Der Bürgermeister geht - und keinen juckt's

■ Nur mäßiges Interesse an Rücktritt und Nachfolgerwahl von Erhard Krack im Roten Rathaus / Neuer Interims-OB wurde Christian Hartenhauer (PDS), ein Mann, der „ausgleichend“ wirken will

„Ich stelle fest, daß wir damit wieder eine Klippe umschifft haben!“ Erleichterung in der sonoren Stimme des graumelierten älteren Herren. Es scheint das Hauptanliegen der im Saal Versammelten einschließlich ihres „Vorstehers“, Klippen zu umschiffen, und das gelingt ihnen an diesem Vormittag auch. Die 132 Ostberliner Stadtverordneten wirken gänzlich unaufgeregt, 93 sind erst gar nicht erschienen. Immerhin ist dies keine ganz gewöhnliche Stadtverordnetenversammlung im üppig ausgestatteten Plenarsaal des Roten Rathauses. Reicht doch zum ersten Mal in der Geschichte dieses Gremiums ein Oberbürgermeister seinen Rücktritt ein. Erhard Krack, Chef der Ostberliner Verwaltung, tritt nach 16 Jahren Amtszeit zurück und übernimmt damit die politische Verantwortung für die Wahlmanipulationen bei der letzten DDR-Kommunalwahl. Seine Ära endet so farblos und unspektakulär, wie seine gesamte Amtszeit verlaufen ist. Zum offiziellen Rücktritt erscheint er nicht selbst, sondern läßt einen Brief vom Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, Laurenz Demps, verlesen. „Der Anstand gebietet uns, auch das Positive in seiner Arbeit zu würdigen“ mahnt er das Publikum - völlig überflüssigerweise, denn niemand im Saal denkt offensichtlich daran, irgendeine Art von Kritik an dem ehemaligen Bürgermeister zu üben. Vielmehr wird dann eine farblose Debatte darüber geführt, ob man jetzt einen der Stellvertreter von Krack einfach zum Oberbürgermeister ernennt oder förmlich einen neuen wählt. Der Magistrat hat sich einen Kandidaten ausgesucht, der jetzt auch dem Stadtparlament vorgeschlagen wird. Ein wenig Spannung kommt auf, als eine CDU-Abgeordnete fordert, eine „Form der Amtierung“ vorzunehmen. Die CDU-Frau zieht schließlich ihren Antrag zurück, alle anderen pflichten bei. So wird als einziger Kandidat Christian Hartenhauer, PDS -Mitglied, aber Mandatsträger der Kulturbundes, nominiert. Ingrid Pankratz, die derzeit die Geschäfte führt, hat gebeten, nicht nominiert zu werden, sie habe zwei Kinder und wolle die nicht noch stärker vernachlässigen. „Wieder eine Klippe umschifft“ murmelt der Vorsteher, man kann jetzt zur Wahl schreiten. Hartenhauer, 41 Jahre alt, gelernter Dreher und promovierter Ökonom, wird schließlich mit 82 Ja-Stimmen zum neuen OB gewählt. Wie lange er amtieren wird, ist derzeit völlig unklar. Klar ist aber, daß er wie sein Vorgänger in der immer noch bestehenden politischen Struktur der DDR kaum etwas zu sagen hat. Damit er gestärkt wird, müssen erst die alten Länder wieder eingeführt werden.

Nach seiner Wahl geht die Stadtverordnetenversammlung zunächst zur Tagesordnung über, erst nach einiger Zeit gibt der neue OB Hartenhauer eine Erklärung ab. Ausgleichend wirken möchte er und ein Stück der persönlichen Schuld eines jeden einzelnen an der Deformierung des politischen Systems abbauen. Man glaubt es dem großen und korpulenten Sachsen gern, daß er ausgleichen will, wirkt er doch in jeder Beziehung farblos und wenig streitlustig. Wieder eine Klippe umschifft...

Kordula Doerfler