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Zuallererst strikt unabhängig

■ „Musik-Szene“: DDR-Popkünstler gründen einen neuen Interessenverband

Die Rockmusiker, Liedermacher, Kleinkunstinterpreten und Jazzer der DDR hatten den heißen Herbst mit angefacht. Mit ihrer September-Resolution waren sie frühzeitig aus der Deckung gegangen. Der Konflikt wurde rasch auch einer mit der eigenen Organisation, dem Komitee für Unterhaltungskunst, das an der Basis zu einem Sammelpunkt von Widerstand und Veränderungswillen wurde und in der Führung durch viele Fäden ins Netz der Staatspartei verwoben war. Die Konsequenz konnte nur lauten: Ein künftiger Verband hatte zuallerst strikt unabhängig zu sein.

Mitte Februar war es so weit. Im Kultursaal des altehrwürdigen Elektro-Apparate-Werks Treptow, Berlin, gründeten die Aktiven ihren neuen Verband mit Namen „Musik -Szene“. „Die Vereinigung“, so heißt es im Statutenentwurf, „ist ein unabhängiger, demokratischer und auf freiwilliger Basis gebildeter Interessenverband, der sich für eine eigenständige, kreative und attraktive populäre DDR -Musikszene einsetzt.“ Die Ziele des Verbandes, wie sie dann näher umrissen werden, reflektieren nicht allein schlechte Erfahrungen mit der alten Kulturpolitik; sie fassen mindestens ebenso sehr ins Auge, was jetzt „gesamtdeutsch“ und international mit Macht auf den DDR-Kulturbetrieb zurollt.

Da geht es um die „Wahrung der Interessen der Mitglieder gegenüber staatlichen Willkürakten, einer Demontage der Arbeits- und Lebensbedingungen durch ungerechtfertigte Sparmaßnahmen sowie gegenüber einem kommerziellen Mißbrauch zur Deckung des Subventionsbedarfs im Kulturbetrieb„; um ein „Mitspracherecht im Prozeß einer sinnvollen Verflechtung des nationalen Kulturbetriebs mit der internationalen Musik- und Medienindustrie“, um die „Durchsetzung eines wirksamen und gerechten Urheber- und Leistungsschutzrechtes„; um den „Ausbau der kulturellen Infrastruktur des Landes mit dem Ziel der Sicherung vielfältiger Auftrittsmöglichkeiten für alle, experimentelle wie massenwirksame, musikalischen Genres auf der Basis aller Eigentumsformen (gesellschaftlich, genossenschaftlich und privat) und in kommunaler Verantwortung„; schließlich um die „Sicherung einer ausgewogenen und unzensierten Bühnen- und Medienpräsenz nationaler und internationaler Künstler und Produkte“.

Mit anderen Worten: Auf ungemütliche Zeiten stellt sich die DDR-Musikszene ein. Als auf der Gründungsversammlung einige Kollegen forderten, nur Profis in den Verband aufzunehmen und die Amateure fernzuhalten, lautete das wichtigste Argument dagegen: Wer weiß, wieviele von uns schon bald wider Willen in den Amateurstatus abrutschen werden?! Die große Mehrheit stimmte denn auch für das verbandliche Zusammengehen von Berufskünstlern und Amateuren. Auch was die finanzielle Ausstattung des künftigen Verbandes betrifft, herrschte in Berlin eher Nüchternheit. „Wir werden kein reicher Verband sein“, meinte der einstimmig zum Vorsitzenden gewählte Toni Krahl (von der Rockgruppe „City“), und es war wohl nicht nur Zufall, daß bei der Vorstandswahl der Posten des „Schatzmeisters“ vorerst vakant blieb.

Dem neuen organisatorischen Anlauf waren die Mühen anzumerken. Die immerhin gut 200, die gekommen waren und sich zwischen den langen Tischreihen verstreuten, waren weniger, als man erwartet hatte - auch wenn berücksichtigt werden muß, daß die Jazzmusiker gleichzeitig ein eigenes Treffen durchführten. Daß die alten Strukturen am Ende sind, bedeutet eben keineswegs, daß nun alles in die neuen strömt, zumal wenn dort viel Arbeit und wenig unmittelbarer Vorteil warten. Viele zögern und warten ab, basteln an ihren individuellen Zukunftsstrategien. Mancher mag das Schicksal des DDR-Kulturbetriebs auch für ohnehin schon besiegelt halten. Oder denken: so schlimm wird alles gar nicht werden.

Im Kultursaal eines Berliner Industriebetriebs, verpflegt aus dessen Kantine, debattierten kritische DDR-Künstler über ihre Angelegenheiten. Vermutlich empfanden das alle Beteiligten als normal. Auch das könnte sich ändern.

Olaf Cless

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