LUST GESTALTEN

■ The Prunes im Loft

“...Sehr beirrt war man zwar von / dem Lärm, der sie begleitete, / aber es waren doch Hunde, Hunde / wie du und ich, und man beobachtete / sie gewohnheitsgemäß... man / wollte sich ihnen nähern, Grüße / tauschen ...viele von solcher / und ähnlicher Art kannte ich.„ Franz Kafk

Die Virgin Prunes versuchten Anfang der 80er Jahre in archaischen Opferriten verlorengegangene Zusammenhänge wieder herstellen. Schmutz und Schönheit, Schönheit sollte durch Schmutz entstehen und die positive Kraft der Libido sollte wiedergefunden werden. Furchtbares mußte der erleben, der Reinheit wiedererlangen wollte. Eigentlich war das ein Antipsychiatriekonzept: Dave-Id Busaras, der Verrückte, der kaum ein Wort artikulieren konnte - das aber mit aller Sehnsucht - war in die Band integriert, die zugleich auch Kommune war. Damals stand er ganz allein auf der Bühne und drehte sich im Kreis und drehte sich weiter, unaufhörlich. Er sang seinen sprachlos-enthusiastisches Lied und stampfte dazu mit sein Fuß wie einst die Rhapsoden. Danach kamen zwei Sänger in Frauenkleidern: Guggi wurde in rituellen Vergewaltigungen von Gavin Friday mit Besenstielen penetriert, er verletzte sich mit Rasierklingen oder Gläsern. Sie beschmierten sich mit Dreck oder Honig. Das waren Opferrituale, nach denen man sich wusch.

Diese unschuldig naiven Befreiungsversuchsperformances trieben das bekiffte Hippievolk regelmäßig aus den Konzerten oder ließen es zumindest kotzen. In Lendenschürzen hatten die Virgin Prunes eine neue Form der Schönheit gefunden; „A new form of beauty“ in verwirrenden Reihen und Zuordnungen: Auf einem alten Cover sind die hübschen kleinen Mädchenbrüste nicht weiblich, sondern männlich; auf dem Cover ihrer neuen LP „Lite Fantastik“ verbindet sich das Glühbirnenlicht, das pißgelb in den Raum einer Schwarzweißfotografie spritzt - „Black and White in Colour“

-mit kindlichen Sonnen und Bananen. Baudelaire, Reich oder Bataille hatten sie sehr ernst, das heißt wörtlich genommen.

Doch Gavin Friday hat die Band verlassen; wie Marc Almond ist er beim Chanson, bei Brel, gelandet. „Never to be next“ singt. Zurückgeblieben sind die anderen, die heißen nur noch Prunes.

Dave-Id und die Band treten immer noch getrennt auf; die einen als düsterer Jesus & Mary Chain-Verschnitt; drei Gitarren, Drums und Stimme, die sich inmitten des Lärms, den sie ja selber erzeugen, seltsam strukturieren. Ihre Texte bewegen sich zwischen death, dad und destroy. Als selbstbewußt verzweifelte junge Männer gucken zwei auf den Boden - eine No-fun. Gruftiepose, die doch eigentlich bloß das Bierchen danach aufschiebt. Nur der Bassist, Strongman, ein langhaariger Zopfträger, schaut, verloren im Lärm, ins Publikum. Orgonblau leuchtet ein Hochzeitsschleier, der pyramidenförmig von der Decke hängt. Die Luft riecht komisch; als wäre man in obskuren Orgontanks. Psychedelisch hallen Stimmen über die leere Bühne. Nach dem Intro der Band kommt Dave-Id auf die Bühne. Die Musiker drehen sich um. Treten in den Hintergrund. So weit, daß man sie nicht mehr sieht.

Dave-Id: ein Hüne im Pelzmantel; sein grobschlächtiges englisches Gesicht ist umrahmt von blonden Locken. Seine Gesten sind verzweifelt und kippen nur deshalb nicht ins Spastische, weil sein Körper so schwer ist. Nie steht er in der Königspose männlicher Verzweiflung. Immer fällt er: „And the man falls down, and he can't get up“. Wie in Trance ist er in einer Wirklichkeit, die so intensiv ist, als hätte er vor seinem Auftritt Gift genommen. In diesem Zwischenreich setzt er sich einen Schlapphut auf, komisch wie der Witz eines tödlich Verwundeten. Seine Bluesstimme ist magisch, manchmal rauh, manchmal kippt sie um. Immer im Fallen begriffen hält sie sich doch und schneidet das Herz kaputt.

In seinem Nichtwissen über seine Wirkung liegt eine Jungfräulichkeit, die die Prunes verloren haben. Er überschreitet seine Un/Möglichkeiten und ist plötzlich wieder da, wo sie als Virgin Prunes einmal angefangen hatten. Nun gibt es keinen mehr, der ihn quälen könnte, den er wie Guggi Friday auf seinem Rücken über die Bühne tragen müßte. Backstage schoben ihn die Bandmitglieder früher oft in einem Einkaufswagen umher. Zwei Zuschauer wälzen sich in einer Bierlache. Der Barkeeper bleibt ruhig. Dave-Id singt kaum länger als eine Viertelstunde. Dann geht er ohne ein Wort.

Die Band kommt wieder, aber das ist schon nicht mehr wichtig. Später wird man kein Bierchen trinken, sondern sehr viel trinken, also ernsthaft und sehr lange trinken, als wäre etwas unendlich Entscheidendes geschehen.

Detlef Kuhlbrodt