Rumäniens Revolution in bewährtem Stil

■ Einmütig diskreditieren Regierung und Opposition die Demokratisierungsbestrebungen der Bevölkerung

Der Ceausescu-Clan wurde im Dezember '89 gestürzt, die vom alten Regime kompromittierten Minister aus der Regierung entfernt. Doch die Erklärung des „Provisorischen Rates der Nationalen Einheit“ zu den Demonstrationen vom Wochenende machen deutlich, daß sich die neuen Machthaber in Bukarest vom alten autoritären Duktus längst noch nicht getrennt haben. Eine Gruppe oppositioneller Intellektueller hat nun einen Kreis gegründet, um, parteienunabhängig, zwischen Regierung und Bevölkerung zu vermitteln.

Ach Gott, diese Sprache. Manchen Rumänen muß es kalt den Rücken heruntergelaufen sein, als sie die Erklärungen des „Provisorischen Rates der Nationalen Einheit“ hörten. „Akte des Vandalismus gegen staatliche Institutionen“ und „Rowdytum“ seien es gewesen, als am Montag eine aufgebrachte Menge das Regierungsgebäude in Bukarest stürmte. Schlimmer noch: Rumänien versinke in „Anarchie“, hieß es in der Erklärung, in der darüber hinaus angekündigt wurde, daß „jede Demonstration dieser Art durch strenge Strafe verhindert werden“ müsse.

In einer vom Rundfunk übertragenen Rede erklärte Staatspräsident Ion Iliescu zu guter Letzt, die Führung werde „mit der ganzen Strenge des Gesetzes gegen die antirevolutionären Kräfte vorgehen“. 24 Demonstranten wurden daraufhin von der Armee verhaftet. Und ganz im alten Stil zogen dann am Montag mehrere tausend mit Sonderzügen herangekarrte Bergarbeiter durch Bukarest, um ihre Regierung hochleben zu lassen.

Noch immer beherrschen die alten Kategorien den politischen Diskurs Rumäniens. Zwar hat der Begriff „Revolution“ einen neuen Inhalt, sein Gebrauch in Satzkonstruktionen der Mediensprache ist jedoch weiterhin mit dem alten Duktus verknüpft. Und die autoritären Inhalte lassen nicht gerade darauf schließen, daß die jetzt an der Macht befindlichen Politiker von demokratischerem Geist erfüllt sind. Dies ist um so erstaunlicher, als die Erklärung des „Provisorischen Rates der Nationalen Einheit“ über die Demonstration von allen auch oppositionellen Parteien des Landes getragen wurde. Denn seit die nach der Revolution gegründeten Parteien Anfang Februar in den neu formierten Rat aufgenommen wurden und die alte „Front der nationalen Rettung“ sich selbst zur Partei erklärte, schien die innenpolitische Konstellation verändert und die Weichen für die Demokratisierung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Sprache gestellt. An der gemeinsamen Erklärung zeigt sich aber, daß auch die Oppositionellen dem „Alten Denken“ nach wie vor verhaftet sind.

Archaisch mutet zudem die Aktion der Demonstranten an. Die blinde Wut gegen alles „da oben“ ist zwar angesichts der Erfahrungen mit der jahrzehntelangen Ceausescu-Diktatur verständlich. Ob sie dem demokratischen Prozeß zur Weiterentwicklung verhelfen wird, bleibt fraglich. Sie kann auch berechtigterweise als Beispiel dafür herhalten, wie gefährlich der Zerfall staatlicher Autorität in der gegenwärtigen Situation wäre. Angst vor Selbstjustiz müssen nämlich nicht nur ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit oder Staatsfunktionäre haben, sondern auch die Angehörigen von Minderheiten.

Wenn jetzt zunehmend Gerüchten geglaubt wird, die Ceausescus wären gar keine Rumänen, sondern Türken oder Roma gewesen, dann wird die Situation für die von allen Seiten diskriminierten Roma im Lande gefährlich. Und wenn in manchen Dörfern und Städten die Häuser von Roma brennen und sich gleichzeitig die Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und Rumänen häufen, geraten angesichts dieser nationalistischen Welle die ursprünglichen Ziele der Revolution, die durchgreifende Demokratisierung der Gesellschaft und die Herstellung von Rechtssicherheit für alle Bürger, zusehends in den Hintergrund.

Erich Rathfelder