Kultur-Stalinistregiert jetzt die Hauptstadt

Oberbürgermeister Hartenhauer kein unbeschriebenes Blatt / Berlins Künstler sind entsetzt / Neuwahlen am 6. Mai wahrscheinlich / Keiner hat mehr Lust zu regieren / Leere Stühle im Roten Rathaus  ■  Aus Berlin Andre Meier

Berlin (taz) - Nach unerträglich langem Zaudern ist am Freitag der Möchtegern-Momper Krack zurückgetreten. Er übernahm damit die politische Verantwortung für den Berliner Wahlbetrug '89. Der Stadtverordnetenversammlung teilte er seinen Rückzug schriftlich mit. Sein Abgang war damit genau so fad wie die 16 Jahre politischen Wirkens im Schatten mächtiger SED-Bezirkssekretäre.

Aber auch viele Abgeordnete sind offensichtlich des Regierens müde. Von den 225 gewählten Parlamentariern erschienen nur 132 zur Wahl des neuen Oberbürgermeisters, 20 weitere verließen im Verlauf der Sitzung das Rote Rathaus. In den Reihen der PDS-Fraktion blieben die meisten Stühle leer. Als schließlich nicht einmal mehr die Hälfte der Abgeordneten im Saal saßen, mußte die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung abgebrochen werden. Berlins „Volksvertretung“ war nicht mehr beschlußfähig. In einem Gespräch mit der taz erklärte Laurenz Demps, der Stadtverordnetensprecher: „Das ist das Verwerflichste, was ich in meinem ganzen Leben erlebt habe!“ Auch für Demps, und darin ist er sich mit vielen der noch verbliebenen Abgeordneten einig, liegt der Ausweg aus dieser unerträglichen Situation in vorgezogenen Neuwahlen. Der 6. Mai als Wahltermin auch für Berlins Stadtparlament steht damit so gut wie fest.

Unter diesen Konditionen hatte man sichtliche Probleme, das Amt des Oberbürgermeisters neu zu besetzen. Schließlich votierten 82 der 132 anwesenden Abgeordneten für den einzig willigen Kandidaten. Christian Hartenhauer, PDS-Mitglied aus der Fraktion des Kulturbunds, von der Presse am Sonnabend als „Nobody“ präsentiert, ist allerdings vielen Berliner Künstlern kein Unbekannter. Als Stadtrat für Kultur trug der 41jährige Ökonom in seinem Ressort Mitverantwortung für die restriktive Politik der letzten Jahre. Der Mann, der sich selbst als Übergangskandidat bezeichnet, steht eher für Kontinuität, ist die Fortsetzung Kracks mit anderen Mitteln. Gegenüber der taz äußerten sich die ehemaligen Partner Hartenhauers:

Barbara Thalheim (Liedermacherin): Alle Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe, sind negativer Art, so daß ich mir nicht vorstellen kann, daß ein so engstirniger Stadtrat für Kultur das Oberhaupt einer Stadt wie Berlin sein kann. Es dürfte schwerfallen, unter Künstlern auch nur eine positive Meinung über ihn einzuholen.

Silvio Marciniak (Klubleiter „Erich Franz“: Herr Hartenhauer als Oberbürgermeister von Berlin ist eine Farce, da scheinen einige Leute überhaupt nichts mitbekommen zu haben.

Wolf Leo (Maler/Grafiker): Ich kenne Herrn Hartenhauer als Arbeitsgruppenleiter der AG „Stadtbilder“ konkret seit 13. 10. 89, als er uns die Bilderaktion, die jetzt auf dem U -Bahnhof Alexanderplatz zu sehen ist, verboten hat, weil er meinte, daß diese Aktion auf diesem Bahnhof, zu diesem Zeitpunkt politisch nicht zu verantworten ist. 13 Tage später fand er das, was wir da gemacht hatten, eigentlich ganz gut mit Ausnahme von zwei, drei Bildern - da hat sich in den 13 Tagen für ihn die Welt verändert. Ich denke, er ist einer der letzten Alt-Stalinisten, der in der Lage ist, so stumpf zu sein, dieses Amt in diesem Moment noch zu übernehmen. Damit ist er nur die Weiterführung des Herrn Krack.

Jürgen Eger (Liedermacher): Ich saß wie angewurzelt vor dem Fernseher. Hartenhauer verhinderte eine Veranstaltung mit Stefan Heym im HdJT. Wörtlich: 'Heym, nur über meine Leiche ins HdJT‘. Es ist beschämend, daß man keinen anderen gefunden hat. Ich kenne von ihm nur 150-prozentiges Funktionärs-Blabla.