Kampf um Demokratie am Dach der Welt

Im Königreich Nepal fordern verbotene Oppositionsparteien Mehrparteiensystem unter Beibehaltung einer repräsentativen Monarchie / Die durch den indischen Handelsboykott geschwächte Regierung reagiert mit massiven Verhaftungswellen und Polizeieinsätzen  ■  Aus Katmandu Tom Trekker

Nepals Opposition hat am Sonntag die zweite Woche ihrer Kampagne für Demokratie und Menschenrechte mit einem „Black Day“ begonnen: Mit schwarzen Armbinden demonstrierten in Kathmandu Befürworter einer politischen Wende für ein Mehrparteiensystem im Hindu-Königreich. Die meisten Geschäfte blieben geschlossen, Polizisten durchsuchten selbst die Handtaschen älterer Frauen. Seit den ersten Unruhen am 18.Februar wird die Hauptstadt von Spezialeinheiten der Polizei belagert. In der benachbarten alten Königsstadt Bhaktapur und im Grenzgebiet zu Indien wurden Demonstranten erschossen.

Die Regierung zensiert die Medien, Oppositionsblätter erscheinen nicht mehr. In der Provinz trafen Demonstranten und Polizei nach Oppositionsberichten noch härter als im Katmandutal aufeinander. Selbst in Dörfern wurden Polizeistationen überrannt, Polizisten gesteinigt. In Diplomatenkreisen ist die Rede von mehr als 70 Toten und 5.000 Verhafteten. Unter unmenschlichen Bedingungen seien sie in Gefängnissen und Lagerhallen eingepfercht, die meisten erhielten nicht einmal Reis.

Ein rasches Ende des gewaltsamen Streites um die Demokratie am Himalaya ist nicht in Sicht. Die seit 30 Jahren verbotenen Parteien wollen ihren Kampf um die Einführung eines Mehrparteiensystems, eine Begrenzung der absolutistischen Macht von König Birendra Bir Bikram Shah und Garantien der Menschenrechte nicht ein drittes Mal verlieren. Für Freitag ist ein weiterer Generalstreik geplant. Gleich zu Beginn der Kampagne hatten militante Oppositionelle einen Touristenbus aufgebracht: Die Pauschalurlauber, auf dem Weg zum Sonnenaufgang am Nagarkot, mußten aussteigen, ihr Bus ging in Flammen auf. Andere Reiseveranstalter heuerten Polizeieskorten an. Trekker und Tempelliebhaber blieben aber von den Unruhen meist unbehelligt. Ihre Restaurants in Katmandus Freak-Street sind bei Streiks zwar auch geschlossen und nachts patrouilliert Militär in Kampfmontur im Trekker-Viertel Thamel. Aber angesichts der massiven Polizeipräsenz verlegte sich die Opposition auf „dezentrale Aktionen“.

Nach den Erfolgen der Demokratiebewegungen in Osteuropa halten auch Nepals Parteien die Zeit für einen Machtwechsel reif. „Nepal kann nicht unberührt bleiben von dieser Welle“, sagte zum Auftakt des neuen Demokratievorstoßes der Opposition deren überragender Führer Ganesh Man Singh. Schon Mitte der vierziger Jahre hatte der heute 75jährige gegen die feudale Rana-Dynastie gekämpft. Zwei Jahre nach dem Parteienverbot trat 1962 die Verfassung des parteilosen Panchayat-Systems, in dem die Volksvertretungen als Beratungsgremien dienen, in Kraft. In den Nationalrat werden 112 Kandidaten sogenannter Klassenorganisationen direkt vom Volk gewählt, 28 Abgeordnete entsendet der König.

Doch die Opposition vermeidet einen Direktangriff auf die noch immer absolutistische Macht des Königshauses. „Wir haben von Anfang an klar gemacht, daß die Bewegung nicht darauf zielt, den König zu beseitigen“, erklärte der Generalsekretär der führenden Oppositionspartei, Nepal Congress, Girija Prasad Koirala. Laut Verfassung geht alle Gewalt vom König aus. Als Inkarnation der Hindu-Gottheit Vishnu wird Birendra zudem vor allem von der Landbevölkerung vergöttert. Daher soll er Repräsentant des Hindustaates bleiben.

