Presse, Pressionen, Impressionen

■ Trotz allen Drängelns der großen Westmedien auf den DDR-Markt ist die taz-Ost die erste neue Tageszeitung

Eine bunte Aufmachung und die vermeintlich größere Glaubwürdigkeit westlicher Medien sind wohl die Gründe für den reißenden Absatz bundesdeutscher Presseorgane in der DDR. Kaum ein DDR-Verlag, in dem nicht bereits ein auflagenstarker West-Verlag mit Kooperationsvorschlägen bzw. Konkurrenzdrohungen vorstellig geworden wäre. Vor allem den verlockenden Anzeigenmarkt gilt es offenbar zu erobern. Als erste echt neue überregionale DDR-Tageszeitung wird aber ab heute die taz mit einer Auflage von 60.000 die Kioske stürmen.

Im Schaufenster lächeln die westlichen Schaufensterpuppen dümmlich aus ihrer Frühlingswäsche: „Burda-Moden“, verkündet ein neues Schild an dem West-Laden in der Wilhelm-Pieck -Straße. Geduldig stehen die Frauen an, lange vor der Öffnungszeit schon, bis sie ein schnieke gekleideter Verkäufer hereinwinkt. Seit dem 16.Februar erschließt sich der Burda-Verlag mit vorerst 14 Sorten Zeitschriften, Schnittbögen, Näh- und Kochbücher zum Kurs von 1:3 seinen vielversprechenden Markt - Grund für die reichen Onkels aus West Germany also, sich bei der Eröffnung großzügig zu geben: „Säckeweise“, erinnert sich eine Anwohnerin, „schmissen die Burda-Herren Bonbons in die dankbare Menge.“

West-Zeitschriften jeder Art finden in der DDR zur Zeit reißenden Absatz. Die aufreizend bunte Aufmachung ist der eine Grund, die vermeintlich größere Glaubwürdigkeit der westlichen Medien der andere; in den Augen vieler ist den DDR-Presseorganen wegen ihrer früheren Kollaboration mit den Sozialfeudalisten nicht mehr zu trauen. Nun rächt sich, daß es jahrzehntelang keinen Ort in der DDR gab, wo Journalisten ein Handwerk hätten lernen können, das über die Einpassung der vorgegebenen 'adn'-Meldungen ins Layout hinausging: Die vorherrschende Sprache im Blätterwald der 39 Tageszeitungen und den vielen Zeitschriften ist immer noch hölzern. Die Kommentatoren geben sich höflich, bieder und staatstragend nur wird jetzt der Aufbau der „sozialen Marktwirtschaft“ statt des Sozialismus gefordert. Freche Töne vernimmt man selten. Auch die Phase der Enthüllungen über das Bonzenleben, in der jeden Tag eine neue tatsächliche oder vermeintliche Sauerei der alten Garde präsentiert wurde, ist vorbei. Ungeübt im Recherche-Handwerk und ungetrübt von Gesetzeskenntnissen hatte die DDR-Presse so manches unbeweisbare Gerücht veröffentlicht und sich juristische Konterschläge der Betroffenen eingefangen.

Zugegeben: In diesem Land harte Fakten recherchieren zu wollen, kann einen manchmal zur Verzweiflung treiben: Zwar sind Vertreter von Institutionen unübertreffbar offen und freundlich geworden, aber nie weiß niemand nix Genaues in der brodelnden Gerüchteküche namens DDR. Es ist ja auch kein Wunder: Wie denn soll sich eine Gesellschaft der privaten Küchentischgespräche über Nacht in eine Mediengesellschaft wandeln? Und wer sollte hier souverän umgehen mit der Anarchie der Sachverhalte, wo sich doch täglich alles ändert? „Die DDR ist ein Dschungel“, resigniert auch ein Herr im Zeitungsvertriebsamt der Post, konfrontiert mit der Frage, wieviel neue Printmedien in der letzten Zeit entstanden seien. In den Ministerien und im Presseamt der Regierung ist man ohnehin überfragt. Aber wenigstens die Post, die immer noch das Vertriebsmonopol innehat, müßte es doch wissen. Ihre Liste umfaßt 26 neue Titel, und „täglich treffen Anträge ein“. Eine ganze Reihe davon sind deutsch -deutsche Kooperationen, die von westlicher Seite wohl vor allem deshalb initiiert wurden, um den lockenden Anzeigenmarkt zu erobern. 'Wir in Leipzig‘ z.B. will ab 17.April Tageszeitung werden. Die bisher erschienenen Nullnummern für teure 2,50 Mark, die in Niedersachsen gedruckt und über Westanzeigen finanziert werden, glänzen durch boulevardmäßige Aufmachung und meinungslose Kommentare. Einen Einstieg anderer Art hat Ulrich Schamoni, in West-Berlin als Chef des Dudelfunks Radio 100,6 verschrien, beim LDP-Blatt 'Der Morgen‘ gefunden: Das Parteiorgan produziert mittlerweile kostenlose Wahlausgaben in kreischendem blau-gelb, und die Schamoni GmbH beschafft die Anzeigen.

