„Serbien und Albanien wollen den Status quo erhalten“

Skelzen Maliqui, ein bekannter kosovo-albanischer Intellektueller, sieht im linken Spektrum der kosovo-albanischen Gesellschaft eine Chance für eine linke Partei Das Interview fand am 5. Februar statt, einen Tag vor der Gründungsversammlung  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie soll denn die neue Partei aussehen? Welche Inhalte, welches Programm wird sie auszeichnen?

Skelzen Maliqui: Das wird eine linke Partei sein, weil wir in dem jetzigen Spektrum hier nur eine Partei der Mitte und ansonsten nur rechte Parteien haben. Rechts außen sehe ich die Kommunisten, die Stalinisten. Es haben sich bisher nur nationalistische Parteien, Volksparteien, gebildet. Auch die Demokratische Union des Kosovo gehört zu diesem Spektrum. Deshalb hat sich im linken politischen Spektrum hier im Kosovo ein Vakuum aufgetan. Wir wollen eine sozialdemokratische Partei gründen. Uns verbindet viel mit der westeuropäischen Linken, aber wir leben natürlich unter anderen gesellschaftlichen und historischen Bedingungen. Wir werden also nicht einfach Inhalte der westeuropäischen Linken hierher übertragen.

Wir leben hier unter einem seltsamen politischen System. Es wird Sozialismus genannt, hat aber damit wenig zu tun. Trotzdem hat Sozialismus in Jugoslawien eine bestimmte Bedeutung und auch einen Sinn. Wir wollen natürlich Sozialismus mit Demokratie verbinden. Aus diesem Grund wollen wir die neue Partei sozialdemokratisch nennen. Es ist aber nicht eine sozialdemokratische Partei, die eine Kopie der Sozialdemokraten in Schweden oder in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Wir werden das Programm diese Woche bekanntgeben. Und gleichzeitig beginnen, Mitglieder auf der Grundlage des Programms zu werben.

Auf dem Gebiet der Ökonomie haben wir auch die freie Marktwirtschaft in unserem Programm. Aber wie in Belgrad, wo es auch eine Initiativgruppe zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei gibt, diskutieren wir natürlich, welcher Korrekturen eine freie Marktwirtschaft in sozialer Hinsicht bedarf. Wir haben noch kein klares ökonomisches Programm, keine Partei hat das. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich unsere Partei in Zukunft noch einmal in unterschiedliche Varianten differenzieren wird. Historisch gesehen ist aber die Gründung eines linken Blocks hier im Kosovo und in Jugoslawien notwendig.

Wie steht es mit den modernen sozialen Bewegungen, der Frauenbewegung, der Ökologiebewegung zum Beispiel, sind diese Bewegungen auch in Ihrer Parteigründungsinitative vertreten?

Sicherlich sollen diese neuen Bewegungen bei uns vertreten sein. Wir leben aber in einer Gesellschaft, die sich sehr an Traditionen orientiert, so daß die Frauenbewegung noch in den Anfängen steckt. Wir sind auch offen für die Ökologiegruppen. Als die Demonstrationen hier begannen, war ich gerade in Split, wo sich Grüne wegen der Koordination einer jugoslawischen grünen Partei trafen. Was die Homosexuellen betrifft, so gibt es noch keine Gruppen hier. Doch wir werden versuchen, mit unserer Parteigründung auch diesen Bewegungen auf die Sprünge zu helfen. Weiterhin gibt es viele Probleme, die mit der Verstädterung und Marginalisierung zu tun haben. Die Basisgruppen in den Vorstädten und Elendsvierteln, die Selbsthilfegruppen dort werden auch bei uns beteiligt sein. Sicherlich könnte man noch über andere Formen der politischen Organisierung nachdenken. Doch in der jetzigen historischen Situation brauchen wir eine Partei.

Die Initiative zur Gründung einer neuen sozialdemokratischen Partei kommt auch aus dem Gefängnis. Wir handeln also im Sinne der Leute um Azem Vllasi, der Reformkommunisten, werden aber, wenn sie herauskommen und wieder aktiv sein können, einen starken ökologischen Flügel behalten, der sich auf die modernen sozialen Bewegungen stützt. Ich glaube, es ist ganz wichtig mit dieser Gruppe zusammenzuarbeiten. Wir streben eine normale parlamentarische Partei an.

