Schräge Töne sind ja nicht lustfeindlich

■ Heute im Culture Club: Ortrud Staude, die neue Leiterin der „Bremer Chorwerkstatt“

„Da bin ich immer sofort dabei bei dieser Mischung: Stockhausen, wenn auch nicht so heftig wie er, in allem was er macht, - entweder fürchterlich schräg in den 50er Jahren oder später, wo er total umkippt in die große Meditation also, so etwas zu verbinden mit dem, was in unserer Alltagsmusik, in unserer Unterhaltungsmusik drin ist: Jazz und Salsa und Samba. Und trotzdem auch dieses Reibende dabei zu haben. Das zu machen, darin liegt für mich der Reiz.“ Aber ist denn nur aufklärerisch, die Leute zu gewöhnen, daß sie die häßlichen, quälerischen Töne aushalten, weil man immerzu Hörgewohnheiten aufbrechen muß? „Schräge Klänge müssen ja

nicht lustfeindlich sein.“ Ortrud Staude hat sich, auf durchgehenden hessischen Untertönen, in Schwung geredet. „Es gibt 'häßliche‘ Töne, die mir gut tun. Und mich interessiert, auch bei der Arbeit mit dem Chor: Wie kann ich das vermitteln.“

Seit sechs Wochen leitet Ortrud Staude die Bremer Chorwerkstatt, Anfang der 80er Jahre links gegründet, Ende der 80er von ihrem Leiter Manfred Seidel verlassen, weil der, sehr kurz gefaßt, einen neuen Chor aufbauen will, mit dem er verbindlicher arbeiten kann. Die Chorwerkstatt, bei allem Antiautoritarismus immer „Manfreds Chor“, und seine neue Leiterin tasten sich momentan an

einander heran, gewöhnen sich aneinander, reiben sich aneinander. Einige ChoristInnen gehen, neue kommen. Es ist Zwischenzeit, Zeit der Unsicherheit und des Experimentierens.

Wie der Stamm der Chorwerkstatt kommt auch Ortrud Staude aus der 68er Tradition: Vom Anspruch, „über Musik Menschen zu ändern“, ist geblieben: „Es muß was aufgebrochen werden“ und „Gewohnheiten zumindest in Frage zu stellen“. Wie zum Beispiel? Zum Beispiel, wenn die Musiklehrerin Staude, - denn das ist sie auch und zuerst - einem Schüler, der nur auf Computermusic steht, einen Pierre Boulez vorspielt und der das „voll geil“ findet.

Vorher: Klassische Musiklehrerinausbildung, Geige und Klavier, auch Gesang, immer in verschiedenen Chören, zwei Kinder, 10 Jahre überhaupt keine Musik gemacht, die Kinder ja, „aber das war's nicht nur“, sondern auch Bruch mit der klassischen Hochleistungsmusik, endgültig keine Lust mehr, permanent ein Stück zu üben, bis es einen bestimmten

level hat, 1977 Trennung, WG, wieder eigene Sachen gemacht, für den Rundfunk, in der Chorwerkstatt gesungen, dann ZZEI.

ZZEI war wichtig. Fünf Frauen, ganz verschieden aus Klassik, Jazz, Blues, afrikanischem Trommeln kommend, improvisieren miteinander, gehen an die weibliche Öffentlichkeit, Frauenwoche, dann Konzerte für Frauen, ernten Begeisterung für ihre schrägen Töne und daß frau nie wußte, was sich entwickelt, denn es wurde wirklich frei improvisiert; dann gemischte Öffentlichkeit, Verzicht auf den Vorschuß: Das sind welche von uns und die können sowas! Hinterher noch Musik & Theater, die Dreigroschenoper mit Alka Seltsam und Lauter Blech, Musik & Text mit Uli Mückenberger und Rudolf Bauer. Die ZZEI-Erfahrung zieht sich durch, bis in das, was ihr mit der Chorwerkstatt vorschwebt: die schönen schrägen Töne, statt Hierarchie das Miteinander -Gegeneinander-Spielen und sein musikalischer Ausdruck, die Improvisation.

„Ich will nicht, daß es mein

Chor wird, daß ich da die Oberfrau bin und alle machen das, was ich will, nur. Bei dem, was den Chor zum Leben bringt, möchte ich eigentlich nur prima inter pares sein.“ - Ist das nicht weibliches Sich-Verkriechen, lieber nur Teil einer improvisierenden Gruppe sein? „Vor einem halben Jahr wäre ich da nicht so sicher gewesen. Aber inzwischen weiß ich sicher, daß es das nicht ist. Ich möchte eine breitere Basis, die sagt: Das wollen wir. Das Problem ist dabei, das Chor traditionell so eine Struktur nicht kennt.“ Ob das geht, muß sich zeigen. Auch daran, ob es möglich ist, mit so einem großen Chor zu improvisieren. Angefangen hat sie damit, „in ganz kleinen Dosen.“ Sie wünscht, daß sich aus dem, was der Chor als Einstimmübung passieren lassen möchte, einmal eigenständiger Ausdruck wird. Schon jetzt findet sie, „es klingt manchmal ganz toll.“ Uta Stolle

Für Interessenten: Der Chor probt u.a. Liebeslieder aus versch.Jhten.'jeweils montagabend Am Dobben.