DEINE STIMME WIRD DIE STIMME DES AUFSTANDS ÜBERTÖNEN

■ Bericht über die Haftbedingungen in einem israelischen Gefangenenlager

Von Freitag dem 2. März bis Sonntag den 4. März findet in Hamburg ein internationaler Kongreß zur Unterstützung der seit mehr als zwei Jahren andauernden „Intifada“ statt. Die bisherige Entwicklung der Intifada und die aktuelle Situation im besetzten Palästina sollen ebenso zur Diskussion gestellt werden wie die Ansätze, Probleme und Perspektiven der Solidarität mit dem palästinensischen Volk hier von der BRD aus.

Wenn auch die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen des revolutionären Prozesses hier und in Palästina sehr unterschiedlich weit entwickelt sind, gibt es doch zwischen den Knastbedingungen und den Forderungen der Gefangenen hier und dort Gemeinsamkeiten. In einer der Arbeitsgruppen auf dem Palästina Kongreß soll deshalb versucht werden, praktische Schritte wie zum Beispiel die Unterstützung gemeinsamer Forderungen wie nach Zusammenlegung und Abschaffung der Isolationsfolter zusammen zu organisieren.

Der Schwerpunkt dieser AG liegt dabei auf dem zweiten Aspekt. Die ReferentInnen in dieser AG werden ein ehemaliger palästinensischer Gefangener, ein palästinensischer Rechtsanwalt und eine israelische Aktivistin vom Womens Organisation for Women Political Prisoners (WOFPP) sein.

Zur Situation der palästinensischen Gefangenen

In Palästina gibt es mittlerweile keine Familie mehr, die keinen Angehörigen im Knast hatte oder hat. Seit Beginn der Intifada haben ca. 65.000 Gefangene in den Knästen gesessen, oft in Administrativhaft, das heißt ein halbes beziehungsweise jetzt schon ein ganzes Jahr ohne Anklage oder anwaltlichen Beistand. Zur Zeit sitzen ca. 15.000 PalästinenserInnen im Knast. Zunehmend werden auch mehr Frauen verhaftet. Neben den üblichen Verhör- und Foltermethoden sind sie speziell sexueller Folter ausgesetzt. Die Zahl der gefangenen Kinder und Jugendlichen ist ebenfalls sehr hoch. Um ihren Widerstand und ihre Persönlichkeit zu brechen, wenden die Zionisten systematische Vergewaltigung sowohl gegen Mädchen als auch gegen Jungen an.

Die bestehenden Knäste reichen für die große Zahl der Gefangenen längst nicht mehr aus. Gefangenenlager wie Ansar III (derzeit 4.500 Gefangene) in der Negev-Wüste sollen deshalb ausgebaut und neue Knäste gebaut werden.

Der Widerstand in den Knästen ist hoch organisiert und seine Formen sind weit entwickelt. Es gibt viele organisierte Aktionen der Gefangenen. Es besteht ein enges Verhältnis zu dem Kampf außerhalb der Knäste.

Mit der immer weiter zunehmenden Zahl der Gefangenen wächst die Organisierung der Angehörigen. Die Hauptträgerinnen dieser Arbeit sind die Frauen. Sie organisieren Sit-ins bei internationalen Organisationen, organisieren Unterstützungskampagnen für die Forderungen der Gefangenen im Hungerstreik, machen Kundgebungen vor den Knästen, kümmern sich um Anwälte, besuchen die Familien von Inhaftierten und versuchen durch verschiedene Aktionen herauszufinden, wo die Gefangenen überhaupt inhaftiert sind.

Die Arbeit zu den politischen Gefangenen ist ein integraler Bestandteil der gesamten politischen Arbeit. „Die Frage der palästinensischen Gefangenen in den zionistischen Knästen ist ein heißes Thema in den Herzen und Köpfen der PalästinenserInnen innerhalb und außerhalb Palästinas, und insbesondere im Inneren Palästinas. Jede Bewegung in den Gefängnissen hat ein Echo außerhalb der Gefängnisse.“

Die Unterstützungsarbeit für die politischen Gefangenen wird mittlerweile auch von palästinensischen Angehörigen in Zusammenarbeit mit IsraelInnen organisiert. Ein Beispiel hierfür sind die Womens Organisation for Women Political Prisoners.

Ansar 3 - Das Lager des langsamen Todes

Bericht des palästinensischen Journalisten Kamal Dschebil, der von September 1987 bis August 1988 in Administrativhaft war, zuletzt in dem berüchtigten Konzentrationslager Ansar III.

