Hans Modrow führt die PDS in die Opposition

Wahlparteitag der PDS / Gysi-Partei bescheiden: Sperrminorität wird angesteuert  ■  Aus Ost-Berlin Walter Süß

Spannung gewann der Wahlparteitag der PDS vor allem durch eine Frage: Wird Modrow noch einmal für seine Partei antreten? Als er am Sonntag morgen schließlich erklärte: „So bleibt mir wohl nur noch die Möglichkeit, ... mich so zu entscheiden und zu handeln, daß ich die Kandidatur annehme...“, war die Begeisterung überschwenglich.

Die Entscheidung war dem früheren Dresdener Parteichef sichtlich nicht leichtgefallen. Erst der starke moralische Druck der Parteibasis, die sich im Haus des Parteivorstandes am Marx-Engels-Platz versammelt hatte, und die Argumente seiner GenossInnen in einer Nachtsitzung des Parteivorstandes brachten Hans Modrow dazu, noch einmal anzutreten.

Seine Kandidatenrede war denn auch eher eine Begründung dafür, warum er genau das nicht wollte: Er habe in der alten SED zu lange Verantwortung mitgetragen, werde sein gegenwärtiges Amt als Ministerpräsident auch künftig als parteipolitisch unabhängig verstehen und wolle vor allem dazu beitragen, daß die Lage im Land bis zu den Wahlen stabil bleibt. Dennoch wollte er die Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden, nicht enttäuschen.

Für das lädierte Selbstbewußtsein der meisten GenossInnen ist es Balsam, einen auch außerhalb ihrer Partei als grundanständig anerkannten Menschen in den eigenen Reihen zu wissen. Seine Wahl zum Ehrenvorsitzenden der PDS war ein Ausdruck der Dankbarkeit.

Schon zu Beginn des Parteitages hatten die Delegierten sich im Hauruck-Verfahren ohne Aussprache endgültig vom alten Namen SED-PDS getrennt. Tatsächlich hat sich die PDS seit ihrem Außerordentlichen Parteitag vor zwei Monaten erheblich verändert: Sie hat noch einmal die Hälfte ihres Mitgliederbestandes verloren und umfaßt jetzt 650.000 -700.000 Mitglieder - mit weiter sinkender Tendenz. Der Parteiapparat ist erheblich zusammengeschrumpft: in der Zentrale um fast 60 Prozent, in den Regionen um 75 bis 90 Prozent. Große Teile des Parteivermögens sind in Volkseigentum überführt. Unter den 530 Delegierten überwogen die 20- bis 30jährigen. Als sich der Cottbusser Delegierte Thiel mit den Worten vorstellte: „Ich gehöre zu den Alten, ich bin schon drei Monate Bezirksvorsitzender...“, war das eine zutreffende Beschreibung dieser Veränderungen.

Verabschiedet wurden von dem Parteitag ein neues Programm, ein Wahlprogramm und ein neues Statut. Im Mittelpunkt stand die Rede Gregor Gysis zum Wahlprogramm, ein „Warenhausreferat“, voller scharfer Angriffe gegen die Politik der BRD.

In dem Wust von Einzelforderungen wurden zwei Linien erkennbar: Auch die PDS geht davon aus, daß die Vereinigung der beiden deutschen Staaten kommen wird, doch sie möchte eine „Annexion“ und einen „Ausverkauf“ sozialer Errungenschaften auf jeden Fall verhindern. Sie will das Eigengewicht der DDR in diesem Prozeß verstärken und die Vereinigung in den europäischen Rahmen einbinden. Und die PDS will bei den Volkskammerwahlen zusammen mit anderen Organisationen, die einer allzu schnellen Fortsetzung auf Seite 2

Vereinigung ähnlich kritisch gegenüberstehen, eine Sperrminorität von wenigstens einem Drittel erreichen. Dann nämlich würden die Parteien, die besonders enge Verbindungen in die BRD haben - wie die „Allianz“ und die SPD - keine für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit haben. An die Adresse der BRD gerichtet, machte Gysi noch zwei konkrete Vorschlä

ge: Nach dem Vorbild der DDR die Bundestagswahlen vorzuziehen, denn im Wahlkampf scheine „rationale Politik“ nicht möglich. Die DDR-Bürger hätten genug davon, daß der Bundestagswahlkampf auf ihrem Territorium ausgetragen werde. Zudem schlug er vor, die Wehrpflicht in der DDR abzuschaffen und es vorerst bei einer kleinen Berufsarmee zu belassen. Sollte die BRD dem nicht folgen, sollte darüber zu einem späteren Zeitpunkt eine Volksabstimmung stattfinden.

Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kritik eines Weimarer Delegierten berechtigt war. Er stellte fest: „Die deutsche Einheit wird kommen, und trotzdem machen wir keine Aussage zur Rolle der PDS in einem geeinten Deutschland.“ Nur eines ist jetzt bereits klar: Es wird eine Oppositionsrolle sein.

Walter Süß