Lafontaine eröffnet seinen Wahlkampf

Parteitag der SPD-Ost in Leipzig wurde zur Startrampe für den Spitzenkandidaten der SPD-West / Soziale Frage im Mittelpunkt  ■  Aus Leipzig Matthias Geis

Nach den Wochen des deutsch-deutschen Einheitstaumels hätte der Einstieg des SPD-Kanzlerkandidaten in den DDR-Wahlkampf kaum ernüchternder ausfallen können. Lafontaine bemühte sich nicht, in seiner Rede vor dem ersten Parteitag der DDR -Sozialdemokraten sein Unbehagen am forcierten, nationalistisch unterfütterten Einigungsprozeß zu verstecken.

Erneut kritisierte er die finanziellen Hilfen für Übersiedler als „Prämien für das Weggehen“. Obwohl er seine Argumentation an der Kritik der Deutschlandpolitik der Bundesregierung entwickelte, blieb auch die eigene Partei nicht ungeschoren: In bezug auf die - auch von der SPD mitgetragene - Forderung nach einer schnellen Währungsunion riet Lafontaine, „unbeschadet drängender Stimmen, in der eigenen Partei zu sorgfältiger Vorbereitung“.

So geriet Lafontaines Rede über weite Strecken zu einer Mahnung, die Entwicklung in der DDR nicht verkürzt als nationales Ereignis wahrzunehmen. 1989 sei nicht „das Jahr der Deutschen“, sondern das Jahr der Völker Osteuropas und der „Menschen in der DDR“. Die Entwicklung in Osteuroa habe sich als grenzüberschreitender Prozeß vollzogen. Deshalb zeuge es von Unverständnis, „die sich daraus ergebende Zukunft in den Grenzen ehemaliger Nationalstaaten zu organisieren“.

Leidenschaftlich wurde Lafontaine vor allem an den Stellen seiner Rede, wo er den Delegierten Vorbehalte gegen die weitere unkontrollierte Beschleunigung des Prozesses einhämmerte. Es sei „dringend zu raten“, die Einwände Gorbatschows nicht zu ignorieren. Gegen die Sowjetunion sei die Einheit nicht zu haben. „Ein vereinigtes Deutschland in der Nato ist ein Anachronismus. Einheit heißt ein atom- und chemiewaffenfreies Europa.“

Die Bundesregierung habe nicht nur gegenüber den osteuropäischen Ländern, aus kleinkarierten parteipolitischen Erwägungen heraus, schwere Fehler begangen; auch für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sei es schlechterdings nicht hinnehmbar, über die Währungsunion erst aus der Zeitung zu erfahren.

An der Währungsunion ließ Lafontaine dann auch nur die Probleme bestehen: das Ankurbeln der Wirtschaftsreform, die sozialpolitischen Folgen, die Verkoppelung mit der Europäischen Währungsunion. Ausdrücklich verteidigte er die Skepsis der Bundesbank.

Zwar versicherte er den Delegierten die Solidarität der Bundesbürger; doch zugleich dämpfte er allzu hochfliegende Erwartungen: „Der Wohlstand für die Bevölkerung der DDR“ müsse „in der DDR erarbeitet werden“. Und: „Die Mark ist nicht alles“, rief Lafontaine unter stürmischem Beifall, „vor allem Würde und Selbstachtung müssen gewahrt bleiben.“