KASTRIER IHN!

■ Catch-Großkampftag in der Eissporthalle

Zum ersten Mal seit langer Zeit wurde in Berlin ein Catch -Weltmeisterschaftskampf mit Rahmenprogramm geboten, ein Großkampftag. In der etwa zur Hälfte gefüllten Halle dröhnten Märsche aus den Lautsprechern. Da an diesem „besonderen Tag“ kein Rockkonzert gegeben wurde, hatte man sich wohl wenig um die Akustik gekümmert, der Sound hing immer nach, es gab ein hallendes Echo, & das verursachte einen eher psychedelischen Effekt. Mitten drin sitzend, fluteten Erinnerungen an bräunlich vergilbte Kneipen, von matten Funzeln spärlich erhellt. Zigarettenqualm in der Luft, Schultheiss an der einen Ecke, Sekt & Champagner an der anderen. Über allem tosend dies Blechgeschrammel.

Unter den Besuchern fand sich viel Woolworth- & Bilka -Schick: dunkelblaue Pullover zu braunen Hosen, ausgebeult; gelbe Blusen zu blauen Kostümen; grüne, braune, graue abgewetzte Lederjackenimitate. Frauen sahen überwiegend schmächtig & bleich aus, trugen diese schrecklichen Dauerwellen, die aus jedem Gesicht einen Hündchenkopf machen. Ein, zwei wasserstoffperoxydmäßige Ausnahmen. Auch bei den Männern herrschte das Hündchen vor; dieser traurige, geschlagene Blick in zerfurchten Gesichtsruinen, hängende Schultern, schlurfender Schritt. Läßt mich immer an manisch -depressive Ekstatiker - im aufgeklärten Volksmund: underdogs - denken. Das Durchschnittsalter lag wohl bei 45-50 Jahren, aber auch die permanente Jugendfraktion war vertreten. Was wieder einmal verdeutlichte, daß die Regression ins Infantile nicht nur fröhlich, sondern auch häßlich macht: verwaschene Jogginganzüge, die Strampelkleidung für den modernen Menschen, die ins uferlose quellende Fleischhaufen birgt. Außerdem gab's noch die alten tough guys zu sehen: diese, irgendwelchen B-Movies ensprungenen Gestalten, mit Zeitung, verhärmtem Gesicht & blauem Plastikregenmantel, die Durchsteher.

Ungarisch-deutsches Gulasch

Es ging dann wohl mit wirklich fettem Bums-Soul los, wummernde Bässe & Frauenstimme, die bezeichnend sang: „Make my day!“ Der Ungar Joschi betrat den Ring & machte uns mit bösem Blick & wabbelndem Bauch direkt den Unsympath. Zu Gary Glitter marschierte „Catcher des Jahres“ Franzl Schuhmann auf. Er hatte wohl schwellende Muskeln & Pickel auf dem Rücken, & Frauenstimme schlug ihm vor: „Franzl, laß die Hosen runter.“ Er war der Gute. Seltsam war dann schon, wie leicht deutsche Massenseele zu entflammen ist: Hier der Böse, da der Gute & „Franzl, mach Gulasch aus ihm!“, „Franzl, kastrier ihn!“, halt eben so echt begeisterungsfähig, als ob es bei den Kämpfen tatsächlich um echte Gewalt ginge & nicht um billige Splatter -Simulationen.

Anyhow, Joschi zieht an den Haaren, das bringt ihm 'ne Verwarnung & und ein gellendes BUUH! ein. Volk kommt aber nicht zum Jubeln, denn die hochartistischen Leistungen Franzls scheitern bereits im Ansatz, Joschi legt ihn wieder & wieder auf die Matte. „Nicht an der Nase ziehen!“ Der Ungar macht uns wirklich das fiese Schwein, dem würde man selbst mal gerne usw. Gong. Erste Runde geht an Joschi. Der schmucke Österreicher eröffnet die zweite mit einer grandiosen Attacke, läuft blindlings in die offenen Arme des Ungarn & segelt dann folgerichtig schwungvoll aus dem Ring. Dann wird gesprungen & gehüpft, endlich bekommt Franzl - zum tosenden Beifall der mitgehenden Menge - den Joschi zu packen, aber, BUUH!, kassiert - die Welt ist schlecht & der Ringrichter gekauft - eine gelbe Karte! BUUH! In der dritten Runde endlich legt der Gute, Franzl, den Bösen auf die Matte & gewinnt. Jubel & Beifall, oh simples deutsches Gemüt: Per aspera ad astra, die Gerechtigkeit siegt.

