Zu den Fleischtöpfen

■ Goethes „Bürgergeneral“ mit Brasch-Nachspiel im Mannheimer Nationaltheater

Kleist nahm als 16jähriger am preußischen Rheinfeldzug gegen das revolutionäre Frankreich teil und lebte später ein Jahr in Paris. Ähnlich wie Hölderlin und Heine wurde er durch die Umwälzungen im Nachbarland in Zwiespalt gestürzt. Anders Goethe: der gefiel sich in ablehnender Distanz und hatte wohl insgeheim Angst, auch ihm könne es an die Pfründe gehen. Seine Vorliebe galt bekanntlich Italien, was man ja verstehen kann. Und man kann ihm sogar ein Stück weit folgen, wenn er im Bürgergeneral einen deutschen Möchtegern -Revoluzzer karikiert, der eigentlich nur an die Fleischtöpfe will.

Es ist allerdings nicht verwunderlich, daß Goethes Posse nach ihrer Uraufführung 1793 in Weimar in der Versenkung verschwand. Damals allerdings dürfte der preußische Adel seine helle Freude an Herrn Schnaps gehabt haben, einem Tunichtgut, der sich in einem kleinen Dorf als Abgesandter der Jakobiner ausgibt. Er solle hier die Revolution organisieren, erzählt er dem alten Märten, der mit Tochter Röse und Schwiegersohn Görge ein kärgliches, aber wohlbehütetes Leben führt. Herr und Hüter der drei ist ein äußerst wohlwollender Landadeliger. Der böse Schnaps hat es natürlich auf die Brotlade abgesehen, und der Revolutionsunterricht des selbsternannten „Bürgergenerals“ ist lediglich Mittel zu dem Zweck, diese aufzubrechen. Es kommt aber zum guten Schluß: Der Herr und Hüter bringt wieder Ordnung in die revolutionsgeschüttelte Bauernstube.

Das Mannheimer Nationaltheater hat die angestaubte Goethe -Posse wieder ausgegraben, und Regisseur Manfred Weiß setzte den heiliggesprochenen Landjunker als Karikatur auf ein Papp -Pferd. Er tat gut daran. Denn der Weimarer Dichterfürst übersah geflissentlich, daß er den schieren Wunsch nach den Fleischtöpfen bei seinen Figuren kritisierte, während er sich den eigenen elegant per Fürstenlob erfüllen konnte. Daß revolutionäre Motive vorgegeben werden, wo es in Wirklichkeit um blanke Bedürfnisbefriedigung geht, hat Goethe richtig gesehen. Das ist aber auch alles, und als Kommentar zur jüngsten „deutschen Revolution“ taugt seine Posse wenig. Das mag vielleicht auch der Grund sein, warum Thomas Brasch nicht an sich halten konnte und ein Nachspiel zum Bürgergeneral schrieb. Seine Reaktion auf Goethe, Mauersturz und deutsch-deutsche Zwangsvereinigung nennt sich Singspiel und ist so dürftig ausgefallen, daß Goethes schnell hingeworfene Posse dagegen fast schon wieder charmant wirkt.

Jürgen Berger

Die nächsten Aufführungen:

7., 15. und 16. März im Studio