„Tausende von Gefangenen der Intifada sind in Internierungslager gesperrt. Diese Maßnahme erfordert die Errichtung von neuen Konzentrationslagern, um Tausende von Menschen zu internieren. Dieses sind nicht die üblichen Gefängnisse, wie wir sie kennen: Sie sollen Friedhöfe für Tausende sein. Es ist das Ziel dieser Lager, daß die Gefangenen nur tot herauskommen; physisch oder psychisch. So haben die Zionisten Ansar III errichtet. Wir haben es so genannt. (Unter den Häftlingen wurde das Lager in Ketziot „Ansar III“ getauft, eine Anspielung auf das berüchtigte israelische Gefängnis in Libanon während des damaligen Krieges. Ansar II ist ein Gefängnis in Gaza, das ebenfalls nach dem Ausbruch von Intifada eingerichtet wurde.)

Die Zionisten haben dieses Lager in einem Militärgebiet in der Wüste, fünf bis sieben Kilometer von der ägyptischen Grenze entfernt, errichtet. In einem Gebiet, das sehr weit ab von allem Leben liegt, und sie haben Tausende in überfüllten Zelten zusammengepfercht eingesperrt. Die Leitung dieses Lagers obliegt Militärs, die keine Begrifflichkeit von menschlicher Behandlung haben. Sie verstehen nur zu foltern und zu morden.

Sie haben uns vom Djschened-Gefängnis in Nablus in das Lager Ansar III verlegt. Obwohl wir vieles gewohnt sind, war dies ein Schock für uns. Als wir ankamen, waren unsere Augen verbunden, und unsere Hände waren uns hinter dem Rücken gefesselt. Wir sahen nichts, wir wußten nicht, wo wir waren. Wir konnten weder sehen noch uns bewegen oder reden. Wir sind abends angekommen. Eine große Anzahl mit Gewehren und Schlagstöcken schwerbewaffneter Soldaten hat uns empfangen. Sie haben sofort angefangen, uns zu provozieren, zu beschimpfen und zu schlagen. Einige von uns wurden schwer verletzt. Während sie uns schlugen, beschimpften sie Arafat, die anderen palästinensischen Führer und die Intifada, und sie sangen die Lobeshymne auf Israel und dessen Führer und verlangten von uns, dies auch zu tun. Wir haben das entschieden verweigert. Deshalb haben sie uns heftiger und brutaler mit ihren Stöcken geschlagen, wobei, wie gesagt, viele schwer verletzt wurden. Anstatt uns ihren Forderungen zu beugen, haben wir angefangen, Parolen zu rufen und zu schreien bis sie aufgehört haben, uns zu schlagen. Und somit ist die erste Schlacht zu Ende gegangen, die wir zu unseren Gunsten entschieden haben. Zumindest haben wir das so betrachtet - obwohl wir nichts sehen und uns nicht bewegen konnten, haben sie den Schrei aus unseren Mündern nicht abwürgen können. Danach haben sie uns zu den Zelten transportiert. Wir waren sehr hungrig und sehr durstig, bekamen jedoch weder Essen noch Trinken. Alles, was wir besaßen, wie Bücher, Hefte und Stifte haben sie beschlagnahmt und uns weggenommen. Unsere Kleider wurden beschlagnahmt und dafür wurde uns eine für dieses Lager vorgesehene Hose und ein Hemd gegeben.

Mit den Zelten haben wir praktisch die Wüste betreten und wahrgenommen. Hier wurde uns bewußt, daß wir nicht in einem üblichen Gefängnis sind. wir hatten das Gefühl, dies ist ein Friedhof, nicht mehr und nicht weniger - sie wollen Tausende von Menschen lebendig begraben. Wir waren mehr als 3.000 Gefangene im Alter von 16-70 Jahren. Viele von uns sind aus Mangel an Essen und Wasser krank geworden, und wir alle wissen, wie es in der Wüste ist: sehr heiß. Mit Sicherheit kann ich sagen, daß an manchen Tagen und besonders im Mai die Temperaturen tagsüber auf über 50 Grad kletterten und nachts auf unter Null Grad sanken. Darüber hinaus der Mangel an Essen und manchmal stundenlang kein Wasser zum Trinken geschweige denn Wasser zum Waschen - und keine sanitären Anlagen. An manchen Tagen war das Wasser für sechs bis acht Stunden abgestellt, so daß viele an Durst und Flüssigkeitsmangel litten. Wir hatten keine Medikamente, die die Leiden und Schmerzen hätten lindern können, und dazu kamen noch die Provokationen der Soldaten, der Militärpolizei und der Verwaltung. Diese Provokationen wurden von Tränengasgranaten begleitet, die die Soldaten in die überfüllten Zelte warfen. Das passierte fast täglich, egal unter welchem fadenscheinigen Grund. Wir haben deshalb angefangen, uns dagegen zu organisieren. Wir hatten das Gefühl, wir werden langsam ermordet. Wir wollten uns nicht ohne Kampf töten lassen, und wir wollten nicht schweigend und tatenlos vor diesen verbrecherischen Taten stehen oder ohne Reaktion auf diese mörderischen Aktionen bleiben. (...) Hier wird alltäglicher langsamer physischer und psychischer vorsätzlicher Mord praktiziert. In der Tat sind zwei Kämpfer von uns vor unseren Augen ermordet worden, weil sie Nein zu dieser Folter sagten.