Wenn wir über die Linke reden - gibt es auch noch linke Stalinisten in diesem Land, also Gruppen, die nicht mit dem Parteiapparat verbunden sind, sich aber einer ML-Ideologie verbunden fühlen?

Es gibt marxistisch-leninistische Gruppen, es gibt Gruppen, die der offiziellen albanischen Linie nahestehen. In Wirklichkeit stehen diese Leute dem Nationalismus näher als dem Marxismus-Leninismus. Bis 1986/87 hatten sie einen gewissen Einfluß, weil es sich um die einzige, zwar illegale, aber dennoch organisierte Kraft im Lande handelte. Aber ihr Verhältnis zum Nationalismus und zu Albanien blieb weiterhin unklar.

In den letzten Jahren sind die Albaner politisch aufgewacht, Milosevics Politik hat jeden hier in einen gewissen negativen Aktivismus hineingetrieben, Milosevic hat jeden gezwungen, zu reagieren. Jetzt müssen wir im positiven Sinne aktiv werden. Die Demokratisierung in Jugoslawien ist nicht mehr aufzuhalten, und diese neue politische Dynamik im Lande gibt uns die Möglichkeit dazu. Es gibt jetzt eine große Mobilisierung für die Demokratisierung hier im Kosovo. Neue Parteien sind entstanden, das politische Leben ist trotz der Unterdrückung und der Polizeiaktionen erwacht und geht in die richtige Richtung. Und wir wollen den Nationalismus wieder zurückdrängen.

Aber lassen Sie mich nochmals auf die ML-Grupen zurückkommen: Eine große Gruppe von diesen Marxisten -Leninisten war im Gefängis, und manche dieser Leute sind nicht mehr aktiv. Andere wurden in die Emigration gedrängt. Doch die kleinen Demonstrationen, die mit dem Vllasi-Prozeß begannen, gingen von diesen Leuten aus. Im Gefängnis haben sich viele Leute kennengelernt und dort eine Koordination aufgebaut, die jetzt eine gewisse Rolle spielt. Aber die marxistisch-leninistische Ideologie wird doch immer mehr an den Rand gedrückt, auch deshalb, weil sich die Entwicklungen in allen sozialistischen Ländern hin zur Demokratie bewegen. Die ML-Ideologie hatte in unserer patriarchalischen Gesellschaft aber gewisse Wurzeln.

Kann die dogmatische und militante Linke in dem jetzigen politische Spiel für ganz andere Ziele mißbraucht werden?

Es ist durchaus möglich, daß einige, die durch die Gefängnisse gingen, zu Provokateuren gemacht wurden. Militanter Widerstand spielt Milosevic in die Hände. Man kann durchaus spekulieren, daß eine der großen Demonstrationen hier in Pristina von Provokateuren organisiert wurde. Ich war aber nicht hier und kann das folglich nicht richtig beurteilen. Manche meiner Freunde vertreten diese Auffassung. Es ist möglich.

Auch in Albanien gibt es ein Interesse, den Konflikt im Kosovo anzuheizen, weil der Nationalismus für das System stabilisierend wirkt. In Albanien gehen die demokratischen Wandlungen sehr langsam vor sich, aber es gibt sie schon seit letztem Herbst. Seit einiger Zeit gibt es eine Art Balance zwischen dogmatischen und demokratischen Flügeln. Die Parteiführung hat eine vermittelnde Funktion. Seit der rumänischen Revolution hat es in Albanien einige Revolten gegeben. In Serbien andererseits wird es nicht gern gesehen, wenn Albanien sich demokratisiert. Vielleicht gibt es sogar die Angst, daß nach dem Fall der Berliner Mauer so etwas hier auch geschehen würde, wenn auch nur in einem geistigen Sinne. Es ist im Interesse beider Systeme, in Serbien und Albanien, den Status quo im Kosovo zu erhalten.

Interview: Erich Rathfelder