solches gesagt hat, und Rabbi B, der ganz anderes, Widersprüchliches, meinte. Dazu wird dann aktuell und situationsbezogen Stellung genommen. Christentum hat aber (auch in neuesten wissenschaftlichen Lexikonartikeln) immer nur Rabbi A zitiert mit seiner frauenfeindlichen Haltung (so, als wenn heute nur Schönhuber zitiert würde in einem Aufsatz über die Rolle der AusländerInnen in der BRD in den achtziger Jahren).

(...) Wenn wir aber heutzutage nicht nur aufgrund von feministischer Forschung historische Vorurteile korrigieren müssen, dann hat das sicherlich nichts damit zu tun, daß „Frauenverachtung gegen Antisemitismus ausgespielt wird“. Im Kampf gegen die (sexuellen) Gewalt gegen Mädchen und Frauen haben überholte Vorurteile jedenfalls nichts zu suchen. Und wenn diese Vorurteile antisemitisch sind, haben sie in Deutschland heute in diesem Kampf erst recht nichts verloren. (...)

Bernd Kehren, Essen

betr.: „Grüne stampfen Gewaltbroschüre ein“, taz vom 7.2.90

Beate Bongartz hat in ihrem Artikel geschrieben, daß es in allen Kulturen Frauenfeindlichkeit und die Legitimation der Gewalt gegen Frauen gegeben hat. Sie hat als Beleg dafür Textstellen aus dem Talmud und der Tora zitiert, sie hat ebenso auf frauenfeindliche Traditionen des Christentums hingewiesen. Aus ihrem Text geht eindeutig hervor, daß es Beate Bongartz darum ging, frauenverachtende Momente in verschiedenen Religionen ideologiekritisch zu benennen. Er kann nicht so interpretiert werden, als hätte sie antisemitische Stereotypen verbreiten wollen.

Der Vorwurf des bewußten oder unbewußten Antisemitismus ist durch nichts begründet, persönlich diffamierend und muß zurückgewiesen werden. Die distanzierende Haltung von Landesvorstand und Bundesvorstand erwecken den Eindruck, als solle Beate Bongartz aus wahltaktischen Gründen zum Sündenbock gestempelt und geopfert werden. Ein solches Vorgehen halten wir für inakzeptabel.

Auch wir sind der Meinung, daß vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit jegliche Kritik an der jüdischen Religion zurückhaltend und sorgfältig argumentieren muß. Allerdings fragen wir uns, ob den zahlreichen BesserwisserInnen in der grünen Partei ohne den 'Zeit'-Artikel die viel kritisierte Nachlässigkeit von Beate Bongartz jemals aufgefallen wäre.

Wir sehen die Notwendigkeit einer Klärung, ob Florence Rush und mit ihr alle Frauen, die mit ihrem Buch gearbeitet haben, tatsächlich antisemitisch motivierten Verfälschungen aufgesessen sind oder nicht. Als Konsequenz aus dem Geschehenen werden wir daher die Quellenlage überprüfen und Expertinnen darüber befragen. Außerdem werden wir zu unserer nächsten Sitzung am 17./18.März Referentinnen mit unterschiedlichen Positionen zu einer offenen Diskussion einladen.

Außerordentlich ärgerlich sind wir über die Tatsache, daß mit dieser jüngsten Diskussion der Skandal der weitverbreiteten Gewalt gegen Mädchen völlig aus dem Blickfeld geraten ist. Wir erwarten von den grünen Gremien auf Bundes- und Landesebene, daß sie aktiv dazu beitragen, diesem Thema den ihm gebührenden Stellenwert zu geben.

BAG Frauen der Grünen, Bonn