„Wir sind doch nicht im Wilden Westen“

Gericht entscheidet: Verheiratete Frauen und Frauen über 35 Jahre dürfen nicht länger bei den Passionsspielen ausgegrenzt werden / Nach Richterspruch sind die biblischen Zeiten endgültig vorbei / Frauenliste will nun auch noch das Rathaus erobern  ■  Aus München Luitgard Koch

Spontan springt die dunkelhaarige Frau mit dem langen Zopf von ihrem Stuhl auf und klatscht. Irritiert blickt Richter Johannes Wittmann vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof in den Saal. Selten wurde ein Schiedsspruch so bejubelt. Gestern, am Tag der Weiberfastnacht fällten die drei Richter freilich ein Urteil, das im oberbayerischen Oberammergau alte, traditionsreiche Männerbastionen ins Wanken bringt. Für einen Teil der Männer dort ist seitdem die Welt nicht mehr in Ordnung. Ab jetzt dürfen nämlich auch verheiratete Frauen und solche über 35 Jahren beim jahrhundertalten Passionsspiel mitmachen.

Seit Jahren streiten die Oberammergauer Frauen um dieses Recht. Mit dem Argument, dieser Ausschluß vom heiligen Spiel hänge mit der Historie zusammen, versuchte der Gemeindevertreter, Rechtsanwalt Helmut Roithmaier, das Gericht bereits in der ersten Verhandlung zu überzeugen. Da im biblischen Palästina die Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannt waren und das Spiel ein Abbild dieser Zeit sein soll, müsse mann eben bei den Frauen stärker aussieben. Auch zur Altersgrenze wußte der findige Jurist ein seiner Ansicht nach schlagendes Argument.

Wie jedes Kind weiß, war zu jener Zeit die Lebenserwartung von Frauen niedriger, argumentierte er. Wohl im Gegensatz zu heute, wo sie sich ja häufig erdreisten, ihre Männer zu überleben. Der Ausschluß von Verheirateten sei im übrigen nur zum besten der Frau, denn die Belastung von Ehefrauen, gar noch mit Kindern, sei sowieso schon groß: Wo sollen solche gestreßten Frauen noch die Zeit für Proben hernehmen?

Und last but not least waren die Einschränkungen angeblich eine Art Stoßgebet an die Gottesmutter, die ja schließlich unbefleckt und jungfräulich war. Nur ihr zuliebe haben die Männer da so hart durchgegriffen. Daß bereits in diesem Jahr die Maria von einer verheirateten Frau mit Kind gespielt wird, verschwieg der Anwalt wohlweislich. Ärger genug hatte es deshalb in der Gemeinde bereits gegeben.

Das Gericht ließ sich von derlei Argumenten jedoch nicht beeindrucken. Ganz den weltlichen Grundrechten zugewandt, entschieden die Richter, daß bereits der Ausschluß der drei Klägerinnen aus dem Passionsspielkomitee für die diesjährigen Passionsspiele rechtswidrig war. Dieser Ausschluß, so die Richter, verstieß nämlich gegen das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Gemeinde Oberammergau war deshalb nicht berechtigt, bestimmte Gruppen von Frauen wegen ihres Alters oder Familienstandes auszugrenzen.

Was sich die Gemeindeväter noch sagen lassen mußten: Nicht nur die Gleichberechtigung, was sicher manchem gstandenen Mannsbild im Ort kein großes Kopfzerbrechen bereitet, wurde ignoriert, nein gar den Schutz der Ehe haben die Oberammergauer verletzt. Und auch der Hinweis auf die Stellung der Frau im Altertum nützte ihnen nichts. „Angesichts des hohen Ranges dieser Grundrechte“ ist nach Meinung der Richter diese „Ungleichbehandlung“ nicht mehr zu „rechtfertigen“. Und genau diese Grundrechte „verleihen den Klägerinnen auch Ansprüche gegen die Gemeinde auf Mitwirkung an den Passionsspielen 1990“. Die Beschränkungen bezeichneten die Richter als „verfassungswidrig“.

„Ein schönes Urteil“ hatte sich Anneliese Zunterer, eine der drei Klägerinnen vor der Verhandlung gewünscht. CSU -Bürgermeister, Klement Fend dagegen war nur von einem Wunsch beseelt: „Daß schnell vorbei is“. Ihm war der öffentliche Rummel peinlich. Doch gerade er und seine CSU -Mannen hatten zuvor verhindert, daß ein Vergleichsangebot angenommen wurde. Vielleicht wollten sie sich die kostenlose Werbung nicht entgehen lassen. Stur stimmte der Gemeinderat noch letzte Woche dagegen und beharrte auf einem Urteil.

In Sachen „Frauenfrage“ hatte die CSU einen Zickzack-Kurs gefahren. Nach außen behaupteten sie jahrelang, sie würde auf seiten der Frauen stehen. Als sie jedoch, zusammen mit einer neuen, jüngeren Gruppierung einer freien Wählervereinigung die alten Hardliner der „Freien“ hätte überstimmen können, kam nichts. „Die CSU hat a Rückgrat wia a Brauseschlauch“, heißt es deshalb oft im Ort.

„Wir sind doch nicht im Wilden Westen“, wehrte der CSU -Mann, Fend sich, als er nach der Verhandlung gefragt wurde, ob es denn nun in Oberammergau zu Tumulten kommen würde. Sicher ist in dem idyllischen Ort jetzt nicht „High Noon“ angesagt. Doch für die nächste Verunsicherung der „lonesome cowboys“ im Rathaus ist bereits gesorgt. Denn die Frauen wollen in Oberammergau nicht nur bei den „heiligen Spielen“ mitmischen. Erstmals tritt im Passionsdorf eine Frauenliste zu den Kommunalwahlen an. Im Gemeinderat saßen bisher nur Männer. Auch damit soll jetzt Schluß sein. „Wir werden auch in Zukunft Ungerechtigkeiten mit derselben Energie bekämpfen, wie wir das im Frauenmitwirkungsrecht bewiesen haben“, kündigen die engagierten Kämpferinnen an. Denn: „Mit uns kann es nur besser werden.“