„Biz Bize“ oder: Wie multikulturell ist Bremen?

■ Radio Bremen muß sparen und will damit ausgerechnet bei einer kleinen türkischsprachigen Sendung anfangen

Bremen (taz) - In Bremen, in dem das Demonstrieren ansonsten aus der Mode gekommen ist, ziehen seit Januar regelmäßig einmal pro Woche mehr als hundert türkische BremerInnen vor das Radio-Bremen-Gebäude. Sie frösteln, tanzen, harren aus und skandieren: „Jeden Tag Biz Bize“. „Biz Bize“ heißt auf deutsch „Wir für uns“ und ist der Titel der täglichen türkischsprachigen Regionalsendung, die Radio Bremen vor fünf Jahren eingeführt hat. Täglich 35 Minuten, von 19.05 bis 19.40 Uhr, im 3.Programm. Von Osnabrück bis Cuxhaven: Musik, lokale Kurzmeldungen und Studiogäste. Es geht um Kleinstadt-Discos, in denen AusländerInnen Lokalverbot haben, um das geplante Bonner Ausländergesetz oder um Zollerleichterungen für TürkInnen. Eine multikulturelle Rarität. Denn eine Regionalsendung, die türkisch -tagesaktuell und öffentlich-rechtlich ist, gibt es ansonsten nur beim Berliner SFB. Seitdem aber das Radio -Bremen-Direktorium kurz vor Weihnachten, ohne irgendein Sparkonzept zu haben, beschloß, Biz Bize ersatzlos wegzusparen, ist Biz Bize für türkische BremerInnen zum Testfall geworden für ihre Ausgrenzung. Ein türkischer Demonstrant auf die Frage, was ihm die Sendung bedeutet: „Wenn man in einem abweisenden Land, das einen noch nach zwanzig Jahren als Ausländer behandelt, das Radio anmacht und seine Muttersprache hört, das ist einfach ein schönes Gefühl. Man fühlt sich dann von der deutschen Gesellschaft ein Stück akzeptiert.“ Die Geschäftsführerin des „Dachverbandes der Ausländer-Kulturvereine“, Gule Iletmis: „Die Sendung war ein minimaler Schritt auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft. Wenn sie abgeschafft wird, hat man fast keine Hoffnung mehr, daß sich noch etwas ändern kann. - Wir haben das Gefühl, die deutsche Gesellschaft hat kein Interesse mehr an Ausländern - nach dem Sprichwort 'Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan und kann gehen‘.“

Radio Bremen hat aufgrund der Konkurrenz der Privatsender Finanzprobleme. Bis Ende 1992 wird ein Defizit von 40-50 Millionen Mark bei den Werbeeinnahmen aufgelaufen sein. Das Verschwinden von Biz Bize soll ganze 300.000 Mark im Jahr einsparen helfen. „Diese Sendung war die billigste, die man sich denken kann“, empörte sich der stellvertretende Rundfunkrat Ali Elis: „Ich selbst habe viele kostenlose Beiträge gemacht. Noch nicht mal die Fahrtkosten wurden erstattet“. Seit zwei Jahren werden die täglichen 35 Minuten von einem nicht festangestellten Redakteur vom Dienst und einer Halbtags-Redaktionsassitentin gestaltet. Die Honorare für freie MitarbeiterInnen wurden gestrichen.

Doch jetzt hat die bescheidene Zurückhaltung unter den „türkischen MitbürgerInnen“ ein Ende. Das Biz Bize -Komitee sammelte mittlerweile über 13.000 Unterschriften im gesamten norddeutschen Sendegebiet, mehrere Solidaritätskonzerte fanden statt. Einzelne DemonstrantInnen sind zum Hungerstreik entschlossen. Die Solidaritätserklärungen reichen mittlerweile bis zur SPD -Bürgerschaftsfraktion - für Bremen ein wichtiges Signal, denn die sozialdemokratische Regierungspartei hat gemeinsam mit befreundeten Organisationen das Sagen im Rundfunkrat. Programmdirektorin Karola Sommerey unterbreitete inzwischen einen ersten Kompromiß: Es solle zwar bei dem Sparbeschluß bleiben, doch könne an Sonntagen eine 40minütige Ersatzsendung über den Äther gehen - für kostengünstige 45.000 Mark. Mit diesem Angebot sind die türkischen ProtestlerInnen nicht einverstanden. Sie fordern weiter: „Jeden Tag Biz Bize“. Derya Mutlu vom Solidaritätskomitee in seiner Rede vor den DemonstrantInnen: „Eine tägliche Sendung durch eine wöchentliche Sendung zu ersetzen, kommt meines Erachtens dem Entschluß gleich, die stündlichen (deutschen) Nachrichtensendungen nur noch einmal am Tag auszustrahlen.“ Da die nächste reguläre Rundfunkratsitzung erst für den 15. März, 15 Tage nach dem Tod der Sendung, anberaumt war, starteten der grüne Rundfunkrat Jochen Rieß und der türkische Vertreter Ali Elis eine Initiative, den Rundfunkrat zum ersten Mal in seiner Geschichte „außerordentlich“ zusammentreten zu lassen. Der Rundfunkratsvorsitzende Claußen beschloß daraufhin, die reguläre Sitzung auf den 2.März vorzuziehen. Über die Zukunft von Biz Bize soll dann im Rahmen des „Gesamtsparkonzeptes“ entschieden werden.

In den Hörfunkprogrammen ließ Radio Bremen bereits ausdrucken, daß ab 1.März anstelle von Biz Bize Goldies nach sechs gesendet werden. Der Vorsitzende des Rundfunkrates, Claußen, bat, bis zur Rundfunkratssitzung am 2.März „keine Fakten zu schaffen“. Dazu Radio-Bremen -Sprecher Jochen Mangelsen: „Der Beschluß, die Sendung zum 1.3. einzustellen, steht.“

Barbara Debus