„Ob das eine Karriere ist...?“

■ Der neue Generalstaatsanwalt beim Landgericht, Hans-Joachim Heinze (55), über sein Amt / Politische Staatsanwaltschaft soll schnell und „so gründlich wie nötig“ umstrukturiert werden / Entscheidung, Honecker freizulassen, „toll und mutig“

Der bisherige Vorsitzende Richter der 29. Strafkammer, Hans -Joachim Heinze (55), wurde am Donnerstag vom Abgeordnetenhaus zum neuen Generalstaatsanwalt beim Landgericht gewählt. Er tritt sein Amt am 1. März an. Er folgt damit dem Generalstaatsanwalt Hans-Wolfgang Treppe nach, der nach 14jähriger Amtszeit abgewählt worden war, weil er sich geweigert hatte, die Anweisung der Justizsenatorin zur Auflösung der politischen Abteilungen der Staatsanwaltschaft zu befolgen. Heinze ist parteilos und auch kein Mitglied in einer Standesorganisation.

taz: Herr Heinze, eigentlich müßten Sie ihrem Vorgänger Hans-Wolfgang Treppe dankbar dafür sein, daß er sich geweigert hat, die politischen Abteilungen der Staatsanwaltschaft aufzulösen. Sonst hätten Sie diese Karriere ja nicht gemacht.

Hans-Joachim Heinze: Ich bin Herrn Treppe nicht dankbar, daß er sich so verhalten hat. Ich bedauere es eher, daß unter so dramatischen Umständen ein Amtswechsel erfolgt ist, denn das macht mir die Sache natürlich wesentlich schwerer. Ob das eine Karriere ist, wage ich auch zu bezweifeln. Ich tausche jetzt die schöne Stellung eines Richters, der unabhängig ist, gegen die eines weisungsgebundenen Beamten.

Was hat Sie denn dann dazu bewogen, sich für dieses Amt zu Verfügung zu stellen?

Es gibt in meinem Leben immer so Phasen, die liegen zwischen 15 und 20 Jahren, da möchte ich einmal etwas Neues machen. Das Segelfliegen mache ich zum Beispiel schon seit 20 Jahren, und vor drei Jahren habe ich aufgehört, weil die Luft raus war. So ähnlich ist es mir mit dem Richterberuf gegangen. Ich bin jetzt seit 20 Jahren Richter, seit 15 Jahren Vorsitzender eines Schwurgerichts. Ich habe mich dabei ertappt, daß mich kleine Fälle, - das sind bei mir ja immerhin versuchter Totschlag oder gefährliche Körperverletzung - nicht mehr so angerührt haben wie am Anfang meiner Tätigkeit. Aus diesem Grunde habe ich mir ohnehin Gedanken darüber gemacht, etwas Neues zu beginnen. Zum Beispiel hat mich der Vorsitz in einer Strafkammer gereizt, die Umweltdelikte bearbeitet.

Statt dessen stehen Sie jetzt der Staatsanwaltschaft am Landgericht vor und sollen die Behörde umstrukturieren. Was ist Ihre Meinung über die politischen Abteilungen?

Ich meine, daß die Verurteilung der politischen Staatsanwaltschaft in Bausch und Bogen nicht richtig ist. Ich habe in der Vergangenheit Prozesse mit der politischen Staatsanwaltschaft geführt, da gab es überhaupt nichts zu beanstanden. Wir haben Terroristenverfahren und NS-Verfahren bearbeitet, die sich in nichts von anderen Verfahren unterschieden. Es gab allerdings Einzelfälle, in denen die politische Staatsanwaltschaft übers Ziel hinausgeschossen ist. Wie das eben immer so ist: 100 gut arbeitende Staatsanwälte fallen nicht auf, aber zwei oder drei, die übers Ziel hinausschießen, prägen das Image. Ich denke, daß man das Problem zu einem früheren Zeitpunkt hätte in den Griff bekommen können, indem man die betreffenden Staatsanwälte mit anderen Aufgaben betraut hätte. Daß die Abteilung auf den Begriff politischer Bezug ausgerichtet war, war natürlich völlig irrwitzig. Der mußte ganz klar weg.

