„Wir fürchten die Konkurrenz von links nicht“

Wolfgang Spickermann, seit November 1989 Chefredakteur des 'Neuen Deutschland‘ (ND), über die Zukunft des ehemaligen Mitteilungsblatts der „Partei“ und über die neue linke Konkurrenz im künftigen Blätterwald der DDR  ■ I N T E R V I E W

Seit 19 Jahren arbeitet Wolfgang Spickermann fürs 'ND‘, der einzig verbliebenen Zeitung der PDS, als Naturwissenschaftsredakteur. Auf dem PDS-Parteitag am Wochenende war er als Delegierter, nicht als Berichterstatter. Dort stellte er sich den Fragen der taz als neuer linker Konkurrenz. Beide Blätter werden ab heute auf denselben PDS-eigenen Walzen gedruckt.

taz: Herr Spickermann, fürchten Sie die taz als neue Konkurrenz - gedruckt quasi im eigenen Haus?

Wolfgang Spickermann: Fürchten, nein. Und schließlich muß auch die Druckerei zusehen, wie sie zu ihren Aufträgen kommt. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß eine Konkurrenz heranwächst. Trotzdem, glaube ich, daß das 'ND‘ vorerst noch unterschiedliche Leserkreise bedienen wird.

Gregor Gysi hat auf dem PDS-Parteitag an das 'Neue Deutschland‘ appelliert, eine „konkurrenzfähige, linke, sozialistische Tageszeitung“ zu sein. Und als linke Zeitungen wollen nun 'ND‘, taz, 'Die Andere‘, 'Junge Welt‘ und 'Berliner Zeitung‘ überregional um Leser werben. Was meinen Sie, graben sie sich gegenseitig das Wasser ab?

Das könnte schon passieren. Entscheidend ist, welches Profil sich das 'Neue Deutschland‘ geben wird. Zwar bleiben wir PDS-verbunden, sind aber nicht PDS-Mitteilungsblatt. Wir wollen eine seriöse linke Zeitung sein. Und links reicht bis zur SPD. Vor allem wollen wir auch über diejenigen linken Kräfte berichten, die in anderen Medien kaum eine Chance haben, über die Nelken etwa oder die Vereinigte Linke. Eine linke Tageszeitung zu werden, das ist nicht nur eine Sache des Wollens. Das ist ein Prozeß; man kann nicht sagen, man will's, und schon ist man's. Da gilt es noch viele Beziehungen aufzubauen.

Ihr Layout hat sich ja schon geändert. Es ähnelt dem des 'Herald Tribune‘. Den Namen 'Neues Deutschland‘ behalten Sie aber doch bei?

Das ist unser Markenzeichen. Alles andere wäre ein offensichtlicher Versuch, sich aus der Geschichte davonzustehlen. Ich glaube kaum, daß unsere Leser das honorieren würden. Mittlerweile wächst im übrigen unserem alten Namen ja auch eine neue Bedeutung zu: Neues Deutschland ist das Deutschland, das sich progressive Kräfte vorstellen: Die Staaten vereinigen sich, bedürfen aber beide innerer Reformen.

Sind Sie inzwischen Ihr eigener Chef? Und wie groß ist der Einfluß eines Gregor Gysi oder eines Lothar Bisky, des neuen Medienfachmanns der Partei?

Joachim Herrmanns Stuhl (des ehemaligen Medienzensors, d.Red.) ist für immer abgeschafft. Das Telefon der Anweisungen gibt's nicht mehr. Formell können beide nur wenig Einfluß nehmen, aber ich stehe natürlich in engem Kontakt mit beiden. Ich bin bei Sitzungen des Präsidiums und des Parteivorstandes als Gast dabei und berufenes Mitglied in der Medienkommission der PDS. Dort hat man unser Konzept, uns links zu profilieren, mit Zustimmung quittiert. Die Redaktion hat über Form und Inhalt selbst entschieden, einmütig, obwohl dazu Stellenumbesetzungen nötig waren.

Und Entlassungen? Welche Befürchtungen hegen Sie bezüglich des 1.April?

Wir müssen rationalisieren, werden aber niemanden auf die Straße setzen. Umbesetzungen innerhalb von Redaktion und Verlag oder gesetzlich mögliche Frühpensionierungen könnte es dabei geben. Ab 1.April werden wir unseren Preis auf 55 Pfennig (bisher 15) anheben - immerhin billiger als die taz. Das könnte ein leichter Vorteil für uns werden.

Wieviele Leser werden Sie voraussichtlich verlieren?

Bei der Kalkulation sind wir rigoros vorgegangen. Sogar mit der Hälfte der bisherigen Anzahl von Käufern würden wir überleben. Bislang haben wir nur drei Prozent unserer Abonnenten verloren - trotz der Krise der Partei. Die Auflage liegt zur Zeit bei 1,8 Millionen. Daß es einen Rückgang geben wird, ist klar. Zuviele Haushalte haben aufgrund des bisherigen Preisniveaus mehrere Abonnements. Wenn jetzt aber der Preis um das Vierfache steigt...

Könnte sich für das 'ND‘ auch ein neuer Markt auftun, z.B. in der BRD?

Warum nicht? Für eine „sozialistische Zeitung“ wird es dort jedoch schwer. Ich hoffe, daß auf längere Sicht linkes Denken und linke Politik trotz der Vereinigung zunächst hierzulande eine Heimat haben werden. Die Bundesrepublik ist von 40 Jahren Antikommunismus geprägt. Die DDR-Bevölkerung könnte - was das politische Spektrum anbelangt - eher zum Abbild Frankreichs oder Italiens werden. Mit einer starken Linken und mit größerer Resonanz für linke Blätter. Warum sollten wir bloßes Abbild der Bundesrepublik werden?

Interview: Holger Kulick