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Ein rechtes Darmstädter Landrecht

■ Staatsanwalt Balß stellt entgegen einschlägiger Strafprozeßordnung ein Verfahren gegen Neonazis ein, weil diese nicht zur Vernehmung erschienen waren / Antifaschistisches Bündnis spricht von „Justizskandal“

Frankfurt a.M. (taz) - Die Darmstädter Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen Mitglieder der rechtsradikalen „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP) mit einer Begründung eingestellt, die von engagierten Antifaschisten als „Justizskandal“ und als „Provokation“ bezeichnet wird. Weil die Neonazis, denen „versuchter Mord“ und „Herbeiführung einer Brandgefahr“ vorgeworfen wurde, zu den polizeilich angeordneten Vernehmungen nicht erschienen waren, sah sich Staatsanwalt Balß außerstande, einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen. Seine Konsequenz: Einstellung des Ermittlungsverfahrens, wobei er es sich nicht verkneifen konnte, darauf hinzuweisen, daß sich die Neonazis um Michael Kühnen im Sommer 1989 immerhin mit einer „schriftlichen Genehmigung“ auf einem Grillplatz bei Groß-Umstadt versammelt hätten.

Doch zum Rösten waren die deutschen Männer aus allen „Gauen“ des Restreiches nicht in die südhessische Gemeinde gekommen. Auf dem Grillplatz fanden sich damals Anhänger der FAP zum sogenannten „Gautreffen“ ein. Mit von der Partie war auch der Chef der inzwischen verbotenen „Nationalen Sammlung“ (N.S.), Michael Kühnen.

Als am Tag des „Gautreffens“ Mitglieder des antifaschistischen Bündnisses der Gemeinde Groß-Umstadt zum Steinbruch fuhren, um das Treiben der Neonazis zu beobachten, wurden sie an der geschlossenen Schranke zum Grillplatz heiß empfangen: Ein Brandsatz flog vor das Auto der Antifaschisten, und eine Person hinter der Schranke gab zwei Schüsse ab. Die jungen Umstädter fürchteten um ihr Leben und informierten umgehend den SPD-Bürgermeister der Gemeinde. Der wiederum schaltete die Polizei ein, die vor Ort die Personalien der Neonazis aufnahm. Nach Waffen suchten die Beamten nicht. Ermittlungen gegen die Teilnehmer des „Gautreffens“ kamen erst in Gang, als einer der betroffenen Jugendlichen Anzeige erstattete. Die Darmstädter Kriminalpolizei nahm im Anschluß und unter Anleitung der zuständigen Staatsanwaltschaft die Ermittlungen tatsächlich auf.

Doch von den insgesamt sechs Neonazis, die zur polizeilichen Vernehmung ins Präsidium geladen wurden, erschien dort kein einziger. Statt die Beschuldigten nach den einschlägigen Vorschriften der Strafprozeßordnung staatsanwaltlich zur Vernehmung vorzuladen, stellte Staatsanwalt Balß das Verfahren einfach ein. Der Rechtsanwalt des Anzeigenerstatters, Hans Mohrmann-Walter, hat Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft eingelegt.

kpk

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