„Come on, George, fang endlich an mit der Abrüstung“

In Kalifornien trafen sich vergangenes Wochenende 1.000 leicht angegraute VertreterInnen der US-Friedensbewegung Ihr Motto: „Neue Politik für eine neue Welt“ / Umstellung der Industrie von Rüstung auf „Frieden“ verspricht Spannung  ■  Aus Oakland Rolf Paasch

Einst waren sie Klassenkameraden, aber dann trennten sich ihre Wege. Der eine wurde Priester und Friedensaktivist, der andere CIA-Direktor und Präsident der Vereinigten Staaten. Ersterer stand am vergangenen Freitag am Pult des Konferenzzentrums von Oakland/Kalifornien und begrüßte die Mitglieder der Abrüstungsorganisation SANE/FREEZE zu ihrem 3.Jahreskongreß: „Neue Politik für eine neue Welt“. „Come on, George“, forderte SANE/FREEZE-Präsident William Sloane Coffin am Freitag seinen ehemaligen Klassenkameraden vor 1.000 versammelten FriedensaktivistInnen auf: „Fang endlich an mit der Abrüstung!“ „Denatofizierung, Depolarisierung, Demilitarisierung und Denationalisierung“, das sind die Schlagworte, die der Pastor aus New York den Bewegten mit auf ihren dreitägigen Friedenskongreß gab. SANE/FREEZE, der Zusammenschluß der beiden mit 175.000 Mitgliedern einflußreichsten Friedensorganisationen in den USA, die Anfang der 80er Jahre von Ronald Reagan vergeblich einen Aufrüstungsstopp gefordert hatten, versucht, sich auf die Zeit nach dem Kalten Krieg vorzubereiten. Bei soviel „Revolution“ in Europa schaut man dem hierzulande oft nur staunend - und ein wenig neidisch - zu. In einem jedoch hat man bereits Erfolg gehabt. War die vor zwei Jahren von SANE/FREEZE begonnene „Kampagne für globale Sicherheit“ damals für viele noch abstraktes Gesäusel, so wird dieser Begriff inzwischen gar von Konservativen in den Mund genommen.

Es ist eine kunterbunte Horde, die sich im hochmodernen Hyatthotel in Oakland versammelt hat. New-Age-Peaceniks haben ihre Rezepttische im Foyer aufgebaut. In RaumG diskutieren Schwule und Lesben über ihren besonderen Beitrag zum Frieden. Nebenan geht es um das Erlernen von Antirassismus zur Stärkung der Friedensbewegung. Man merkt es schon, es geht um „connections“, die Beziehungen all jener „Bewegungen“, die im politischen System der USA vor allem eines gemeinsam haben: ihre Einflußlosigkeit in Washington, wo die große Politik von Experten gemacht wird.

Auch in der Hotelbar, auf deren Großleinwand gerade eine Wiederholung des Mike-Tyson-Boxkampfes läuft, diskutiert man an diesem Wochenende Defensivverteidigung und „First Strike“, ehe sich dann selbst so mancher Friedensbewegte an der entscheidenden Rechten des Außenseiters Douglas erfreut. Und im Restaurant debattieren vier Ladies, die zusammen älter sind als die amerikanische Revolution, über die vorliegenden Resolutionen zu den geforderten Abrüstungsschritten. Eine Kürzung des Rüstungsbudgets um 50 Prozent ist für die resoluten Damen das absolute Minimum.

SANE/FREEZE ist eine Bewegung der älteren Semester. „Unsere Kinder“, so erzählt Jim, ein 45jähriger Buchhalter, „die gehen lieber zu Greenpeace“. Und wirklich ist auch auf dem SANE/FREEZE-Kongreß der Workshop zu „Militarismus und Ökologie“ überbelegt. Die zahlreichen lokalen Proteste gegen die radioaktiv verseuchten Plutoniumfabriken wollen koordiniert werden. Aber auch die ökologischen Folgen der von den USA mitfinanzierten Kriege in El Salvador und Nicaragua werden in die Kritik an der amerikanischen Mittelamerikapolitik aufgenommen. In diesem Zusammenhang, so eine Rednerin, dürfe der Begriff der „Sicherheit“ nicht mehr nur militärisch gefaßt werden. „Wir müssen den Leuten einfach klarmachen, daß unsere Autogesellschaft eine größere Bedrohung unserer nationalen Sicherheit darstellt als eine Regierung in Mittelamerika, die der Landreform verpflichtet ist.“

Näher als Europa oder Mittelamerika liegt den amerikanischen Friedensaktivisten jedoch ein anderes Thema: die sogenannte „Friedensökonomie“, die Verwandlung der amerikanischen Rüstungsökonomie in eine zivile Volkswirtschaft. Kaum eine der lokalen Friedensgruppen, in deren Wirkungsbereich nicht von Stützpunktschließungen oder einer Bedrohung der Existenz von Zulieferbetrieben für die Rüstungsindustrie die Rede ist. Noch nie waren Konversionsfachleute wie Michael Closson vom „Center for Economic Conversion“ so begehrt wie heute. Bei einer Konversionskonferenz in Ohio kamen unlängst über 200 Vertreter von mittelständischen Unternehmen, die als Zulieferbetriebe der großen Rüstungskonzerne als erstes von Auftragsrückgängen betroffen wären. „Wir müssen jetzt unsere Modelle für Produktionsumstellungen entwickeln“, sagt Closson, „sonst sind wir nicht soweit, wenn demnächst wirklich abgerüstet wird.“ Die Konversion müsse ferner von unten organisiert werden, ehe die Entwicklung der Produkte von morgen schon wieder von Geschäftsinteressen bestimmt würden.

Viele sehen diese Situation als große Chance für die Friedensbewegung. Wenn Industrie und Arbeitnehmer erst einmal davon überzeugt sind, daß der Rüstungshaushalt trotz aller Widerstände der Bush-Administration vom Kongreß erheblich gekürzt werden wird, dann dürften sich die Interessen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Friedensbewegten erstmalig überlappen. Der Volkswirt Prof. Lloyd Dumas sieht Konversion denn auch als „Vehikel für neue Allianzen zwischen Arbeit, Kapital und Friedensbewegung“.

„Militärische Abhängigkeit“ - „Wirtschaftliche Verletzlichkeit“ - „Möglichkeiten der Organisation“ hat jemand im Konversionsworkshop der SANE/FREEZE-Konferenz an die Tafel geschrieben - und damit die neuen Hoffnungen der US-Friedensbewegung auf einen kurzen Nenner gebracht.