Galgenhumor und Ghetto-Gesänge

■ Volker Kühns „Deutschlands Erwachen - Kabarett unterm Hakenkreuz“

Als die Nazis die Macht übernahmen, war für Satire und Kabarett in Deutschland kein Platz. Schon vorher hatten sich namhafte Kabarett-Künstler und Autoren (wie Kurt Tucholsky) aus dem Staube gemacht, nun folgte ihnen ein ganzer Troß ins Exil. Einige versuchten, noch in letzter Minute, dem Zeitgeist Paroli zu bieten - am 1. Januar 1933 stellte sich in der Münchner „Bonbonnierre“ das neue Kabarett „Die Pfeffermühle“ vor, zu dem sich Klaus und Erika Mann und Theres Giehse zusammengetan hatten. Während auf der Brettl -Bühne gegen die „braune Schmach“ polemisiert wurde, schrieb Hitlers Minister Frick im Publikum mit - nach dem Reichtsagsbrand mußte das Pfeffermühle-Ensemble in die Schweiz fliehen. Im Ausland erging es ihnen kaum anders als den meisten geflüchteten Kollegen: die Versuche, sich im Exil mit Kabarett über Wasser zu halten, scheiterten, das politische Engagement der Emigranten stieß auf Desinteresse. Walter Mehrings „Emigrantenchoral“, von ihm selbst in der „Pfeffermühle“ vorgetragen, wird zur heimlichen National -Hymne in Exil-Kreisen: „Die Wache gab ihm einen Stoß- da stand der Mann ihm Staatenlos“ - die Kabarettisten hatten nicht nur ihr Publikum verloren, sie waren auch ihres Wesens, der Sprache, beraubt. Nicht mehr direkt, frank und frei, sprechen zu können, traf freilich auch die in Deutschland Gebliebenen, sofern sie nicht, wie etwa Weiß Ferdl und Carl Napp, von ihrer derben Zeitkritik auf harmlose Deftigkeit umschalteten und fortan „Kraft durch Freude„-Frohsinn verbreiteten. Oder sich, wie der anarchistische Kauz Karl Valentin einfach zurückzogen: „I sag halt garnix. Dös wird ma doch noch sagn dürfen.“ Für andere, wie für Werner Finck wurde die lockere Kleinkunst zur todernsten Angelegenheit: ständig observiert von mitschreibenden Herrn im Publikum, zwischen Vorladungen, Verhaftungen, und Entlassung aus dem KZ ging es für Finck darum, zwischen den Zeilen zu überleben. Die Kunst, Witze und Polemik gegen das Regime so subtil zu präsentieren, daß das Publikum sie sehr wohl verstand, der Zensor aber keinen Strick daraus drehen konnte, wird anhand von Finck -Conferencen und Sketchen in diesem Buch eindrucksvoll dokumentiert. Den Erlaß, daß sich die Kabarett-Bühnen jeglicher Erwähnung der aktuellen Politik zu enthalten hätten, kommentierte Finck auf der Bühne mit einem Blick auf die Armbandbuhr: „Über die Zeit kann ich leider nicht sprechen.“ Im Oktober 1936 mußte er, angeklagt wegen „Vergehens gegen das Heimtückegesetz“, zwei seiner Szenen vor Gericht vorspielen - die Prozeßbeobachter lachen ungeniert, dennoch kommt es zum Freispruch mangels Beweisen. Finck beschrieb seine Situation in einem Vierzeiler: „Am seidnen Faden hing ein Schwert/Sich auf mein Haupt zu laden/Glaubt ihr, daß mich das Schwert gestört?/Mich störte nur der Faden.“

Wie das Kapitel über den „Witz als Widerstand“ bestehen auch die anderen Abteilungen dieses Buchs aus Originaltexten, die der Herausgeber knapp und sehr kenntnisreich kommentiert - entstanden ist so eine Geschichte des Kabaretts 1933-45 in seinen Texten, von denen die meisten (und viele zu Unrecht) heute vergessen sind: in Lazaretten und Kriegsgefangenen-Lagern improvisierte Frontkomik, propagandistisch geplante Truppenbetreung mit Tingel-Tangel und Revue (Goebbels: „Die gute Laune ist ein Kriegsartikel. Unter Umständen kann sie nicht nur kriegswichtig, sondern kriegsentscheidend sein“), sowie die satirische Anti-Propaganda, mit denen die „Feindsender“ den Nazi-Terror mit Zerchfell-Attacken konterten. Einige Texte werden hier überhaupt zum ersten mal veröffentlicht, Volker Kühn dokumentiert ein Kapitel Kabarett-Geschichte, auf das eine größere Öffentlichkeit hierzulande erst wieder Mitte der 80er Jahre im Zusammenhang mit dem Theaterstück „Ghetto“ von Joshua Sobol aufmerksam wurde: Szenen und komische Nummern, die von Todgeweihten in den KZs aufgeführt wurden. Was als Galgenhumor und Widerstandsgestus begann, wurde wegen seines Erfolges später sogar von von der SS verordnet: Kabarett als Stimmungsdroge und Ablenkung, bis zum bitteren Ende. Nur die wenigsten der Humor-Soldaten, die noch unter dem Galgen um ein Lächeln kämpften, überlebten, es erging ihnen wie dem Kabarett-Autor Kurt Kapper, der in Theresienstadt reimte: „Wir danken dir, du bist ein braver Jud, wir sagen es dir unverhohlen: Jetzt packe deine Koffer, sei so gut, denn du bist eingereiht nach Polen.“

Mathias Bröckers

Volker Kühn: Deutschlands Erwachen - Kabarett unterm Hakenkreuz, Quadriga-Verlag 1989. 393 Seiten, 36 DM.