Unter DDR-Journalisten sind die Herren vom Hamburger Medienkonzern Gruner+Jahr als diejenigen verschrien, die am aggressivsten auftreten. Zwar ist ihr Coup, gemeinsam mit Springer, Burda und Bauer den Zeitungsvertrieb zu monopolisieren, an der Wachsamkeit des Runden Tisches gescheitert - vor dem 1.April wird wahrscheinlich keine West -Illustrierte in der DDR zu erwerben sein, wenn nicht noch, wie in der Branche angedeutet wird, das Bundesinnenministerium mit einem Alternativvorschlag für den Vertrieb interveniert. Aber es gibt wohl kaum einen DDR -Verlag mehr, in dem Gruner+Jahr nicht mit einem drohenden Angebot vorstellig gewesen wäre, das sich sinngemäß so formulieren läßt: „Entweder ihr kooperiert mit uns, oder wir kommen mit einem Konkurrenzprodukt auf den Markt.“

So läuteten denn auch die Alarmglocken bei manchen, als ein Hamburger Anwaltsbüro im DDR-Börsenblatt den Titelschutz für 63 noch nicht existierende Tageszeitungsnamen anmeldete. Doch diesmal ist Gruner+Jahr, wie ein Verlagssprecher bekannte, „unschuldig“. „Kann sein, daß Springer dahintersteckt“, überlegte der Herr, „auf der Rückseite werden ja die Springer-Gesellschaften aufgezählt.“

Auch Springer scheint nach zahlreichen Geheimverhandlungen bisher nichts weiter geglückt zu sein, als einen vergleichbar winzigen Teil seiner Zeitungsauflagen in die DDR zu liefern, wie es auch der Westberliner 'Tagesspiegel‘, die Gruner+Jahr-Zeitung 'Hamburger Morgenpost‘, die 'Frankfurter Allgemeine‘ oder die 'Frankfurter Rundschau‘ praktizieren. Die Süddeutsche Zeitung hat sich Originelleres einfallen lassen: In Dresden läßt sie in einer Auflage von 50.000 'diese Woche‘ (Preis: 1 Ost-Mark) drucken, eine Wochen-Zusammenfassung der SZ-Berichterstattung samt DDR -Fernsehprogramm.

Die 'Westfälische Allgemeine Zeitung‘ (WAZ) hingegen trachtet offenbar, wie vor ihr schon Springer und Gruner+Jahr, nach einem Einstieg beim 'Berliner Verlag‘. Der Verlag ist das Herzstück des ehemaligen SED-Pressebesitzes, denn seine Printmedien - darunter die 'Berliner Zeitung‘, die Frauenzeitschrift 'Für dich‘, das Programmblatt 'ff -dabei‘ - erreichen die stolze Gesamtauflage von zehn Millionen. Deren Journalisten hatten aus der Presse erfahren müssen, daß die SED-PDS ihr Eigentum zum „Volkseigentum“ umwandeln wolle. Doch nun, nach wochenlangem ergebnislosen Gezerre hinter den Kulissen, scheint die Partei doch wieder zur Einschätzung gekommen zu sein, daß dieses „Organisationseigentum“ gar nicht abgegeben werden könne. So sind laut Dietmar Henker von der 'Berliner Zeitung‘, Mitglied der „Arbeitsgruppe Zukunft“ des Berliner Verlages, mittlerweile drei mögliche Modelle im Gespräch, die ihm allesamt unzumutbar erscheinen: Entweder bildet die PDS eine Holding und verscherbelt deren Untergesellschaften zu 49 Prozent an westdeutsche Verlage. Oder der Verlag wird zu Teilen an die 'WAZ‘ verkauft. Oder an Ullstein. Wegen seines Widerspruchs gegen einen solchen „Ausverkauf“ gerät Henker in der Gesamtbelegschaft des Hauses immer mehr unter Druck. Viele wollen endlich das Westgeld fließen sehen - ohne richtig zu realisieren, daß damit auch ein Entlassungsschub in dem nach West-Maßstäben völlig überhöhten Personalstand eingekauft wird.

Ute Scheub