Tokio: Stärkster Kursverfall seit dem schwarzen Freitag

Internationaler Zinsanstieg als Ursache genannt / Auch Yen-Kurs gefallen  ■  Aus Tokio Georg Blume

Es sollte klingen, als sei nichts geschehen. „Die Warenpreise sind stabil. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind unverändert gut.“ Optimistisch kommentierte das Tokioter Finanzministerium am Mittwoch abend den drittgrößten Tagessturz in der japanischen Börsengeschichte. Seit dem Schwarzen Montag im Oktober 1987 war der Tokioter Aktienindex nicht steiler gefallen. Der Nikkei verlor im Laufe des Mittwoch 1.161,- Yen, das sind etwa drei Prozent, und erlangte damit den Stand vom November letzten Jahres (35.734,- Yen zum Tagesabschluß). Parallel zum Aktiensturz fielen auch die staatlichen japanischen Schuldbriefe und der Yen im Kurswert.

Wirtschaftsbeobachter in Japan machen für den Preisverfall an der Tokioter Börse weniger die international unstabile Aktienlage - vor allem in New York und London verantwortlich, vielmehr sei die Angst vor steigenden Zinsen in Japan ausschlaggebend. Höhere Zinsen laufen auf bessere Anlagemöglichkeiten der Spekulantenwelt hinaus, so daß Gelder aus der Aktienbörse abgezogen werden - mit einem Kursverfall als Folge. Mit vier Zinserhöhungen hatte die Bank of Japan im vergangenen Jahr den japanischen Leitzinssatz von 2,5 auf 4,25 Prozent hochgedrückt. Eine weitere Erhöhung, so glauben die Tokioter Aktienhändler, stehen nun unmittelbar bevor.

Das begründen sie vor allem mit dem raschen Anstieg des Geldumlaufs (11,5 Prozent für Januar 1990 im Vergleich zum Vorjahr) und dem anhaltenden Arbeitskräftemangel in Japan, der zu höheren Lohnvereinbarungen im April führen könnte.

Aufgrund der Wirtschaft in diesem Jahr - man erwartet eine Wachstumsrate von annähernd fünf Prozent und Profitsteigerungen von weit über zehn Prozent - nimmt man den Tokioter Aktienverfall heute weit weniger ernst als im Oktober 1987, als sich die japanische Exportwirtschaft von einer drastischen Yen-Aufwertung erholen mußte.

Sorge gibt es in Tokio nur um die Reaktionen auf den anderen Börsenplätzen der Welt. London und Frankfurt eröffneten am Mittwoch mit einem sofortigen Preisverfall. Bereits am Dienstag hatte man den New Yorker Abwärtstrend vor allem auf die unsichere Lage in Tokio und nur zweiterhand auf die Entwicklungen in Europa zurückgeführt. Doch ergänzen sich die Trends. Sowohl in Frankfurt wie in Tokio ist, wenn auch aus vorerst unterschiedlichen Gründen, von Zinssatzerhöhungen die Rede. Die japanische Presse spekulierte gestern auch über eine Diskont(leit)zinserhöhung durch die Tokioter Zentralbank von 4,25 auf 4,75 Prozent. Und jeder schiebt den anderen ein Stück den Berg hinab. Das Sanwire Research Institut in Tokio sprach am Mittwoch vom „Beginn eines tödlichen Kreislaufs“ in der internationalen Zinsentwicklung. „Unsinn“, erwiderte die Bank of Japan: „Das Aktienverhalten wird sich bald wieder normalisieren. Das Geschäftsklima hat mit dem Aktienverfall nichts zu tun“, kommentierte ein Sprecher der Bank.

Die deutsche Bundesbank lag jedenfalls mit einer leichten Zinserhöhung für kurzfristige Geldausleihungen an die Banken exakt im Trend. Erst kürzlich hatte sie überdies davor gewarnt, daß der erhöhte Kreditbedarf zur Finanzierung des DDR-Umbaus zu noch stärkerem Zinsanstieg im Land führen könnte.