Nicaraguas Sandinisten vor dem Wahlsieg

■ Die Rechtsopposition hat am Sonntag kaum Aussichten, die Revolution zu beenden / Von Ralf Leonhard

Glaubt man einer Meinungsumfrage der US-Fernsehgesellschaft ABC, dann hat Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega die Wiederwahl schon in der Tasche. Danach wollen 48 Prozent für ihn und nur 32 für die Kandidatin der rechten Wahlallianz mit dem irreführenden Namen „Uno“, Violeta Chamorro, stimmen. Der gewonnene Krieg gegen Contra und USA hat den Sandinisten und ihrem Kandidaten ein Image der Stärke verschafft, während die Opposition mit einer schwachen Kandidatin und innerlich zerstritten antritt.

„Seit dem Papstbesuch 1983 habe ich keine solchen Menschenmassen mehr gesehen“, schwärmte Omar Cabezas, Guerillakommandant, international bekannter Buchautor und einer der Spitzenkandidaten der FSLN. „Daniel, Daniel“, brüllte eine tobende Menge von über 300.000 Anhängern, die das gesamte historische Stadtzentrum von Managua in ein Meer von rot-schwarzen Fahnen verwandelt hatte. Zum Abschluß ihres Wahlkampfes boten die Sandinisten am Mittwoch abend noch einmal alles auf, um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, daß die Opposition in diesem Land Opposition bleiben wird. Gleichzeitig gab sich Staatspräsident Daniel Ortega, seiner Wiederwahl augenscheinlich sicher, großzügig: „Am 26. Februar werden wir den Guardias (Somozas Soldaten, d.Red.) und den Contras der Opposition die politische Schuld vergeben, die sie auf sich geladen habei“. Die Leute von der Oppositionsallianz „Uno“ (Union Nacional Opositora) sollten aber endlich einsehen, „daß sie nicht die Lösung, sondern die Ursache der Probleme dieses Landes sind“.

Der 45jährige Daniel Ortega, der sich wie ein Showstar zu den Rhythmen der neuesten Schlagerhits auf der Bühne bewegt, in Begleitung des lokalen Baseball-Teams handsignierte Lederbälle ins Volk schleudert und seine freie Rede immer wieder durch Zwiegespräche mit den Massen auflockert, ist schon rein optisch der Gegenpol zu seiner Rivalin Violeta Chamorro (61).

Ganz in Weiß gekleidet und wegen einer Knieverletzung an den Rollstuhl gefesselt, muß sie bei der Schlußveranstaltung ihres Wahlkampfes auf die Tribüne gehoben werden, wo sie vor den rund 70.000 Zuhörern eine glanz- und witzlose Ansprache vom Blatt abliest und sich dabei immer wieder verheddert. Mit ihrer Gebrechlichkeit appelliert sie gezielt an Beschützerinstinkte, mit den zahlreichen Anspielungen auf ihren vor zwölf Jahren von der Diktatur ermordeten Mann Pedro Joaquin Chamorro, an das schlechte Gedächtnis der Nicaraguaner. Denn ihre heutige Koalition ist ein Tummelplatz auch für ehemalige Somoza-Günstlinge geworden die damaligen politischen Feinde des Verlegers, der seine Zeitung 'La Prensa‘ zum publizistischen Rammbock gegen die Somoza-Diktatur gemacht hatte.

Der oberflächliche und populistische Wahlkampf der letzten Wochen täuscht darüber hinweg, daß in Nicaragua am Sonntag mehr auf dem Spiel steht als in anderen Ländern Lateinamerikas, wo ein Regierungswechsel regelmäßig nichts an den Strukturen ändert. Gerade auch Jugendliche, die an die Somoza-Zeit kaum noch Erinnerungen haben, sind dieser Meinung. „Wenn Violeta gewinnt, haben wir zehn Jahre umsonst gekämpft“, sagt eine 16jährige Studentin, deren persönlicher Kampf sicherlich etwas später begonnen hat. Und für Alejandro Bendana, einen hohen Beamten im Außenministerium, geht es um nationale Identität: „Hier liegen zwei Konzepte im Widerstreit - eines, nach dem Nicaragua unabhängig sein kann und soll, und ein anderes, wonach Nicaragua dem Diktat der USA gehorchen muß.“

Alles andere sind für die Sandinisten nachgeordnete Probleme, denn die sozialen und kulturellen Errungenschaften der ersten Revolutionsjahre, im Laufe des langen Contra -Krieges und der Wirtschaftskrise großenteils verschüttet, können nur dann wiederbelebt und ausgebaut werden, wenn Nicaragua sich sein Selbstbestimmungsrecht bewahrt.

Die Sandinisten, die die sicherlich originellste Revolution des Kontinents gegen die USA und die eigenen Widersprüche verteidigt haben, treten am Sonntag gegen acht Kleinparteien und gegen das Wahlbündnis „Nationale Oppositionsallianz“ („Uno“) an, als Empfänger großzügiger US-Wahlhilfe der eigentliche Herausforderin. Den anderen Parteien zusammen werden in allen Umfragen keine zehn Prozent der Stimmen zugesprochen.

