Der Pantoffel-Salon

■ Die Couchgarnitur und die Schrankwand, arrangiert für geselliges Beisammensein oder für die feierabendliche Entspannung. Stereotyp und doch fein differenziert: Für jeden Lebensstil gibt es das passende Wohnzimmer-Interieur.

OLGA O'GROSCHEN durchstreifte deutsche Möbelhäuser.

ls Gegenpol zur hektischen Geschäftigkeit des Alltags suchen wir Ruhe und Geborgenheit im wohnlichen Heim. Dabei steht das Wohnzimmer naturgemäß im Mittelpunkt unseres Interesses. Hier sind wir Mensch, hier dürfen wir es sein. Hier schlüpfen wir in die Feierabendpantoffeln und in den bequemen Jogginganzug und lassen uns ein wenig gehen, denn hier sind wir zu Hause. Das Wohnzimmer dient uns nicht nur als Stätte der individuellen Erholung von den Sorgen und Nöten des Alltags, sondern auch als Ort der familiären Begegnung, der zwanglosen Geselligkeit mit Freunden und Bekannten und natürlich als gemütliches Plätzchen für den abendlichen Fernsehspaß.

Verständlich ist daher das Bedürfnis aller Bevölkerungsgruppen, diesen ihren ureigenen Lebensraum behaglich auszugestalten. Das typische deutsche Wohnzimmer gibt es nicht. Der zunehmenden Auffächerung der bundesdeutschen Gesellschaft entsprechend, werden heute bis zu sieben Modelle angeboten, die selbstverständlich jeweils noch individuell ergänzt werden können.

Das Basismodell „Bottrop“ wurde in erster Linie für die Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen unter uns entwickelt, kann aber auch von all jenen genutzt werden, die ein schlichtes und widerstandsfähiges Interieur bevorzugen. Als Fußboden ist ein abwaschbarer Linoleumbelag vorgesehen, für die Wände wahlweise eine Palmenstrand- oder Deutscher-Wald -Tapete, die von zwei bis drei Ölgemälden mit Szenen aus dem bäuerlichen oder dem Zigeunerleben aufgelockert wird. In der raumbeherrschenden Schrankanbauwand aus Eiche rustikal können die vier Konsalikromane, das Porzellankätzchen, das Lebkuchenherz vom letzten Jahrmarkt und die Souvenirs von der Nordseeküste untergebracht werden. Ein willkommenes Detail ist die integrierte Hausbar, die einen reichen Vorrat an Alkoholika bereit hält.

Die Couchgarnitur besteht aus dunkelbraun bezogenen Sitzelementen und gefällt durch ihre beachtliche Einsinkqualität und ihre Ausrichtung auf den Fernsehapparat. Ohne weitere Umstände kann am Couchtisch mit handverlegter Ölschiefer-Kacheleinlage das abendliche Klappstullen -Familienessen eingenommen werden. Für die lauschige Atmosphäre sorgt zusätzlich die Stehlampe aus Französisch -Gold mit Fransenschirm, unter deren Schimmer der Schäferhund an seinen Knochen nagt. In einer solchen Einrichtung kann ein gewöhnliches Familienleben vom Ehestreit über das Kindergebrüll bis zum zünftigen Besäufnis mit den Nachbarn befriedigend abgewickelt werden.

as Modell „Dallas“ dagegen möchte einen Personenkreis ansprechen, der es im Leben zu etwas gebracht hat und der stolz darauf ist. Das Wohnzimmer dieser Bevölkerungsgruppe ist ein harmonisches Refugium nach ganz persönlichem Geschmack. Als standesgemäßes Mobiliar ist die beliebte Eckanbauwand aus Nußbaum antik vorgesehen, furniert, mit Vitrineneinsatz. Passend dazu eine Anrichte, auf die eine wertvolle Kristallvase gehört. Da „Dallas“ vor allem für Menschen gedacht ist, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben und nun ihren Lebensabend in Ruhe vor dem Fernseher verbringen möchten, wurde auf übermäßige Auskleidung des Raumes verzichtet.

Die besonderen Knüller dieses Modells sind die liebevoll ausgewählten Elemente, die den Fernsehgenuß erleichtern. Für die Ehefrau ein Backensessel mit abgepolstertem Hocker und für den Herrn des Hauses der Fernsehsessel Mr. Kitty, in zartem Blütenmuster gehalten. Feierabendbier, Kreuzworträtsel, Salzcracker und TV-Zeitschrift können bequem auf dem Servierwagen mit Kachelfläche abgestellt werden. Selbstverständlich gehört ein leistungsstarker Fernseher mit Kabelanschluß und Fernbedienung zur Ausstattung dazu.