Eine andere Maßnahme: Die Zionisten haben jeden Tag einige von uns in eine geschlossene Zelle, ohne Essen und Trinken, gesperrt. Stellen Sie sich vor, was das heißt - eine geschlossene Zelle in der Wüste! Mit verbundenen Augen, die Arme hinter dem Rücken gefesselt, auch die Beine wurden gefesselt. Dann wurden sie gezielt auf die Knochen geschlagen. Viele von uns wurden ohnmächtig und für lange Zeit - manchmal für 20 Stunden - bewußtlos. Und wenn einer überhaupt lebend aus der Zelle rauskam, waren seine Knochen gebrochen. Dennoch hat dies alles unserer Moral nicht geschadet, sondern hat in uns den Willen und die Entschlossenheit zur Herausforderung und Konfrontation verstärkt.

Wir haben die Verwaltung aufgefordert, uns die Grundbedürfnisse zuzugestehen wie Essen, Trinken, Wasser zum Waschen und Medizin, um am Leben zu bleiben. Wir haben monatelang dafür gekämpft, ohne daß unsere Forderungen erfüllt wurden. Dazu kommt noch unser Kampf gegen giftige Kriechtiere und Insekten, insbesondere der mörderischen gelben Skorpione, die in großer Anzahl in der Wüste vorkommen und uns oft gestochen haben, so daß viele von uns aus Angst nicht mal eine Stunde in der Nacht schlafen konnten. Trotz allem haben diejenigen, die das Ziel, das die Zionisten mit solchen Lagern verfolgen, durchschauen, ihren Willen gefestigt und versucht, eine Strategie zur Zerschlagung dieses Zieles zu entwickeln und die anderen zu überzeugen, sich den zionistischen Plänen zu widersetzen und ihren Kampf zur Schaffung besserer Bedingungen hier im Lager zu verstärken, um mit gestärkter und unbeeinträchtigter Moral das Lager zu verlassen, damit sie den Kampf gegen die Besatzung draußen weiterführen können.

Wie gesagt, die Verwaltung hat Nein zu allen unseren Forderungen gesagt, und dieses Nein war immer begleitet von Schlägen und zusätzlichen Strafen. Zu uns kamen hochrangige Offizielle, mit denen wir gesprochen haben. Einer davon war Rabin, der zionistische Kriegsminister. Wir haben ihm gesagt, daß dieses Lager extra dafür geschaffen ist, um alle Türen des Friedens zuzuschlagen und jede Möglichkeit von Zusammenleben zu zerstören.

(...) Wir kämpfen nicht nur für die Beseitigung dieser Lager, sondern dafür, eine vollständige Änderung zu erzwingen, nämlich die Beseitigung der Besatzung als Ganzes, und damit die Beseitigung der Unterdrückung und des Terrors. Denn solange die Besatzung existiert, können diese Lager weiterexistieren, und solange es Besatzung gibt, werden weitere Hunderte erschossen, werden weiter vorsätzlich Knochen gebrochen und Menschen entsprechend Befehlen von höchsten Organen lebendig begraben.

Das ist in Kürze über das Leben in Ansar III, das aus Zelten und Natodraht besteht. Ich möchte betonen, daß alles, was ich erzählt habe, nur ein Bruchteil von dem ist, was wir erlebt haben. Das einzige, was uns am Leben erhält, sind unser Wille und unsere Überzeugung, daß wir für eine gerechte Sache kämpfen, und daß wir siegen werden.“