Rom versus Germania

Die Dramaturgie ist schon irgendwie schäbig, die Kämpfe sind ja nicht echt, nach 2, 3 Sekunden im Ring weiß im Grunde jeder, wer der Böse, der Verlierer, & wer der gute, der Gewinner sein wird. Ist mir unbegreiflich, wieso der Zuschauerraum dennoch so mitgehen kann, mit lauten Anfeuerungen, bösartigen Verwünschungen, mit Vom-Sitz -aufspringen & Dem-Nachbarn-das-Bier-über-die-Hose-kippen.

Beim zweiten Kampf funktioniert das System noch weitaus besser: es kämpfen „der Sizilianer“ Sal Bellomo & Eddy Steinblock, deutsch. Naja, ok., sie zeigen, wie man sich so 'nen Kampf zu denken hat. Viel zuviel Freiraum in den Griffen & Stößen, viel zuviel Kooperation bei artistischen Glanzleistungen. Also, klar, Bellomo ist der Böse. Er kommt in römischer Uniform herein, Busch auf dem Schädel, feuerroten Mantel um den Körper. Er ist eher klein & fett, hat lange schmierige Haare, bewegt sich sprunghaft, wirbelt im Ring zunächst mal herum & glotzt wild: kurz, er macht uns das aggressive Tier, die tollwütige „Pizza“. Eddy Steinblock (jaja, die Namen sind auch 'ne Geschichte für sich) dagegen: hochgewachsen, blond, breite Schultern, mächtiger Brustkasten, genau: Siegfried. Eddy schreitet in den Ring, für ihn & uns ist der Sieg schon sicher (ich mein‘, klar, das ist er ohnehin). Er reckt das Patschehändchen in die Höh‘, haut mit den Füßlein auf den Boden & leitet den Zuschauerchor: „EDDY, EDDY, EDDY, EDDY!“ Wir wohnen einem aufs archaische stilisierten Urkampf bei: Rom vs. Germania. & wie gemein der Italiener ist! Wie unfair! Zu Recht bekommt er denn vom Ringrichter die gelbe Karte wg. „fortgesetzter Mattenflucht“. In der dritten Runde kassiert der deutsche Hühne einen „direkten Faustschlag“, was verboten ist & daher viel Anteilnahme aus dem Publikum einbringt: EDDY! STEH AUF! MACH IHN FERTIG!“ Auch Bellomo ist sich seiner Rolle klar, wie ein Zweite-Hand-Teufel grinsend hält er Steinblock am Boden & teilt uns mit: „Deutschland finito!“ Ja, darf der denn sowas?

Vierte Runde, jetzt muß aber mal Schluß sein mit der „Pizza“! Doch Bellomo greift den in seiner Ecke harrenden Deutschen sofort (& - natürlich - hinterrücks, feige & unsportlich) an, schlägt auf ihn ein, hebelt ihn in die Ringmitte, schmeißt ihn umher & schlägt ihn mit dem Kopf auf den Eckpfosten... „OOOHHH! EDDY!“ Eddy, Eddy blutet! Schwer kommt Eddy wieder hoch, wie einem schlechten Schauspieler sieht man ihm die Regieanweisungen an, die ihm durch den Kopf gehen: Bin angeschlagen, schwer getroffen, kann mich kaum noch auf den Beinen halten, jetzt: wanken! Ich & Deutschland sind in höchster Gefahr! Wanken!

Eddy blutet nicht vergebens

Die Halle ist aufgewühlt, geht es doch wirklich ums Ganze, „EDDY, EDDY“. Ich entsinne mich eines passenden Zitats, von einem anderen Deutschen gesprochen: „Alles Große steht im Sturm!“ raunte Martin Heidegger in seiner Rektoratsrede, das „Alles Große ist hinfällig“ Platons verfälschend. Auch im Ring wird munter weiter gefälscht. Die deutsche Eiche steht im Sturm der Angriffe Bellomos (des Bösen, nicht vergessen!) - & „AAAH! EDDY!“: Sie fällt, sie fällt! Oh Ungemach, oh Pein, oh Seelenschmerz! Eddy windet sich auf Knien, reckt seine Fäuste wider die Ungerechtigkeit von Göttern, Schicksal, Veranstalterdramaturgie, sammelt Kräfte

-„EDDY! EDDY! EDDY!“ - & kommt langsam, einer Erektion gleich (ah! endlich zeigt sie sich, den verlockungen nicht widerstehend und in voller schönheit: des autors psyche. sezza) wieder hoch. „EDDY! EDDY! EDDY!“ branden die Rufe, brandet Hoffnung durch die Hallen, trägt den Recken noch einmal empor, & wieder war's nur ein coitus interruptus (kicher. sezza): Der gemeine Bellomo macht alles putt. So, 5. Runde, jetzt aber genug gelitten, stattdessen: furor teutonicus. Was für eine überwältigende Überraschung: Steinblock hebelt Bellomo aus: 1, 2, 3, & SIEG! SIEG! S I E G! „EDDY!“ hat's geschafft! Mit blutüberströmtem Gesicht, taumelnd, ergibt er sich dem Publikumsjubel. Wer hätte das gedacht! Gut siegt vor Böse!

