Der Pariser Börse geht's durch D-Mark und Bein

Erwartungen auf Hochzinspolitik und deutsche Währungsunion lassen die Kurse sacken / Ost-Entwicklung als Auslöser einer Zinsspirale?  ■  Aus Paris Alexander Smoltczyk

Wundersame Welt des Geldes: Noch gibt es die Großdeutschmark gar nicht, und schon sorgt sie für monetäres Ungemach, treibt Aktienkurse in die Tiefe und nicht-deutschen Zentralbankern den Angstschweiß auf die Stirn. Die Pariser Börse sackte seit Jahresbeginn um zehn Prozent ein, mit verstärkter Baisse-Tendenz in dieser Woche. Noch gestern mittag sackte sie gegenüber den Eröffnungskursen um 1,8 Prozent - und die gut zwei Millionen Kleinaktionäre von „Eurodisneyland“ sahen ihre Geldspeicher wieder unter die psychologisch wichtige Marke von 100 Franc rutschen.

Dabei predigt Frankreichs Finanzminister Beregovoy ihnen und allen anderen AkteurInnen Zuversicht: alle realwirtschaftlichen Indikatoren wie Wachstum, Investitionsrate und Außenwirtschaftsposition seien doch, Nom de Dieu!, gut. Gewiß, soweit hat der Mann recht doch in einer Geldwirtschaft, die wesentlich von der Knappheit an Geld reguliert wird, pflegen sich schon bloße Erwartungen bezüglich monetärer Größen sehr drastisch auszuwirken. Zum Beispiel die deutsch-deutsche beziehungsweise deutsche Währungsunion.

Diese geplante Operation wird eine Weltpremiere. Niemand kann sagen, welches die Konsequenzen für die legendär stabile D-Mark sein werden. Die Märkte scheinen davon auszugehen, daß es ohne einen inflationären Schub nicht abgehen wird. Zwar machen die Sparstrümpfe der DDR-Bürger nur etwa drei bis vier Prozent der bundesdeutschen Geldmenge aus, aber „wir sind am meisten beunruhigt über das Risiko einer Preissteigerung infolge einer schnellen Angleichung der Gehälter“, so ein führender Experte der Großbank Indosuez.

Ein in dieser Woche teilweise durchgesickerte Geheim -Szenario der EG-Kommission befürchtet, daß der Ausreisestrom weiter ansteigen wird und „das wirtschaftliche, soziale, ja politische Gleichgewicht der BRD untergraben“ kann. Und trotz aller Beteuerungen von Bundesbankpräsident Pöhl, daß die D-Mark in Zukunft ein noch stärkerer „Anker der Stabilität“ sein werde, bleiben die internationalen Anleger skeptisch. Sie erwarten, daß die Bundesbank die DM-Zinsen weiter heraufsetzen muß, um DM -Besitzer davon abzuhalten, auf andere Währungen umzusteigen. Und wie sollen die DM-Obligationen, mit denen die Bundesregierung ihr östliches Aufbauprogramm finanzieren muß, am Markt untergebracht werden, wenn nicht durch attraktiv hohe Zinsen? Viel von der weiteren Entwicklung wird davon abhängen, ob sich Pöhls Bedenken bezüglich einer schnellen Währungsunion gegenüber der politischen Ungeduld von Kohl und den DDR-Parteien noch einmal behaupten können.

Etwas weiteres kommt hinzu. Bislang wurde das US-Defizit durch DM und Yen finanziert. Nicht ohne Erfolg: Die US -Zinsen blieben bis Dezember niedrig. Nun jedoch erwarten die Anleger - ob zu Recht oder zu Unrecht, spielt in der antizipativen Welt des Geldes keine Rolle -, daß bundesdeutsches Kapital patriotisch wird und sich der DDR zuwendet. Dann müßte die US-Regierung höhere Zinsen bieten, um ihr Defizit am Geldmarkt zu finanzieren, zumal die Yen -Besitzer sich ebenfalls dem heimischen Markt zuwenden könnten.

Denn dort stehen die Zinsen seit Jahresbeginn ebenfalls auf Rekordniveau, um der Inflation zu begegnen. Toyoo Gyothen, Berater des japanischen Finanzministers, erklärte am Dienstag in Paris außerdem, daß Japans Anleger sich in Erwartung eines Ost-Booms zur Zeit von Dollar-Anleihen auf DM-Anleihen umorientierten. Einem steigenden Dollar-Zins aber kann sich keine Währung entziehen, wie spätestens die achtziger Jahre in unvergeßlicher Weise gezeigt haben.

Der Franc ist dabei in einer besonders ungünstigen Position. Denn das Kapital, das unternehmungslustig auf die Ostmärkte schaut, macht um die Pariser Börse einen großen Bogen, um nach Frankfurt und Wien zu fließen. Und der Banque de France ist es nie gelungen, sich von den bundesdeutschen Zinsen abzukoppeln, ohne den stabilen Wechselkurs des Franc gegenüber der D-Mark zu riskieren. Höhere Zinsen bremsen jedoch die Investitionen, weil Kapital teurer wird.

„Wir ersticken an den Zinsen, zu denen uns die starke Deutsche Mark zwingt“ - zu Recht gehört diese Klage zum Standardinventar französischer Ökonomen. Frankreich bleibt also in jeder Hinsicht der schwarze Peter, weshalb die Pariser Börse auch stärker nachgab als ihre europäischen Kollegen.

Bleibt in den Augen der Franzosen, aber auch der Italiener, als Ausweg nur eine internationale oder europäische Absprache der Zentralbanken, die etwaige bundesdeutsche Alleingänge bremsen könnte. Am allerbesten wäre jedoch eine institutionalisierte Vereinbarung, sprich: die europäische Währungsunion.

Einen beschleunigten Fahrplan hin zur Einberufung der Regierungskonferenz, auf der die dazu nötigen Änderungen der Römischen Verträge beschlossen werden, wollen die Regierungen Frankreichs, Italiens, Irlands und natürlich die EG-Kommission selbst. Davon wiederum wollen aber weder Kohl noch Pöhl etwas wissen, derzeit.