Zwar hat die FSLN den Staatsapparat in der Hand, auf dessen Personal und Infrastruktur sie großzügig zurückgreift. Doch in welchem Land garantiert ein solcher Regierungsbonus noch den Wahlsieg? In allen lateinamerikanischen Ländern jedenfalls, wo in den letzten 14 Monaten gewählt wurde, ist die Opposition an die Macht gekommen. Mit wenigen Ausnahmen ist es dabei nach rechts gegangen.

Hypothek Sozialismus

Außerdem haben die Sandinisten, sieht man einmal von dem nicht privatisierten Fernsehen ab, so gut wie allen Forderungen der Opposition schon im Vorfeld des Wahlkampfes nachgegeben. Und schließlich hat Nicaragua in den fast elf Jahren sandinistischer Regierung die schwerste Krise der jüngeren Geschichte durchgemacht und einen Reallohnschwund von 90 Prozent erlebt. Hinzu kommt, daß der Zusammenbruch des europäischen Ostblocks alle Parteien, die den Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, mit einer schweren Hypothek belastet. Allein der gewonnene Krieg gegen die Stellvertreterarmee Washingtons garantiert auch noch keinen Wahlsieg.

Und dennoch wollen die Sandinisten in diesen bis in den letzten Winkel des Landes kontrollierten Wahlen eine von den USA finanzierte, zumindest formal geeinte Opposition schlagen. Man stelle sich vor, die SED wolle sich am 18.März anschicken, gegen die vereinte DDR-Opposition zu gewinnen. Doch die FSLN ist nicht die SED, und Nicaraguas „Uno“ ist ein künstliches Gebilde, das einzig vom Dollarsegen aus Washington und vom gemeinsamen Wunsch, die Geschichte der Revolution zu beenden, zusammengehalten wird.

Anders als in Osteuropa, wo der Sozialismus als Geschenk der sowjetischen Brüder von oben verordnet wurde, hat in Nicaragua eine soziale Revolution stattgefunden, die jahrelang unter hohen Verlusten an Menschenleben verteidigt werden mußte. Dennoch ist das politische Bewußtsein bei der nicht organisierten Bevölkerungsmehrheit gering entwickelt, weil der relativ kurze Volksaufstand gegen das repressive Somoza-Regime nur ein oberflächliches Zweckbündnis geschaffen hatte, vom Lumpenproletariat bis zum städtischen Bürgertum. So ist es möglich, daß heute in Monimbo, dem berühmten Stadtteil von Masaya mit indianischer Tradition, wo 1978 die Volkserhebung gegen Somoza ihren Ausgang nahm, „historische Kämpfer“ bei der „Uno“ mitmarschieren und für den Fall eines sandinistischen Wahlsieges einen Bürgerkrieg prophezeien.

Vor allem an die Unpolitischen und die Indifferenten richtete sich die Wahlwerbung der Sandinisten, die auf Inhalte weitgehend verzichtete und Daniel Ortega einfach als volksnahen Tausendsassa portraitierte, der auf feurigen Mustangs und Wellen der Sympathie durch die Lande reitet. Die wirklichen Probleme wurden mit den eigenen „Massenorganisationen“ für Frauen, Jugendliche oder Arbeiter diskutiert, aber auch mit nicht organisierten Gruppen wie Bauern, Kaufleuten, oder Taxifahrern, die der Reihe nach zu Versammlungen mit dem Präsidenten eingeladen wurden. Da 48 Prozent der Wahlberechtigten weniger als 30 Jahre alt sind, richtete sich die Kampagne vorrangig an die Jugendlichen, von denen Zehntausende den zweijährigen Militärdienst absolviert und im Krieg gegen die Contras gestanden haben.

Die „Uno“ wirbt hingegen um deren Mütter, denen die Aufhebung des Wehrdienstes versprochen wird. Violeta Chamorro versucht ihnen zu suggerieren, daß die Wehrpflicht am Blutvergießen der letzten Jahre die Schuld trägt und nicht die US-Regierung, die die Contra geschaffen und in den Krieg geschickt hatte. Diese demagogische Verkehrung der Geschichte macht die „Uno“ jedoch verwundbar und trug ihr in der sandinistischen Propaganda das Etikett „GN-1“ spanisches Kürzel für „Guardia Nacional-„Uno“, will sagen: Nationalgarde, Contra und „Uno“ sind ein- und dasselbe.

