: Leise und exzentrisch
■ Frances Amelia Yates‘ „Giordano Bruno in der englischen Renaissance“
Von den brillanten Gelehrten der ersten Generation des Londoner Warburg Institutes ist Frances A. Yates (1899-1981) die hierzulande am wenigsten beachtete. Ein Umstand, der sich nur zum Teil aus einem Desinteresse an den magisch -okkulten Theorien der europäischen Spätrenaissance, dem Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Arbeit, erklären läßt. Deren notorische Nichtbeachtung scheint vielmehr spezifischen Bedürfnissen geschuldet zu sein, die sich zu Rezeptionsgewohnheiten der hiesigen Vertreter der Geistes und Sozialwissenschaften ausgeprägt haben, gerade auch derer die zählen. Ihr Leitmotiv ist das Aufsprengen des Schweigens über den Nationalsozialismus im Restaurationsdeutschland, die damit verbundene Hoffnung, die gesellschaftlichen Verhältnisse revolutionär zu verändern, und die schließlich bittere Desillusionierung über die eigenen Handlungsmöglichkeiten, pointiert gesagt: die Studentenbewegung und ihre Folgen. Nun läßt sich das Werk von Yates aber weder für eine Gesellschaftstheorie im klassischen Sinne noch für halluzinogene Politpolytheismen gebrauchen. Auf eine eigenwillige und sehr britische Art ist es leise und exzentrisch geblieben, ohne an Luzidität in der Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge einzubüßen Tugenden, die dem oben genannten Aufklärungsversuch nicht zum Schaden gereicht hätten. Von Person und Werk der, die diese Tugenden verkörperte, soll nun die Rede sein.
Auf der Suche nach ihrem wissenschaftlichen Profil kam Yates nach jahrelangem Privatisieren Fortuna zu Hilfe. Unverhofft konnte sie ihre Tätigkeit in den Rahmen des Warburg Institutes stellen, jenes vor dem Nationalsozialismus nach England geretteten Zentrums derer, die versuchen, die Kultur und das Unbehagen in ihr gegen den Strich zu lesen. Was sie dort in ihren Artikeln und Büchern unternommen hat, ist eine Geschichtsschreibung nie materialisierter Hoffnungen, die so nun dem Bannkreis ihrer faktischen Niederlagen entfliehen können. Das sich in bestimmten historischen Momenten je spezifisch artikulierende Wunschpotential der Gattung, das auf eine glücklichere und gerechtere - auch gesellschaftliche Vereinigung zielt, kommt zwischen den Zeilen wieder zum Sprechen.
In ihrem Oeuvre führt Yates dies exemplarisch für die elisabethanische Epoche durch, die sie freilich in ihren internationalen, also gesamteuropäischen Kontext stellt. Das Reich jener Faerie Queene - um den Titel eines an Elisabeth Tudor, Königin von England, gerichteten Monumentalgedichts zu zitieren -, war bedroht durch die Konflikte zwischen radikalen Protestanten und fanatischen Katholiken, von denen bereits die französische Gesellschaft zerrissen wurde. Wie nun bestimmte Gruppen von Intellektuellen und Artisten in diese Situation eingriffen, mit der Absicht sie zu entspannen, und mit welchen Mitteln sie dies taten, schildert Yates in einem klaren Erzählduktus, der besonders die Bücher ihrer beiden letzten Lebensjahrzehnte auszeichnet.
Mit Ausnahme der Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (1972) - erschienen 1975 bei Klett, wenig beachtet und seit langem vergriffen - harren sie noch immer ihrer Übersetzung. Desiderat ist sie vor allem durch The Occult Philosophy of the Elizabethan Age (1979), die Summe ihrer Reflexionen, aber auch The Art of Memory (1966), wo der Tradition der Gedächtniskünste und ihrer Bedeutung für die Renaissancespekulationen Gerechtigkeit widerfährt. Das Verdienst, zumindest die Pro- und Epilogemena von Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (1964) dem deutschsprachigen Publikum in einer präzisen und gut lesbaren Übersetzung von Peter Krumme zugänglich gemacht und so einen Einstieg in die Lektüre eröffnet zu haben, kommt dem Wagenbach Verlag zu, der sie unter dem Titel Giordano Bruno in der englischen Renaissance in seiner Kleinen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek herausgebracht hat.
Jener entsprungene Dominikaner und vagabundierende Philosoph, der auf dem Scheiterhaufen der römischen Inquisition enden sollte, Giordano Bruno also, ist die Schlüsselfigur schlechthin des Yatesschen Deutungsunternehmens. Dessen Ausgangspunkt bildet eine Analyse des Aschermittwochmahls, einem der von Bruno während seines zweijährigen Londoner Aufenthaltes verfaßten Dialoge, in dem er seinen Konflikt mit den bigotten Oxforder Professoren um die von ihm vertretenen Theorien des Kopernikus vorführt.
Wer ihn deshalb für einen Protagonisten neuzeitlicher Wissenschaft hielte, befände sich in bester philosophiehistorischer Tradition und beginge einen kapitalen Irrtum. Durch die Arbeiten Yates‘ und der in ihnen geleisteten Umkehr der Bilder, die sich einer genauen Aufschlüsselung der Äußerungen Brunos und seiner Zeitgenossen sowie der sie durchziehenden Spannungen verdankt, können wir ihn nun als den Prototyp des Renaissancemagus erkennen: einer Gestalt, die eine gerechtere Gesellschaft auf der Grundlage eines Bündnisses der inneren mit der äußeren Natur errichten will und dabei ältere Techniken mystischer Vermittlung einsetzt. Sein Ziel ist eine magische Religion, zu deren Hieroglyphe das heliozentrische Universum und zu deren Triebkraft der heroische Furor werden. Die Frage, ob die Erde ein totes und seelenloses Ding sei oder sich bewege, geht bei Bruno mit der anderen zusammen, ob das Altarsakrament ein totes äußerliches Zeichen sei oder wirklich das göttliche Leben enthalte - um eine der zentralen Thesen zu paraphrasieren. Die neuen kosmologischen Theorien finden so ihren Platz in einem philosophischen Mysterienunternehmen, das eine Erneuerung für das von Konfessionszwisten gespaltene Europa verspricht. Inspiriert ist es von der angeblich ältesten, der ägyptischen Weisheit, wie sie die Renaissancetheoretiker in den Schriften des Hermes Trismegistos bewahrt wissen wollten: Pseudica der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, die ihre kosmogonischen und soteriologischen Spekulationen einem ägyptischen Priester und Zeitgenossen des Mose zuschreiben. Zusammengehen sie mit anderen und ihnen doch so verwandten Versuchen, denen der Kabbala, deren Reflexionen zur Schöpfung und zur Gestalt Gottes das rabbinische Judentum unterirdisch in einer Gegengeschichte begleiten.
Es bleibt das Verdienst von Yates, den eminenten Einfluß dieser Traditionen auf Denker vom Range Brunos nachgewiesen und jenen als Magus kenntlich gemacht zu haben. Daß seine Absicht eine durchaus politische war, hatten freilich schon die Schergen der Inquisition begriffen. Denn für seine Kontakte zu den Königen Englands und Frankreichs, häretischen oder nicht ultraorthodoxen Fürsten, mußte Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori brennen.
Martin Treml
Frances A. Yates: Giordano Bruno in der englischen Renaissance. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Peter Krumme. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1989, 112 Seiten, 23 DM
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