Die Chronik der Skandale und Statistiken über die Strafanträge in Hausbesetzer- und Krawallprozessen belegen eindeutig, daß nicht Einzelne, sondern die gesamte P -Abteilung immer wieder übers Ziel hinausgeschossen ist. Das ist einfach ein strukturelles Problem.

Von der Statistik habe ich gehört. Wie zuverlässig sie ist, weiß ich nicht. Sie ist ja wohl privat von Rechtsanwälten erhoben worden, und somit natürlich nicht repräsentativ. Es ist aber ganz sicher richtig, daß während einer bestimmten Zeit von einigen Staatsanwälten überzogene Forderungen gestellt worden sind, die dazu geführt haben, daß die politische Staatsanwaltschaft insoweit zu Recht unter Beschuß geraten ist. Dieser Beschuß ist dann aber ausgeweitet worden und hat nach meinem Dafürhalten zu einer Wagenburgmentalität geführt.

Die Wagenburgmentalität war schon immer da. Die Erfahrung von Rechtsanwälten ist ja gerade, daß Staatsanwälte, die vorher ganz vernünftig waren, nach dem Wechsel in die P -Abteilung binnen kurzem einen Wandel zum Hardliner vollzogen haben.

Das mag für eine bestimmte Zeit zutreffen, aber das hat so nicht angefangen. Aber mir ist auch aufgefallen, daß Staatsanwälte, die ich aus anderen Gebieten kannte, in sogenannten P-Sachen plötzlich ganz anders wirkten. Da gab es so eine Gruppendynamik. Das hätte man aber früher auffangen können, wenn jemand aufgepaßt hätte. Jetzt sehe ich auch, daß wohl nichts anderes mehr möglich war, als die P-Staatsanwaltschaft so umzustrukturieren, daß sie in Zukunft völlig anders ist, als sie bisher war.

Justizsenatorin Limbach hat im Januar erklärt, daß die Umstrukturierung bis zum 17. April in Kraft gesetzt sein soll. Werden Sie das schaffen?

Bei den Zeitplänen der Senatorin war sicher nicht einkalkuliert, daß ein Wechsel des Generalstaatsanwalts ins Haus steht. Ich weiß nicht, wie schwierig die Umstrukturierung sein wird. Ich möchte sie so schnell wie möglich, aber auch so gründlich wie nötig durchführen.

Die Vereinigung der Staatsanwälte hat ja bereits angekündigt, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihnen nicht möglich sei wird, weil ihr zukünftiger Referent Ralf Rother zum Oberstaatsanwalt befördert wurde. Schreckt Sie das?

Es schreckt mich nicht, sondern verwundert und betrübt mich. Was ich an der ganzen Aktion gegen Herrn Rother im wesentlichen zu beanstanden habe, ist nicht, daß man sich gegen seine Beförderung wehrt, sondern daß mich kein einziger gefragt hat, warum ich das möchte. Ich konnte von mir aus dazu bisher nichts sagen, weil ich die Entscheidung des Parlaments abwarten mußte, ob ich gewählt werde, und weil ich mich nicht schon vorher als Generalstaatsanwalt gerieren wollte. Statt mich anzusprechen, fing man an, auf übelste Art und Weise mit Verleumdungen zu schießen. Es stimmt zum Beispiel nicht, daß Herr Rother ehemaliger P -Staatsanwalt ist und aus Gewissensgründen die Behörde verlassen hat. In einer Behörde, in der es möglich gewesen wäre, mit einer Schlammschlacht eine von mir für absolut richtig gehaltene Entscheidung zu verhindern, hätte ich nicht Leiter werden wollen. Ich habe aber gegenüber der Senatorin nie ein Junktim zwischen mir und Herrn Rothers Beförderung und meiner Bereitschaft, das Amt anzutreten, hergestellt. Ich werde in den nächsten Tagen mehrere Gespräche führen und in der Woche nach meinem Amtsantritt in einer Personalversammlung ausführlich meine Gründe darlegen. Ich denke, daß ich damit viele Mißverständnisse ausräumen kann.