Ein eigenes Konzept für die Machtübernahme haben die Politiker von Nepal Congress und kommunistischen Gruppen derzeit nicht zu bieten. „Wir warten auf ein Gesprächsangebot des Königs“, forderte nun Prakash Kafle vom Forum zum Schutz der Menschenrechte in Nepal. Lediglich eine Einladung der Königin Aishwarya Rajya Laxmi Devi Shah an Oppositionsführer Singh, der unter Hausarrest steht, soll vorliegen. Selbst das Außenministerium der USA, deren Entwicklungshilfe den größten Posten in Nepals Haushalt ausmacht, drängt inzwischen auf Verhandlungen.

Die Opposition will nicht nochmals zehn Jahre in der Versenkung verschwinden. Zuletzt stand Ende der siebziger Jahre das Mehrparteiensystem auf der Tagesordnung. Nach Studentenunruhen sah sich 1980 König Birendra zu einem Referendum über die Einführung einer Mehrparteiendemokratie oder die Fortführung des Panchayat-Systems genötigt. Nach offiziellem Ergebnis stimmten 55 Prozent für die Panchayats. Die Parteien zweifelten das Ergebnis an. Im Mai 1985 machte dann die Opposition mit einer „Kampagne des zivilen Ungehorsams“ wieder auf sich aufmerksam. Die von Streiks begleiteten Aktionen wurden nach 30 Tagen von Bombenanschlägen, bei denen acht Menschen getötet und mehr als 30 verletzt wurden, jäh gestoppt. Tausende wurden festgenommen, vier Personen in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Hintergründe der Anschläge blieben ungeklärt.

Diesmal hält die Opposition die Lage für die Demokratiekampagne günstiger: Knapp ein Jahr nach Ausbruch eines Handelskonfliktes mit dem übermächtigen Nachbarn Indien sei die Bevölkerung mit der Regierung unzufrieden wie noch nie, heißt es. Im März 1989 hatte Indien 13 von 15 Grenzübergängen geschlossen, nachdem Handels- und Transitverträge ausgelaufen waren. Über Monate wurden für die rund 17 Millionen Nepalesen, von denen fast zwei Drittel nach Schätzung der Weltbank „absolut arm“ sind und kaum ein Jahreseinkommen von 170 US-Dollar erreichen, Brennstoffe, teils auch Zucker rationiert. Nach Verhandlungen mit der neuen indischen Regierung will Nepal nun die Verträge bald erneuern.

Die vom Königshaus abhängige Regierung sieht sich offenbar unter Druck gesetzt, die Unruhen rasch zu beenden. Mit zunehmender Härte geht sie gegen Oppositionelle vor. Innenminister Niranjan Thapa kündigte an, man wolle „diese Elemente beseitigen“. Bei Verhaftungsaktionen in den Gassen Katmandus nahm die Polizei kurzerhand alle jungen Männer mit.

Auch Ärzte und Rechtsanwälte, deren Verbände mit Streikaufrufen die Demokratiebewegung unterstützten, erwischt die Verhaftungswelle. So wurde der Leiter der Universitätsklinik Katmandu, Mathura Prasad Shrestha, einen Tag im Folter-Gefängnis Hanuman Dhoka festgehalten. Freitag morgen hatte er eine Kundgebung von mehreren hundert Ärzten organisiert und noch Premierminister Marich Man Singh Shrestha die Ärzteforderung, die Polizei dürfe nicht mehr Splittergeschosse aus Blei verwenden, vorgebracht.

Inzwischen sitzen die meisten Oppositionsführer im Gefängnis oder sind untergetaucht. Die Organisation der Demokratiebewegung läuft fast nur noch über das Telefon. In Katmandu ist die Polizei seither meist schon vor den Demonstranten zur Stelle.