Die Geschichte der „Uno“ begann unmittelbar nach dem Gipfeltreffen der zentralamerikanischen Präsidenten vor ziemlich genau einem Jahr, wo Daniel Ortega seinen Amtskollegen einen Demobilisierungsbeschluß für die Contras abtrotzte und als Gegenleistung die Wahlen um neun Monate vorverlegte. Unmittelbar darauf strömten Berater aus dem State Department, der CIA und dem Kapitol zu Dutzenden nach Managua, um aus der zerstrittenen, in 21 Parteien atomisierten Opposition eine konkurrenzfähige Allianz zu schmieden. Kern das Bündnisses sollte die konservative „Coordinadora Democratica“ sein, die 1984 auf Druck der USA noch für Wahlboykott optiert hatte.

Eine Generalamnestie für alle, die dem bewaffneten Kampf abschworen, ermöglichte die Rückkehr von Contra-Führern, die den bewaffneten Kampf als verlorene Sache erkannten und eine Chance sahen, die Sandinisten an den Urnen zu besiegen. Alfredo Cesar war der erste, der unmittelbar nach Unterzeichnung des Abkommens seine Rückkehr in die politische Arena ankündigte. Er ist heute Spitezenkandidat der „Uno“ für die Nationalversammlung. Auch Azucena Ferrey bewirbt sich in aussichtsreicher Position um ein Abgeordnetenmandat, Pedro Joaquin Chamorro Jr. schließlich fungiert als Berater seiner Mutter. Zahllose kleinere Fische, darunter sogar ehemalige Offiziere der verhaßten Nationalgarde, finden sich auf den Listen für die Gemeindevertretungen.

Für Dollarprämien

ins Oppositionsbündnis

An Geld aus den USA sollte es diesen Leutennicht fehlen. Um auch den letzten Vorwand für einen neuerlichen Boykott aus dem Weg zu räumen, willigte die Regierung sogar in eine Reform des Wahlgesetzes ein, die ausländische Finanzierung von Parteien in unbegrenzter Höhe erlaubte - mit der Auflage, daß 50 Prozent dieser Gelder an den Obersten Wahlrat für die Finanzierung der technischen Vorbereitungen abgeführt werden. Die Spitzen der Oppositionsparteien sahen sich bald der Versuchung fünfstelliger Dollarprämien für einen Beitritt zum antisandinistischen Bündnis ausgesetzt. Ende April wurden die Parteiführer zu intensiven Gesprächen mit dem State Department und dem Kongreß nach Washington zitiert. Im Juni folgte die offizielle Gründung der Union Nacional Opositora, die nach den Vorbildern Chile und Panama eine ausgelaugte Regierung hinwegfegen sollte.

Tatsächlich befanden sich die Sandinisten nach dem Krisenjahr 1988 und infolge der drastischen Wirtschaftsmaßnahmen und Massenentlassungen zu Jahresbeginn am Tiefpunkt ihrer Popularität. Den hätten sie vielleicht gar nicht so schnell überwunden, wenn nicht die Feierlichkeiten zum 10. Revolutionsjubiläum Anlaß geboten hätten, die Erinnerung an den heroischen Kampf gegen die Diktatur wiederzubeleben und nach der endgültigen Niederlage der bewaffneten Konterrevolution eine ähnliche Aufbruchstimmung wie 1979 zu schaffen.

„Ganamos y adelante“ - „Wir haben gesiegt, und jetzt geht's voran“ - hieß die Parole, die übergangslos in den Wahlkampf führen sollte. Die sandinistischen „Comandantes“ begannen, wieder verstärkt Land zu verteilen, erließen den Bauern ihre Kreditschulden und sorgten für Saatgut und Düngemittel. In Managua wurden plötzlich die Löcher in den Straßen gestopft, eine Aufstockung der Busflotte schuf im öffentlichen Transportwesen Erleichterung. Hunderte Taxifahrer bekamen einen neuen Lada auf Kredit, und Familien in noch nicht zurückgezahlten Sozialbauten erhielten endlich Eigentumstitel für ihre Häuser. Daniel Ortega und sein bisheriger und wohl auch künftiger Vize Sergio Ramirez bereisten in zwei Monaten sämtliche Gemeinden des Landes und ließen sich geduldig die lokalen Probleme und Mißstände darlegen. Die alten Basisstrukturen wurden mit neuem Leben gefüllt, ehemalige Aktivisten, die sich von der Politik abgewandt hatten, wurden neuerlich motiviert und mit Aufgaben betraut. Zum Schluß machten mehr als 80.000 Sympathisanten der sogenannten Wahlaktionskomitees stimmung in ihrem Wohnbezirk.

Nach der grandiosen Schlußveranstaltung in Managua ist am Sieg der Sandinisten kaum mehr zu rütteln. Kritische Parteileute hoffen allerdings, daß der Triumph nicht zu deutlich ausfällt. Und manche geben zwar ihre Stimme für Daniel Ortega ab, wählen aber eine der fortschrittlichen Kleinparteien in die Nationalversammlung und Gemeindevertretungen. Ein Erdrutschsieg über 60 Prozent würde, so meinen nicht wenige, die sandinistische Führung mit Hochmut füllen und den notwendigen Prozeß der Selbstkritik und Selbstreinigung erschweren.