ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Von Spinnern und alternden Zeremonienmeistern

Die akzeptabelste Pop-Musik kommt zur Zeit von Spinnern und alternden Zeremonienmeistern. Stephen M. Fievet alias LMNOP zum Beispiel ist einer von der Sorte, die andere nicht ranlassen wollen, weil die nur alles verpfuschen würden. Ein analer Charakter, der sich mit seinen Instrumenten im Zimmer einschließt, um seine seltsamen Ansichten zu kleinen Stückchen zu formen. Wie zum Beispiel More like Ted: „I wanna know more about Ted, I wanna know more of what went on in his head.“ Mehr wie Ted zu sein: das ist natürlich einerseits der geheime Wunsch aller Stubenhocker, die sich die Welt lieber aus sicherer Entfernung anschauen, zum anderen aber auch eine kunstvolle Einfühlung in den muskulösen Wahnsinn ganz normaler zeitgenössischer Ted -Hirne. Das Verstehen der Ted-Logik von innen her ist eine Art ästhetische Irrsinns-Rekonstruktion, wie sie hierzulande etwa unter den Titeln Wissenswertes über Erlangen (Foyer des Arts) und Die Wahrheit über Arnold Hau (Pardon) geleistet wurde. Sie hat sich in diesem Fall nur ganz eingekapselt in eine Welt aus Klein- und Kleinstneurosen, wie zum Beispiel die Idee, sich nach einem Segment aus dem Alphabet zu benennen. LMNOP ist Pop als fixe Idee, in die es einzudringen gilt wie in die eingebunkerte Seele eines etwas seltsamen Freundes. Ist man erst mal drin im System, entfalten sich die nervösen Songs zu phantastischen Gebilden, die sich in ständig neue Untermenüs verzweigen, ohne jemals zu einer eindeutigen Lösung zu kommen. „There's a flaw in the system, systematically cruel“, singt Stephen M. Fievet. Psycho Killer: Wären die Zeiten noch günstiger für fixe Ideen, diese Platte würde gefeiert werden wie die ersten Talking-Heads-LP - mit der sie einiges gemeinsam hat.

Spätestens seit die Replacements eine Hymne auf ihn geschrieben haben, droht Alex Chilton das Schicksal aller Kultfiguren: zum eigenen Denkmal zu erstarren. Der Produzent der Cramps, Freund der DBs und Sänger des notorischen Sixties-Smash Hits The Letter reagiert gelassen darauf. Sein letztes Album nannte er bereits ironisch High Priest. Denn eigentlich sind die Zeiten vorbei, in denen Chilton als Wanderprediger des Rhythm'n'Blues hungrig durch die Gegend zog und dabei seinen Fans (gelegentlich auch sich selbst) aus den Augen geriet. Heute, wo Geldsorgen und Alkoholprobleme seit geraumer Zeit hinter ihm zu liegen scheinen, hat er sich in den Süden der USA zurückgezogen und begnügt sich mit einem Ausstoß von wenigen Songs pro Jahr, die, rund zur Hälfte mit Coverversionen angereichert, nach größeren Zeiträumen dann jeweils eine LP ergeben.

Heuer (genaugenommen: Ende 89) war es wieder soweit. Auf Black List sind ganze sechs Songs, drei davon aus fremder Feder. Verhalten poltert das durch Charlie Rich berühmt gewordene Nice'n easy does it, ein Country Song mit Jazzelementen. Kennen wir! Ein freudiges, aber schon leicht müdes Cowboy-Fußwippen geht durch die Cocktail Lounges weltweiten Liebhabertums. Daran ändert auch Jailbait nichts, wo der echsenhafte Mensch das unerschöpfliche Rock-Thema Sex mit Minderjährigen umkreist. In eine ähnliche Kerbe haut der Surfsong Little G.T.O., und Baby Baby Baby biegt, wie der Titel schon sagt, gleich ganz in essentielle Gefilde ein.

Man kommt um die Feststellung nicht herum, daß Alex Chilton heute eine konservative Musik macht. Als mittlerweile 40jähriger begnügt er sich mit dem Anspruch, das wenige, was er noch schreibt, zwingend zu schreiben, zwingend zu spielen. Offenbar gehorcht die Griffhand dabei einem strengen Regelsystem. Es ist nicht der Wunsch, nichts falsch zu machen, der hier am Werk ist, es ist ein erarbeitetes Stilempfinden, das sich selbst die Gesetze gibt. Die drei Minimalgebote des ungebrochenen Altehasentums könnten heißen: technisch immer unterhalb der eigenen Möglichkeiten bleiben, alle Konzentration in einen simplen Akkordwechsel legen und um Gotteswillen niemals der Versuchung nach unnötiger Komplexität nachgeben. Das Ergebnis ist eine Art Zen-R'n'B, der in seinen besten Momenten mehr und mehr in einen coolen, entspannten Swing hineindriftet: Hallo, ich bin Alex. Hier habt ihr wieder ein paar Songs. Könnt sie kaufen, wenn ihr wollt, könnt es aber auch bleiben lassen. Die Nachwelt wird diesen 89er Jahrgangs-Chilton ohnehin in großen Schlucken aussaufen.

Wer Bands wie die DBs mochte und auch den Replacements nicht abgeneigt ist, der wird die Young Fresh Fellows aus Seattle lieben. Reihenweise bringen sie jene kleinen Lieder hervor, die man mangels besserer Bezeichnungen in Rezensionen immer „Pop-Perlen“ nennen muß. Wo die DBs allerdings am Ende mehr und mehr zu ihren Urahnen, den Beatles und den Beach Boys, zurückkehrten, treiben die Young Fresh Fellows das nämliche Erbe in einen Tunnel aus verzerrten Gitarren hinein. Sie schließen damit zu aktuellen Fuzz-Sounds auf, wie sie etwa von Seattles momentanem Hauptexportartikel Mudhoney gespielt werden, bleiben aber einem sicher in langjähriger Männerfreundschaft herangezüchteten, bei aller Ernsthaftigkeit leichtlebigen und irgendwie auch britischen Fellowtum treu (Picture Book von den Kinks klingt bei ihnen wie gerade komponiert). Um einen Begriff von diesem Witz zu geben: Das Innencover vermerkt alle vier in großen Buchstaben als „Lead Guitar“, obwohl auf den zugehörigen Abbildungen jeder ganz offensichtlich Schlagzeug spielt. Sicher, auf die Schenkel schlägt man sich dabei gerade nicht, aber es ist doch faszinierend zu verfolgen, wie aus dem ursprünglich derben Garagenhumor der 60er auch hier ein exquisites Kultivierungsphänomen geworden ist; und Don't you wonder how it ends? ist sicher eine der schönsten Balladen, die dem Schreiber dieser Zeilen in den letzten Monaten zu Ohren gekommen sind.

Thomas Groß

LMNOP: Numbles (New Rose)

Alex Chilton: Black List (New Rose)

Young Fresh Fellows: This one's for the Ladies (Frontier)