Niedergang in Würde

Die Wahl Hans Modrows zum Spitzenkandidaten der PDS  ■ K O M M E N T A R E

Hans Modrow hat sich dazu durchgerungen, seiner Partei noch einmal zu dienen. Hin- und hergerissen zwischen Staatsraison und Loyalität gegenüber seinen Genossinnen und Genossen hat er sich entschieden, auch noch die Bürde des Spitzenkandidaten der PDS auf seine Schultern zu laden. Die Gründe, die dagegen sprechen, kennt er besser als jeder andere: Über Jahrzehnte hat er dem alten System gedient, und er steht gegenwärtig in einem Amt, dem er nur bei parteipolitischer Unabhängigkeit gerecht werden kann.

Daß Modrows Motiv vor allem das Gefühl moralischer Verpflichtung den Menschen gegenüber ist, für die er Hoffnung verkörpert, macht seine Entscheidung ehrenhaft, ob sie auch politisch klug war, mag man bezweifeln. Und ob diejenigen, die ihn in diese Kandidatur gedrängt haben, ihm da nicht persönlich zuviel zumuten, muß man sich fragen. Denn welche Kampagne zur Demontage des noch immer populärsten DDR-Politikers das jetzt auslösen wird, kann man sich bei Lektüre des 'Spiegels‘ oder der 'Bild-Zeitung‘ der letzten Wochen unschwer vorstellen.

Modrow wird den Übergang der PDS in die Opposition zu repräsentieren haben. Er wird diese Rolle anders ausfüllen als der voller Angriffslust steckende, rhetorisch brillante Gregor Gysi. Gysi schwebt eine PDS als „entschieden linke, sozialistische Partei“ vor, die sich im Abwehrkampf gegen die Vereinnahmung durch die BRD profiliert. Er denkt aber sicherlich weiter: an eine Partei, die künftig daran mitwirken soll, daß perspektivisches Denken - das Ideal einer sozial gerechten und zugleich freiheitlichen Gesellschaft, die sich ihrer Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt bewußt wird - nicht verloren geht.

Gewiß teilt Modrow diese Grundüberzeugungen, doch er repräsentiert einen Niedergang in Würde. Den Verfall seiner Partei und seines Staates hat er - wie jedes frühere SED -Mitglied - mitzuverantworten. Doch er steht auch dafür, daß dies nicht nur zu Heuchelei, Zynismus oder Depression führen muß, sondern in glaubwürdige Lernprozesse münden kann. Die PDS wird gewiß auch mit Modrow als Spitzenkandidaten die Wahlen haushoch verlieren. Doch wird er es den Mehrheitsparteien in der künftigen Volkskammer etwas schwerer machen, sich allein durch die Beschwörung der Vergangenheit um die aktuelle Auseinandersetzung mit den Positionen der PDS zu drücken. Dem Niveau der politischen Debatte könnte das gut tun.

Walter Süß