Dem Kenner und Genießer abendländischer Kultur kommt das Modell „Studienrat“ entgegen. Beeindruckend die repräsentative Bibliothek, die zwei Wände des Wohnraumes einnimmt. Die Bücher, Werkausgaben von Brockhaus, Goethe, Schiller und Uta Danella, werden sofort mitgeliefert, auf Wunsch auch mit Lesezeichen, Eselsohren und handschriftlichen Anmerkungen („Sehr richtig!“, „Widersprüchlich, vgl. Meyer op. cit.“) versehen. Die Möbelgruppen dieses Modells sind echte Imitatstücke der Stile „Chippendale“, „Louis XVI.“ oder „Biedermeier“, oft von fleißger Hand in Übersee gefertigt. Sie laden ein zu feinsinniger Konversation mit Nachbarn, Bridgepartien mit befreundeten Ehepaaren und zu privatem Geplauder bei Kerzenlicht und einem Gläschen Wein.

Erlesene Nippesfiguren und Mitbringsel von diversen Auslandsreisen bieten der unterbeschäftigten Hausfrau die Möglichkeit täglicher kreativer Entstaubung. In die Mahagoni -Schrankanbauwand, hinter einem unauffälligen Türchen, ist der unverzichtbare Fernsehapparat eingelassen, er wird jedoch nur für die tägliche Tagesschau, Kultursendung und Talkshow genutzt.

uch unsere Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft haben ein Recht auf ein markantes und geschmackvolles Wohnzimmer. Für sie ist das Modell „Parteispende“ entwickelt worden. Da die Kosten letztlich von öffentlicher Hand gezahlt werden, muß hier nicht an allen Ecken und Enden gespart werden. Die Arrangements haben den Charakter des Unikates. Exklusiv. Hochwertig. Unverwechselbar. Von der Decke, mit Regenwaldholz getäfelt, senkt sich ein Kronleuchter aus hochkarätigen Straßsteinen herab. Im Parkettfußboden sind als kunstvolle Einlegearbeiten Szenen aus der Lebensgeschichte des Hausherrn zu sehen. Die Tapete aus hochwertigem sandfarbenen Kammgarn verleiht dem Wohnzimmer eine anheimelnde, freundliche Wärme. Die Polstergruppe Mr. Cleo mit schneeweißem Lederbezug und schwarzer Esche harmoniert glücklich mit dem Anbauprogramm aus Eiche cremeweiß linkerhand, während rechts eine Anbauwand aus Rosenholz mit Intarsien, abgerundeten Endmöbeln und Vertäfelungspilastern ins Auge fällt. Die deutsche Einrichtungskultur zeigt sich hier in voller Blüte: ausdrucksvolle Frontprofile und ein Oberflächenfinish, das seinesgleichen sucht. Natürlich sind auch die Originalgemälde von Chagall, Breughel und Dix nicht ganz billig. Aber schließlich lebt man nicht in Wandlitz.

Für die progressive, gesellschaftskritische Generation, die sich nach all den Jahren des WG-Frustes und des Ikea-Grauens nun doch nach einem schönen Heim sehnt, ist das Modell „Jutta Ditfurth“ gedacht. Schon beim Eintreten ins Wohnzimmer wird der Fuß vom flauschigweichen Teppich aus biodynamisch gewachsener Schafwolle aus der Toskana umschmeichelt. An den Wänden prangern Poster von niedlichen indischen Kleinkindern den Welthunger an, während einige Jugendstil-Reklameschilder eine nostalgische Sehnsucht vermitteln.

Im Bücherregal ist die zerfledderte MEW-Ausgabe in die zweite Reihe gerutscht, obenauf liegen „Die Nebel von Avalon“ und „Das Parfüm“. Der Couchtisch aus Kirschbaum, mit Onyx-nuvolato-Platte, dient als Ablage für ihre 'Freundin‘ und seinen 'Kicker'; die abonnierte kritische tageszeitung ist auf der Fernsehseite aufgeschlagen, zwei Dokumentarfilme auf NordIII sind angestrichen.

ie Polstergarnitur „Bückeburg“ mit beigefarbenem Bezug schien zunächst etwas spießig, aber wenn man abends von den entnervenden Kollektiv-Diskussionen, warum schon wieder sechs Leute aus dem Projekt ausgestiegen sind, nach Hause kommt, ist man doch froh, sich einfach mal fallenzulassen. Nicht mehr kritischer Kopf sein, sondern nur Bauch. Mit einem Glas griechischem Landwein und der tollen südamerikanischen Folklore-Platte mal relaxen. Vielleicht nachher ein halbes Stündchen mit dem Therapeuten telefonieren.

Dem Außenseiter und Miesepeter schließlich ist das Modell „Sid Vicious“ gewidmet. Rauhe unverputzte Wände atmen die Öde der Welt, eine ranzige Matratze vom Sperrmüll gähnt den Haß des jungen Pubertierenden entgegen. Küchenschaben, Kakerlaken und fiese Ratten sind seine einzigen Spielkameraden. Immerhin stapelt sich an der Wand eine Palette Bierkästen hoch, und im Aldi-Einkaufswagen sind seine letzten Klamotten verstaut. Dies ist ein auslaufendes Modell, sein Linoleumboden weist schon auf den anvisierten Nachfolger „Bottrop“ hin.