Das dritte Treffen des Großkampftages bestreiten „Publikumsliebling“ Mile Zrno & Toni St. Clair, die Europameister im Paarkampf, als: DIE GUTEN & der „staatenlose, brutale, gefürchtete“ Klaus Kauroff & der „kompromißlose, harte“ südafrikanische „Söldner“ Colonel Brody, als : DIE BÖSEN. (Brody verweigert beim Einmarsch der Gladiatoren übrigens die ihm überreichte Rose. Er war ganz & gar in diesen Armeedress gekleidet, unterm Arm ein Herrschaftsstöckchen. Subtil schlingernde Visionen projizierend: sah mal diesen Hardcore-S/M-gay-Porno, in dem sich englische Soldaten in Uniform aneinander vergnügten. Viel Gewalt, klar. Getreu der psychologischen Nähe von Sadismus & Analfixierung wurde auch kräftig geschissen & damit hatten die Protagonisten denn auch noch viel Freude & Lust. Anyhow, das waren so viel Bilder, die ich bei Brody bekam. Wage aber mal die Vermutung, daß seine aggressive Ausstrahlung auch die latenten homosexuellen Wünsche im Publikum berührte. Begleiterin war die ganze Zeit über perplex ob des Gefummels im Ring. Soll nur sagen, daß DIE BÖSEN vielleicht auch aus diesem Grunde kräftig einen auf die Nase bekommen mußten, gelle, Verdrängungen exterminieren & so, wa!)

Nostalgische Erinnerungen

Wie der Kampf abzulaufen hatte, dürfte inzwischen klar sein. Die Bösen betrogen & waren unfair, schlugen auch schon mal zu zweit auf einen Gegner ein, wenn der Schiedsrichter nicht hinsah. Die Guten, als Gute eben, konnten ob dieser Regelwidrigkeiten nur in ohnmächtiger Wut verharren, schließlich aber dann im rasenden gerechten Zorn den Feind plattmachen, ja genau, plattmachen. Das dauerte 16 Minuten & 59 Sekunden, & und ich langweilte mich sehr. Pause. Empfohlen wurde der Besuch des Souvenirverkaufsstandes, Trash für die heimische Schrankwand. Hab ich nicht, konnte ich mir also sparen. Während dieser kämpferischen Leerzeit kamen einige Zuschauer nach vorn an den Ring, & da sah ich den Travis aus Taxi driver. Das war so ein schmächtiges Jüngelchen, schwarze Haare, Kampfanzugshosen, Springerstiefel. Ich hatte ihn schon zuvor bemerkt, da er während der Kämpfe in erschreckender Naivität mitging, seine Stimme überschlug sich, kurz vor dem Umkippen derselben schrie er den Ringrichter an, er solle mal die Augen aufmachen. Das erinnerte mich an meine Zeit im Kindergarten. Gelegentlich gab es da so Kasperltheateraufführungen, & wir Kinderchens saßen in großen Horden vor der Bühne. Wenn dann Kasperl zu uns sprach & in seinem Rücken der Teufel oder das Krokodil auftauchte, dann schrien wir alle ganz entsetzt & versuchten den Kasperl doch vor dem drohenden Unheil zu warnen, ja, & so agierte dieser Travis-Clon, machte den Ringrichter auf gemeine Regelverletzungen aufmerksam, als gehörten diese nicht zur spannungssteigernden Dramaturgie. Anyhow, Travis kam also an den Ring, & seine Dackelaugen begannen feucht zu werden, als er mit den Händen über die Seile strich, die noch vor kurzem vom Schweiß echter, fetter Männer gesegnet worden waren. Das war ein Wahnsinniger, ja, aber viele von denen liefen nicht durch die Gegend (nee, weil außerhalb und überall sich tummelnd. sezza).

