Die Überheblichkeit steckt in der Form

■ Ein Fernsehabend voller DDR-Sendungen

Was nachdenkliche Fernsehfreunde sich immer wünschten, jetzt können wir es fast täglich genießen, jedenfalls, wenn wir zwischen den Programmen hin und her wandern: ganze Fernsehabende zum selben Thema. Nachdem unser Fernsehen 40 Jahre fast gar nicht über die DDR und ihre Menschen berichtet hat, berichtet es jetzt fast nur noch darüber. Der Mechanismus der publizistischen Kontrolle in unserem eigenen Land ist außer Betrieb. Also: BRD-Gangsterbosse, wenn Ihr ein Ding vorhabt, dreht es jetzt.

Eigentlich wolle ich herausbekommen, ob westliche Überheblichkeit in den zahllosen DDR-Sendungen eine Rolle spielt. Fraglich ist aber am Ende eigentlich nur, wie die Großkotzigkeit zum Ausdruck kommt. Nehmen wir einmal den Donnerstag, 22.Februar: Jürgen Engert und Fritz Pleitgen von der ARD sind sich immerhin dieses Problems bewußt. Sie haben deshalb nur ostdeutsche SpitzenpolitikerInnen zur Diskussion mit ostdeutschen ArbeiterInnen eingeladen. Die Überheblichkeit steckt hier deshalb „nur“ in der Form. Nach 60 Sekunden, wir kennen das, werden die zu Wählenden durch einen elektronischen Sphärenklang terrorisiert. Schließlich müssen sie ja auch lernen, wie es in einem anständigen, ausgewogenen, demokratischen Fernsehen so zugeht. Der einzige, der dagegen wenigstens ironisch zu opponieren wagt, ist der wieder einmal ohne Widerspruch der Moderatoren niedergebrüllte PDS-Vorsitzende Gregor Gysi. Diese Kommunisten! Interessant zu beobachten, wie die DDR -Politiker sich allmählich die Medientricks ihrer westlichen Kollegen aneignen. Wenn Rüdiger Natzius (SPD) bei unangenehmen Fragen ins Persönliche ausweicht („Ich habe auch zwei Kinder.“), wirkt das allerdings noch etwas unbeholfen. Im großen und ganzen ein hektisches, aber wohl authentisches Durcheinander, bei dem immerhin die in der DDR -Bevölkerung umgehenden Ängste vor der Bundesrepublik und vor einem Verlust sozialer Errungenschaften deutlich werden.

Dagegen fällt die folgende ZDF-Dokumentation mit altbackenen Porträts der Reformparteien ab. Beim ZDF sind sie wieder da, die hofierenden Interviewstückchen oder Redenausschnitte, die wir aus der westlichen Politikpräsentation zur Genüge kennen. Politische Prominenz aus der BRD tritt denn auch reichlich auf, von Mischnick über Dohnanyi bis Kohl, und zwar in der ausdrücklich so bezeichneten Rolle als „oberste Schirmherren“ des DDR -Wahlkampfs. Letztes Bild: Kohl, wie er in Erfurt unter einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer in der Menge badet. Zu kritisieren, daß das drüben viel gesehene Westfernsehen die dortige Wahl beeinflußt, liegt nahe. Man sollte aber auch einmal umgekehrt fragen, welche Popularitätsgewinne es durch diese Jubelfeiern unseren Politikern im hiesigen Wahlkampf verschafft.

21.45 Uhr: „heute journal“ vom ZDF. Von 25 Minuten sind nur etwas mehr als fünf nicht der DDR und der anscheinend kurz bevorstehenden Wiedervereinigung gewidmet. Minister Schäuble hält es für möglich, daß die DDR sofort nach dem 18.März „der Bundesrepublik beitritt“. Unsere Regierung hat wieder neue Vorwände gefunden, jetzt keine Garantie für die polnische Westgrenze zu geben. Je öfter wir so etwas hören, desto normaler erscheint es. Indem das Fernsehen selbstverständlich immer wieder Sätze wie denjenigen von Minister Schäuble präsentiert, es sei möglich, daß die DDR sofort nach dem 18.März „der Bundesrepublik beitrete“, übernimmt es unkommentiert solche alltäglichen Ungeheuerlichkeiten.

Zum Ausklang des Abends im ZDF ein langes Interview mit den mittlerweile prominenten DDR-Politikern Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch) und Ibrahim Böhme (SPD). Die beiden können sich Zeit nehmen, überlegt und differenziert zu antworten. Und Klaus Bresser und Klaus Peter Siegloch sind sicher nicht die oberflächlichsten und vorlautesten westdeutschen Fernsehjournalisten. Dennoch ist auch bei ihnen eine tiefsitzende Arroganz gegenüber den armen Vettern spürbar, die in Gesten und Formulierungsnuancen zum Ausdruck kommt. Siegloch: „Was soll denn übrigbleiben von 40 Jahren DDR?“ Und Bresser lächelt milde, als Böhme seine Formulierungshilfe vom „unterentwickelten“ Demokratiebewußtsein höflich zurückweist. Wenn man Böhme und Eppelmann zuhört, merkt man, was unsere Politiker bei ähnlicher Gelegenheit nicht sagen würden. Der eine bezeichnet sich als Atheist, der andere redet ungefragt über die Trennung von seiner Frau, und obwohl sie konkurrierenden Parteien angehören, verzichten sie völlig auf Scheingefechte.

Man merkt: Die beiden westdeutschen Spitzenjournalisten halten das für Naivität. Die Jungs aus dem Osten müssen offenbar noch was lernen. Hoffentlich lernen sie es nicht allzu schnell.

Horst Pöttker