Was sagen Sie zu der Befürchtung, daß die alten P -Staatsanwälte in den neuen Spezialgruppen wie „Gruppengewalt“ unterkommen und damit ihre alten Stiefel weiter durchziehen können?

Wie gesagt, es gibt in der P-Staatsanwaltschaft auch Leute, die absolut korrekt gearbeitet haben. Daß diese Leute in die neuen „P-Abteilungen“ kommen, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Daß die Mannschaft geschlossen in die „Gruppengewalt“ rübergeht, das halte ich für ausgeschlossen.

Durch die Grenzöffnung und das Währungs- und Wirtschaftsgefälle wird die Kriminalität in Berlin demnächst vermutlich stark zunehmen. Werden Sie die Staatsanwaltschaft anweisen, mit den Eierdieben und kleinen Räubern aus dem Osten moderat und nachsichtig zu verfahren?

Ich kenne die Behörde, die ich ab nächste Woche leiten soll, selbst noch nicht so genau, um sie zuverlässig beurteilen zu können. Ich möchte mich erst einmal in mein neues Arbeitsgebiet einarbeiten und da vielleicht auch etwas verändern. Ich möchte das so schnell wie möglich tun, weil ich die Probleme, die Sie eben angesprochen haben, natürlich auf mich zukommen sehe, und dann fest im Sattel sitzen möchte. Ich denke aber, daß eine Rechtseinheit ganz sicher noch geraume Zeit braucht.

Glauben Sie, daß die hiesigen Juristen vom DDR-Strafrecht etwas lernen können?

Ich kenne das Strafrecht der DDR zu wenig, um dazu etwas sagen zu können. Ich bin aber prinzipiell der Meinung, daß man - wenn es jetzt zu einer Vereinigung kommen sollte Dinge, die sich drüben bewährt haben nach hier übernehmen könnte. Das große Problem wird die richterliche Unabhängigkeit sein. Ich muß ganz ehrlich sagen, ich habe die Entscheidung des Kollegen drüben in Ost-Berlin, Honecker freizulassen, für toll und mutig gehalten, obwohl ich nicht beurteilen kann, ob sie sachlich gerechtfertigt war. Das gibt mir eigentlich Hoffnung, daß es da drüben auch Richter gibt, die sich ihrer Unabhängigkeit sehr schnell bewußt werden, wenn man sie nur läßt.

Finden Sie, daß Richter weiter Recht sprechen sollten, die Menschen - die zum Bespiel für ihre Freiheitsrechte demonstriert haben - zu hohen Haftstrafen verurteilt haben?

Wenn Richter und Staatsanwälte sich nach unseren Begriffen eindeutig rechstaatswidrig verhalten haben, dann dürfen sie meiner Meinung nach nicht im Amt bleiben. Dann müssen sie genauso wie NS-Richter zur Verantwortung gezogen werden.

Viele NS-Richter haben bekanntlich nahtlos weitergerichtet.

Das finde ich nicht in Ordnung, so etwas sollte sich nicht wiederholen. Aber jeden Kollegen drüben, nur weil er Richter war und Parteimitglied, gleich in Bausch und Bogen zu verurteilen, halte ich auch für falsch. Denn drüben konnte man eben nur Richter werden, wenn man in der Partei war. Es hat ganz sicher auch Richter gegeben, die - weil sie an der Rechtspflege positiv mitwirken wollten - zum Schein in die SED eingetreten sind, um über dieses Amt vielleicht auch segensreich zu wirken. Es wird die Schwierigkeit sein, sie herauszufinden.

Interview: Plutonia Plarre