Antisemitisches Muster

Wie mit einer zweifelhaften Meldung Politik gemacht wird / Gysi dementiert angebliche Äußerungen über jüdische Investitionen  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Mit kleinen Meldungen kann man bekanntlich Politik machen. Eine besonders üble Politik wurde durch eine kleine Nachricht in der 'Bild-Zeitung‘ vom Mittwoch gemacht. Auf der Titelseite hieß es unter Schlagzeile „Gysi will bremsen“: „PDS-SED-Chef Gysi hat an die Juden aller Welt appelliert, in der DDR zu investieren. Damit wolle er die Wiedervereinigung bremsen.“ Die Nachrichtensendung von RTL plus am Abend zuvor hatte dieselbe Nachricht gebracht, noch erweitert durch den Begriff „Weltjudentum“.

„Ausgemachter Quatsch“

Gegenüber der taz nahm Gregor Gysi Stellung zu diesen Meldungen und bezeichnete sie als „ausgemachten Quatsch“. „Ich habe gewiß Unternehmer aus vielen Ländern bei verschiedenen Treffen aufgefordert, in der DDR zu investieren. Allerdings ging es da nicht um die Frage der deutschen Einheit, sondern um die kritische soziale Situation in der DDR.“ Soweit Gysi zur Sache.

Diese kleine Meldung bezieht sich aber nicht auf eine Äußerung von Gysi, sondern auf eine einzige Quelle: Die isrealische Zeitung 'Haarez‘ berichtet über einen Besuch des ultraorthodoxen Rabbiners Zvi Weinmann in der DDR auf Einladung des DDR-Kirchenministers. Dieser will von Gysi gehört haben, er habe sich darüber beklagt, daß ausgerechnet die isrealische Regierung die deutsche Vereinigung bejaht. Der Kirchenminister soll allerdings seine Befürchtung geäußert haben, die DDR werde von der BRD geschluckt, und in diesem Zusammenhang sollten die Juden in aller Welt mit Krediten zu Hilfe kommen.

Die Interpretation

einer Ministermeinung

Es handelte sich also keineswegs um eine Äußerung Gysis. Es gibt lediglich eine Interpretation von Weinmann über die Meinung des Kirchenministers. Zvi Weinmann selbst wird nicht als verläßlicher Zeuge betrachtet. Das isrealische Außenministerium hat es abgelehnt, vor und nach seiner DDR -Reise mit Weinmann zu konferieren. Die kleine Meldung war falsch, aber das antisemitische Muster paßte - Weltjudentum soll deutsche Einheit verhindern -, und es paßt auch in eine Denunziationslinie seit dem 'Spiegel'-Titel: Gregor Gysi als verdächtiger Drahtzieher gegen den deutschen Herzenswunsch.