„Wir müssen mal zusammen den Koran lesen“

Stadtrat Cohn-Bendit zu Gast bei der „International Police Association“ / Multikulturelle Gesellschaft versus „Das Boot ist voll“ / Cohn-Bendit: Doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer am Stichtag der deutschen Vereinigung / Ein Europäisches Amt für Emigration?  ■  Von Schloß Gimborn R.Mohr

„Das ist doch total aufgebauscht“, erregte sich ein älterer Polizeibeamter, und auch bei den anderen stieg der Adrenalinspiegel. Der Frankfurter Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten, Dany Cohn-Bendit, hatte vor etwa dreißig Beamten der Schutz- und Kriminalpolizei gerade die Geschichte eines schwarzen Professors erzählt, der im Frankfurter Hauptbahnhof verhaftet und eine ganze Nacht im Polizeirevier festgehalten worden war. Die Kontaktaufnahme zu einem Anwalt war ihm ebenso verwehrt worden wie eine Auskunft über den Grund seiner Festnahme. Bei seiner Freilassung am nächsten Morgen hieß es nur, man habe ihn verwechselt. „Nur weil er schwarz war, nahm man sich heraus, so mit ihm umzugehen“, sagte Cohn-Bendit.

Die Teilnehmer des Polizeiseminars zum Thema „Ausländer und Asylbewerber - an den Grenzen der Aufnahmefähigkeit oder auf dem Weg zur multikulturellen Gesellschaft?“, das diese Woche auf Schloß Gimborn im Bergischen Land stattfand, wurden während des Gastvortrags des grünen Dezernenten aus Frankfurt noch häufiger mit Ungewohntem konfrontiert. In der bundesdeutschen Migrantenpolitik - „Ich sage bewußt nicht Ausländerpolitik“ - gebe es grundlegende Fehler. „Obwohl wir de facto längst zum Einwanderungsland geworden sind, wird immer noch versucht, per Ausländergesetz, Ordnungsrecht und Abschiebungsdrohung eine Politik der Gefahrenabwehr zu betreiben“, sagte Cohn-Bendit. Der Aberwitz dieser „unaufrichtigen Politik“ zeige sich auch in der Medienberichterstattung.

„In der ARD gab es einen Bericht mit dem Tenor 'Deutschland geht aus Kindermangel unter‘, im ZDF hieß es kurz darauf 'Das Boot ist voll‘ - und das war noch vor der Fluchtwelle aus der DDR.“ Hysterische Argumentationen dieser Art lenkten nur von der Wirklichkeit ab. Die tatsächlichen Migrantenströme von Millionen Menschen fänden in Afrika und Asien statt. „Nur ein winziger Bruchteil, die Fittesten, kommen überhaupt nach Europa. Von den Hunderttausenden, die in Äthiopien verhungern, schaffen es vielleicht ein paar hundert bis nach Frankfurt. Wollen Sie die zurückschicken?“ In diesem Augenblick wäre das Fallen einer Stecknadel zu hören gewesen. Angesichts der schlimmen Verhältnisse, die Menschen in aller Welt aus ihrer Heimat trieben - „niemand entscheidet sich beim Bier, in die Emigration zu gehen“ -, gebe es nur eine vernünftige Möglichkeit: Ja zur Einwanderung. Erst auf dieser realistischen Grundlage könne das Asylrecht neu formuliert und die Migration in Europa insgesamt gesteuert werden. „Es muß Katastrophenasyl geben für Jugendliche, die nicht in den Heiligen Krieg marschieren wollen, für iranische Frauen, die den Tschador ablehnen, für Flüchtlinge aus ökologischen Katastrophengebieten.“ Im Tagungssaal des idyllisch gelegenen Schlosses ist leichte Unruhe spürbar. „Also, Sie sind dafür, daß wir die Grenzen aufmachen und alle reinlassen?!“ fragt einer bang. „Nein“, widerspricht Cohn-Bendit, den diese Begegnung der dritten Art - „Ich habe auch Vorurteile, zum Beispiel gegenüber Polizisten“ - sichtlich anspornt. „Ich glaube nicht an die heile Welt, aber ich bin für eine offene Auseinandersetzung. Wir sollten ein Europäisches Amt für Emigration aufbauen, das dann auch, wenn nötig, bestimmte Quoten festlegen könnte.“ Ob denn „das deutsche Volk“ die multikulturelle Gesellschaft überhaupt wolle, hakt einer nach. Ein anderer assistiert: „Die Afrikaner kommen doch aus einem ganz anderen Kulturkreis, Religion und so.“ Da blitzen die Augen des Pariser Aufrührers von 1968. „Warum reist wohl der Papst so gerne nach Afrika? Weil da Millionen Katholiken leben! Und hören Sie mal zu, wenn protestantische DDRler über die katholischen 'Pollacken‘ herziehen. Und nicht nur islamgläubige Türken, auch deutsche Christen schlagen ihre Frauen.“ In die verlegene Stimmung plaziert Cohn-Bendit seinen letzten Coup.

„Die Unternehmer, die vor dreißig Jahren ausländische Arbeitskräfte in die Fabriken holten, haben über die multikulturelle Gesellschaft längst entschieden. Mein Vorschlag jetzt: Am Stichtag der deutschen Vereinigung soll allen Emigranten, die seit mindestens drei Jahren hier leben, die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt werden.“ Aus dem Schweigen kommt eine letzte ernste Frage: „Was wird denn in Zukunft die Hauptsprache in Deutschland sein?“ „Ich glaube, wir sollten alle arabisch lernen.“