Nach der Pause wurde der homosexuelle Grundton dann deutlicher vernehmbar. Genet hätte sich wohl gefreut & tolle Formulierungen gebaut. Nun, es wurde Kindercatchen geboten. Schmächtige Jungs mit dünnen Gliedern & alabasterfarbener Haut gingen furios aufeinander los. Sie klammerten & hebelten & warfen & griffen genau wie die Großen, vielleicht nicht ganz so gestellt. & der Hoffnung auf den Nachwuchs verlieh denn auch der Veranstalter Ausdruck; zum Erschrecken meiner Begleiterin: „Wollen diese süßen Kleinen etwa später auch solche unförmigen Fettberge werden?“

Fleischberge in Samt

Zwei von denen eröffneten das Getümmel nach der Pause. Der Russe Iwan Strogoff (jaja, die Namen) brachte 142 Kilo Lebensgewicht in den Ring - 142 Kilo! Klar, das ist 'ne Zahl, aber ich kann versichern, es ist wirklich eine Menge, Menge Fleisch - & erhielt von mir den Extrapreis für die galanteste Bekleidung: ein schwarzer Samtmantel mit abgesetzter silberner Borte & von einer roten Kordel mit Bommeln gehalten. Sein Gegner war „Weltmeister aller Klassen“ BIG Otto Wanz. „Big Otto“ schleppte 175 Kilo Fleisch heran, trug nur einen einfarbigen Mantel, machte also eher den Professionellen, der nix mit Pose zu tun hat.

& Ring frei. Bei soviel aufeinanderprallendem Fleisch werden der artistischen Einlagen eher weniger. Stattdessen wird gehalten, gezerrt, gedrückt & gewürgt. Einmal sich in die Seile werfen & sich so mit Schwung auf den Gegner katapultierend, versagte Strogoff kläglich: „Big Otto“ stand & grinste souverän. Seine Gegenattacke sah nicht besonders künstlerisch aus, zeigte aber Erfolg: Er ging einfach auf den Gegner los, knallte ihm eine, & der lag am Boden.

Auf der Matte fanden sich beide mal, & das sah dann schon surrealistisch aus; zunächst hopsten zwei Hackfleischbällchen in buntem Trikot aufeinander zu, stießen aneinander & fielen um. Fast wie bei einem Flummi konnte man erwarten, sie würden wieder in die Luft hüpfen. Taten sie aber nicht. Onkel Schwerkraft hielt sie dicht bei Mutter Erde. Dort rollten sie dann, Klöpsen nicht unähnlich, durcheinander oder übereinander. Gelegentlich sah man eine stumpfe Extremität, die sich irgendwo verhakte, eingrub. Es war dies ein vor allem gemessener, ruhiger Kampf - in seiner Gemächlichkeit schon ästhetisch. Das Spiel der Naturgewalten gegeneinander wogenden Fleisches wurde von „Big Otto“ beendet, der seinen Gegner am Boden festhielt. Gnade der Laus, die sich dort verirrte.

Edle Einfalt, stilles Wüten

Ok., gut, Finale. Angekündigt wurde der Kmapf um die Weltmeisterschaft im Mittelgewicht zwischen dem anerkannten Herausforderer Fit Finlay aus Irland (jaja, die namen. ach nee. steht ja nich hier. sezza) & und dem Titelträger Steve Wright aus England. Herausforderer Irland, Titelverteidiger England, klang schon wieder verdächtig mythisch. Diesen Eindruck verstärkend, gebot das Publikum stehend dem Politischen Ehre: die Nationalhymnen ertönten. Dann stürzten sich die beiden Kämpen aufeinander. Es war der beste Kampf, ungestellt. Die Griffe, flink angebracht, saßen fest. Hin & her wogte das Getümmel. Wright brachte mehr Artistik ein, sprang sogar einmal selbst - fatal, fatal - lang gestreckt durch die Seile ins Publikum. Einmal, ich gestehe, riß es sogar mich vom Sitz, als sich die beiden außerhalb des Rings ineinander verkeilten (da könnt ich dir was erzählen... psychologisierter sezza). In der siebten Runde gelang es dem Titelverteidiger, den Herausforderer mittels „Kopfstaucher mit anschließender Schulterfesselung“ zu besiegen. Nach der Siegerehrung forderte Finley Wrigth zu einem neuen Kampf heraus : „Du hast zwar die Schlacht gewonnen, doch der Krieg ist noch nicht entschieden.“ Das war gut gesagt, ja, doch der den goldenen Gürtel tragende Sieger blieb nichts schuldig: „An jedem Ort & zu jeder Zeit stehe ich für einen neuen Kampf bereit, Dir zu beweisen, daß ich der Bessere bin.“

Das macht Hoffnung auf mehr Blut, Schweiß & Tränen, auf Männerkörper, die sich leicht bekleidet aneinander reiben, auf enthusiastische Zuschauerscharen, die sich so gräßlich leicht begeistern lassen, eben auf einen weiteren Abend mit billiger Unterhaltung, an dem man sich, bei Bier & Popcorn, so richtig einer Zivilisation angehörig fühlt. In einer Woche wird geboxt, Boxen ist besser.

R. Stoert